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Atomkraft und Gentechnik: „Eine kritische gesellschaftliche Stimmung ist erstmal etwas Gutes“

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Von: Jana Ballweber

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Protest gegen die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf in der Oberpfalz im Jahr 1985.
Protest gegen die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf in der Oberpfalz im Jahr 1985. © imago

Historiker Frank Uekötter über die Geschichte der deutschen Umweltbewegung, ihr Verhältnis zur Wissenschaft und warum sie Atomkraft und Gentechnik ablehnt Ein Interview von Jana Ballweber

Herr Uekötter, zwei große deutsche Forschungseinrichtungen fordern in einer Stellungnahme vehement, mehr wissenschaftliche Evidenz in der politischen Debatte um moderne Gentechnik wie Crispr/Cas ein. Warum ist das nötig?

Als Historiker würde ich sagen: Weil diese Menschen nicht realisieren, wie sehr sie im Schatten einer unbewältigten Geschichte agieren.

Inwiefern ist die Geschichte unbewältigt?

Die Diskussion über die Gentechnik beginnt in den Siebzigerjahren. Sie hat sich in Deutschland im Schatten einer viel größeren Debatte entwickelt, der über die Atomenergie. Gentechnik läuft bis heute als so eine Art Risikotechnologie, die sehr stark von wissenschaftlich-technischer Innovation geprägt ist und die einen hohen Komplexitätsgrad hat. Bei solchen Themen wird unser Denken von Leitlinien geprägt, die man nur noch historisch entwirren kann.

Dann entwirren Sie doch mal. Was ist es für ein Denken, das uns bei diesen technologischen Themen prägt?

Die nukleare Kontroverse ist ein Abschied vom naiven Fortschrittsoptimismus der Sechziger Jahre, wo tüchtige Männer die Zukunft schufen und man ihnen möglichst wenig Steine in den Weg legen sollte. Heute wissen wir, dass das im Rückblick keine besonders zukunftsfähige Philosophie war, weil jede technische Innovation Probleme und Nebeneffekte mit sich brachte. Im Fall der nuklearen Technologie hatten diese Visionen, die auch die riesigen Investitionen in die Nukleartechnologie angetrieben haben, nicht viel gemeinsam mit dem, was dann realisiert wurde. Das war alles viel riskanter, viel komplizierter, auch viel teurer, als man gedacht hatte. Und da ist eine gewisse Rahmung entstanden, die weiterlebt – und die in die Gentechnik-Debatte reingewandert ist.

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Wir hatten also eine Hoffnung, die dann enttäuscht wurde. Ist die breite Ablehnung von Atomkraft und Gentechnik aus dieser Enttäuschung heraus entstanden oder gab es noch andere Motive?

Es waren zwei Kernpunkte, die eine Rolle gespielt haben. Das eine war das Bewusstsein, dass es Nebenfolgen gibt: GAU, radioaktive Strahlung, Atommüll, der auf ewig strahlt. Diese Kritik an den Nebenfolgen wurde auf alle Technologien übertragen, die ähnlich intransparent wie die Atomkraft waren. Und zwar zurecht. Es gibt einen geringen Anreiz, sich mit diesen Themen zu beschäftigen, wenn man in diesem Sektor nicht Karriere machen will. Es ist also eine riesige Herausforderung, das Wissen zu erwerben, um diesen Menschen auf die Finger schauen zu können. Diese Innovationen sind immer eine Herausforderung für die Seele der Demokratie.

Was ist der zweite Kernpunkt?

Die Macht der großen Unternehmen. Die 68er sind ja nicht zuletzt deshalb auf Atomkraft eingestiegen, weil das ein Musterbeispiel für die Macht und Arroganz von Großkonzernen und deren Verfilzung mit dem Staat war. Diese Dimension der Kritik scheint mir in Vergessenheit geraten zu sein. Wir sind durch eine Phase großer Marktgläubigkeit gegangen, in der es nicht mehr schick war, über die Macht von Großkonzernen zu sprechen.

