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Auf Erdogans „Terror“-Liste

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Von: Gerd Höhler

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Hofft auf weiteren Schutz in Schweden: Bülent Kenes in der Nähe von Stockholm. jonathan nackstrand/afp
Hofft auf weiteren Schutz in Schweden: Bülent Kenes in der Nähe von Stockholm. jonathan nackstrand/afp © Jonathan Nackstrand/afp

Der türkische Journalist und Gülen-Anhänger Bülent Kenes könnte zum Opfer von Schwedens Nato-Beitrittsplänen werden - wenn Stockholm ihn an Ankara ausliefert.

Bülent Kenes saß gerade in Stockholm mit seiner Familie beim Abendessen, als er in den Fernsehnachrichten seinen Namen hörte – aus dem Mund des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Der trat am vergangenen Dienstagabend in Ankara gemeinsam mit dem schwedischen Regierungschef Ulf Kristersson vor die Presse. Kristersson war in die türkische Hauptstadt gekommen, um mit Erdogan über den Beitritt seines Landes zur Nato zu verhandeln. Der scheitert bisher an Erdogans Einspruch. Der Staatschef verlangt von Schweden die Auslieferung von 73 türkischen Exil-„Terroristen“, darunter Funktionäre und Sympathisanten der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, Anhänger seines Erzfeindes Fethullah Gülen, Bürgerrechtler und kritische Journalisten.

In der Pressekonferenz mit Kristersson nannte Erdogan erstmals einen der Gesuchten namentlich. Man könne über die Zahl der Auszuliefernden diskutieren, „ob es nun 30 sind oder 100“, sagte Erdogan. „Aber die Deportation des Terroristen namens Bülent Kenes ist für uns von Bedeutung“, so der Staatschef. Das könnte heißen: Ohne die Auslieferung von Kenes gibt es keinen Beitritt, egal wen Schweden sonst überstellt.

Der 53-Jährige lebt seit über sechs Jahren mit seiner Frau und zwei Kindern in Stockholm. Der Buchautor und frühere Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung „Today’s Zaman“ verließ die Türkei nach dem Putschversuch gegen Erdogan vom 15. Juli 2016 und fand in Schweden Zuflucht. Kenes entzog sich so seiner drohenden Verhaftung.

„Today’s Zaman“ wurde der Bewegung des in den USA lebenden islamischen Predigers Gülen zugerechnet. Erdogan sieht in Gülen den Drahtzieher des Putschversuchs vom Sommer 2016. Seine Bewegung gilt als Terrororganisation, bekannt in der Türkei unter der Abkürzung „Fetö“. Gülen bestreitet die Vorwürfe. Auch Kenes weist jede Verwicklung in die Umsturzpläne zurück. „Ich bin doch nicht dumm, ich habe nichts damit zu tun“, sagte er der schwedischen Nachrichtenagentur SVT Nyheter. Aber er ist beunruhigt. „Ich mache mir Sorgen, dass die Verhandlungen zwischen der neuen schwedischen Regierung und dem islamo-faschistischen, despotischen Erdogan-Regime mein Auslieferungsverfahren beeinflussen könnten“, sagt Kenes.

Schweden hat der Türkei zugesagt, die Auslieferungsersuchen „schnell und sorgfältig zu bearbeiten“. Der konservative Premier Kristersson versprach diese Woche in Ankara, Schweden werde „gegenüber der Türkei alle Verpflichtungen bei der Bekämpfung des Terrorismus erfüllen“. Die schwedische Opposition sieht bereits einen „Kniefall“ vor Erdogan.

Die Entscheidung über eine Auslieferung liegt bei der Justiz. Bisher gilt die Gülen-Bewegung, anders als die auch in der EU und den USA geächtete PKK, außerhalb der Türkei nicht als Terrororganisation. Aber kommende Woche soll das schwedische Parlament über eine Verfassungsänderung zur Verschärfung der Anti-Terror-Gesetze abstimmen – eine der Forderungen Ankaras. Damit könnte sich auch die Rechtslage für Auslieferungen verändern.

Deportiert Schweden Kenes tatsächlich in die Türkei, wäre das ein gravierender Präzedenzfall. In vielen europäischen Ländern leben hunderte türkische Bürgerrechtler:innen und Intellektuelle, denen wegen regierungskritischer Äußerungen in ihrer Heimat Haftstrafen drohen. Wie schnell es dabei um Terrorvorwürfe gehen kann, zeigt der Fall des Kulturförderers Osman Kavala, den ein Gericht in Istanbul im April wegen angeblichen „Umsturzversuchs“ zu lebenslanger Haft verurteilte. Das Urteil gilt als eine Art Blaupause für Strafverfahren gegen Regierungskritiker und -kritikerinnen.

Kenes ist als international angesehener Publizist und Politologe für Erdogan ähnlich gefährlich wie Kavala. Deshalb will er ihn zum Schweigen bringen. Die Erdogan-treue Zeitung „Sabah“ veröffentlichte kürzlich heimlich geschossene Fotos von Kenes und die Adresse der Wohnung, in der er mit seiner Familie in Stockholm lebt. Der türkische Geheimdienst MIT hat seit dem Putschversuch Dutzende mutmaßliche Gülen-Anhänger aus dem Ausland verschleppt. Erdogan persönlich rechtfertigte die Entführungen: „Wir werden solche Operationen durchführen, wo auch immer sich Fetö-Anhänger aufhalten“, sagte er 2018.

Bülent Kenes gibt sich dennoch zuversichtlich. „Ich habe immer geglaubt und glaube weiterhin, dass Schweden ein Rechtsstaat ist“, sagte er in einem Interview. Er beteuert seine Unschuld: „Ich habe nichts weiter getan, als Zeitungsartikel, Kommentare und wissenschaftliche Schriften zu verfassen, mit Terrorismus oder Gewalt habe ich nichts zu tun.“ In Schweden habe der Respekt für die Menschenrechte und die Freiheit einen hohen Stellenwert. „Ich vertraue deshalb darauf, dass Schweden mich schützen wird.“

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