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Aus dem militärischen Nichts entspringt schon Panik

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Von: Dmitri Durnjew

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Ein ukrainischer Soldat vor aufsteigendem Rauch in Bachmut.
Ein ukrainischer Soldat vor aufsteigendem Rauch in Bachmut. © afp

Das Warten auf die Gegenoffensive macht Moskaus kriegspatriotische Öffentlichkeit nervös.

Sie fühle nichts, wenn sie auf Feinde schieße. „Wieder einer weg, umso besser“, die Scharfschützin mit dem Codenamen Nika grinst. Aber die 35-Jährige humpelt selbst, auch viele ihrer Kamerad:innen sind verwundet aus Bachmut auf ihre Basis bei Kiew zurückgekehrt, viele gar nicht. Ihr Kommandeur sagt, man habe fast zwei Monate Nahkampf hinter sich, er könne keine Verlustzahlen nennen, aber Psychologen kümmerten sich um die Überlebenden.

Am Donnerstagabend kam in der dezimierten ukrainischen Kompanie neue Hoffnung auf, dass man in Bachmut nicht umsonst geblutet hat. Mehrere feindliche Telegramkanäle und Medien meldeten ukrainische Gegenstöße und Truppenbewegungen. „Es sieht fast so aus“, so der Kommandeur, „als wollten Unsere über die russische Grenze auf Belgorod vorstoßen.“

Die Kämpfe um Bachmut, die seit neun Monaten toben, gelten als Zermürbungsschlacht, die Russland der Ukraine aufgezwängt hat. Nur flackert das Bild, das die russische Propaganda zeichnet, zusehends. Russische Militärblogger schrieben am Donnerstag über erfolgreiche feindliche Gegenstöße im Raum Bachmut, außerdem über ukrainische Attacken und Truppenbewegungen in anderen Abschnitten, von gepanzerten Fahrzeugkolonnen, die sich in der Region Charkiw auf die russische Nachbarregion Belgorod zubewegten, bis zur Konzentration ukrainischer Motorboote gut 700 Frontkilometer weiter südwestlich. Gegen elf Uhr nachts Moskauer Zeit dementierte das russische Verteidigungsministerium alle Meldungen, der Feind sei durchgebrochen, ein Großteil der Blogger ruderte ebenfalls zurück.

Russlands kriegspatriotische Öffentlichkeit wirkt zunehmend nervös. Da werde aus dem Nichts Panik geschürt, schreibt der Telegramkanal Grey Zone. Das ändere zwar nichts an den deutlich wachsenden Frontaktivitäten des Feindes. „Aber Es hat noch nicht begonnen.“ Das große ES ist die erwartete ukrainische Gegenoffensive. Man erwartet überall Haupt- und Nebenstöße, von Handstreichen auf russische Grenzdörfer in der Region Brjansk über eine Zangenbewegung gegen Bachmut bis zu Ablenkungsmanövern bei Cherson. Gleichzeitig versichern sich die Online-Krieger, alles unter Kontrolle zu haben.

Die Anspannung wächst. Bezeichnend der offene Brief an Verteidigungsminister Sergei Schoigu, den der immer dreister auftretende Chef der Wagner-Söldnertruppe Jewgeni Prigoschin veröffentlichte: „In Betracht der schwierigen operativen Situation und Ihrer langjährigen Kampferfahrung bitte ich Sie, nach Bachmut zu kommen.“ Es klingt durchaus unverschämt. Als am Freitag das Verteidigungsministerium verlautbarte, die Truppen hätten nordwestlich von Bachmut eine günstigere Position am Berchowsker Stausee eingenommen, trat Prigoschin auf Telegram nach: „Das heißt Flucht, nicht Umgruppierung.“

Es scheint, als verliere Moskau auch im Raum Bachmut die Initiative. Noch ist es den Ukrainer:innen dort nur gelungen, die Russen von den bedrohten eigenen Verbindungslinien zurückzudrängen. „Ich träume schon davon“, sagt Tofik, ein Kamerad Nikas, dessen rechter Arm in einer Bandage steckt, „wie wir den Kreml mit Panzern einkreisen. Und wir feuern so lange, bis nur ein großer Haufen roter Steine übrigbleibt.“

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