Erfahrungsgemäß argumentieren aber doch viele Menschen mit einer vermeintlichen Natürlichkeit, die durch Gentechnik verloren gehe.

Es gibt ein Naturideal, über das ich mich immer wieder ärgere, wenn ich mich mit Landwirtschaft beschäftige. Das Ausmaß des Natureingriffs ist eben auch ohne gentechnische Verfahren brutal. Die Entfremdung von den Realitäten der organischen Produktion steckt tief in der Entwicklung urbanisierter Gesellschaften und der Spezialisierung des Agrarberufs. Daran kann man auch nicht wirklich etwas ändern. Die Kritik des Natürlichkeitsmythos führt aber nicht weiter. Dass wir eine kritische gesellschaftliche Stimmung haben, ist erstmal etwas Gutes, um die Macht der großen Konzerne herauszufordern. Und es gab einen berechtigten Grund dafür, warum wir misstrauisch sind. Das ist aber nicht unbedingt die Angst, dass da etwas im Gen drin ist, was giftig ist. Gentechnik ist in gewisser Weise giftig, aber eben für Landschaften und Ökosysteme und nicht für Menschen. Diese Refokussierung müssen wir hinbekommen.

Zur Person

Frank Uekötter ist Professor für geisteswissenschaftliche Umweltforschung an der Universität Birmingham in England.

Gentechnik ist giftig für Landschaften und Ökosysteme?

Wenn wir über Grüne Gentechnik sprechen, sind genetische Vereinheitlichung und Monokulturen die entscheidenden Stichworte. Die Folgen davon sehen wir schon heute, auch unabhängig von der Gentechnik. Der Verlust an Biodiversität durch unsere Art, Landwirtschaft zu betreiben, ist enorm. Dass die einzelne Pflanze im Labor nicht gefährlich oder giftig ist, greift meiner Meinung nach zu kurz, um die Gentechnik zu verteidigen.

Wie hat sich die Art, mit solchen Themen umzugehen, zwischen der Umweltbewegung der siebziger und achtziger Jahre und heute verändert, wo sich der Aktivismus ja sehr stark auf Klima konzentriert?

Das ist tatsächlich ein Umbruch. Wir sehen einen Reduktionismus auf Klima, der nach meinem Eindruck aber schon wieder ein bisschen abnimmt. Wenn es um erneuerbare Energien geht, um Windräder, müssen wir auch den Artenschutz und die Landschaft mitdenken. Wir können Palmöl nicht einfach als Biofuel nutzen, sondern müssen auch hier die Nebenwirkungen mitdenken.

Inwiefern hat sich die Art und Weise, wie die Umweltbewegung denkt, auf politische Entscheidungen ausgewirkt?

Man merkt, dass die Kritik an technologischer Innovation seit den siebziger Jahren ein Strang ist, der in das Bewusstsein vieler Zeitgenossen eingegangen ist. Eine ablehnende Haltung bei diesen Themen ist Teil von Identität. Das macht es langlebig, aber es sorgt auch dafür, dass es sich auf bestimmte Glaubenssätze reduziert. Dass man Konzerne zur Verantwortung zieht, ist viel wichtiger als zum Beispiel Fragen nach Zulassungsverfahren einzelner gentechnisch veränderter Pflanzen.

Die Klimabewegung heute kritisiert aber doch deutlich den Kapitalismus und seine Auswirkungen auf die Klimakrise. Haben Sie Hoffnung, dass die Probleme jetzt besser erkannt werden?

Wir merken, dass es uns nicht vorwärts bringt, Gentechnik so zu verteufeln, wie wir es getan haben. Es gibt in den USA Millionen von Menschen, die regelmäßig gentechnisch veränderte Nahrungsmittel zu sich nehmen und denen keine Tomaten aus den Ohren wachsen. Aber das heißt ja noch längst nicht, dass wir dem tüchtigen Wissenschaftler freie Bahn schaffen sollten. Müssen wir denn beim Lernen über Großforschung wirklich noch einmal in den Sechzigerjahren anfangen?

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