Arme Familien bei Kita-Gebühren entlasten

Die Bertelsmann-Stiftung rät von einer Kita-Gebührenfreiheit für alle Eltern ab und mahnt bessere Qualität der Betreuung an.
Finanzschwache Familien müssen einen fast doppelt so hohen Anteil ihres Einkommens für Kitagebühren aufwenden wie Eltern oberhalb der Armutsgrenze. Nach einer Erhebung von Infratest dimap im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung geben Eltern, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben und damit als armutsgefährdet gelten, rund zehn Prozent ihrer Einkünfte für den Kita-Besuch der Kinder aus. Demgegenüber zahlen Haushalte mit höheren Einkommen im Schnitt nur 5,1 Prozent. In der Berechnung ist die soziale Staffelung der Gebühren, die in den Bundesländern unterschiedlich geregelt ist, bereits berücksichtigt.
Zwar zahlen nicht gefährdete Familien mit durchschnittlich monatlich 178 Euro mehr als arme Familien mit 118 Euro. Der Kita-Kostenanteil am verfügbaren Einkommen ist bei finanzschwachen Eltern aber doppelt so hoch. Das gilt auch für zusätzliche Ausgaben in Höhe von durchschnittlich 45 Euro pro Monat, die etwa für Mittagessen, Ausflüge und Bastelmaterial anfallen: Die machen für arme Familien im Schnitt 3,3 Prozent des verfügbaren Einkommens aus, für die übrigen Haushalte nur 1,4. Unterm Strich ergibt sich eine überproportionale Belastung für zwölf Prozent aller Familienhaushalte, die zwar unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze liegen, aber dennoch Kitagebühren zahlen müssen.
Diese Durchschnittswerte bilden allerdings nicht die großen Unterschiede ab, die es von Bundesland zu Bundesland gibt. In Berlin etwa müssen Eltern im Schnitt nur zwei Prozent ihres Einkommens für die Kita ausgeben, in Schleswig-Holstein sind es 8,9 Prozent. Auch die Bandbreite der Gebührenstaffelung variiert stark: In Mecklenburg-Vorpommern wenden Eltern zwischen 2,1 und 21,9 Prozent ihres Einkommens für Kitagebühren auf, in Berlin zwischen 0,4 und 7,6. Dafür ist der Betreuungsschlüssel in hauptstädtischen Kitas deutlich ungünstiger als etwa in Baden-Württemberg, wo die Familien im Schnitt sieben Prozent ihres Einkommens für die Ganztagsbetreuung der Kinder ausgeben.
In Mecklenburg-Vorpommern wiederum ist der Betreuungsschlüssel ungünstiger als in allen anderen Bundesländern, obwohl Familien im Nordosten durchschnittlich mehr als acht Prozent ihres Einkommens für Kita- und Zusatzgebühren aufwenden.
Was tun? Der Koalitionsvertrag sieht bis 2021 insgesamt 3,5 Milliarden Euro vor, um im Kita-Bereich Gebührenentlastungen und Qualitätsverbesserungen zu finanzieren. Diese Mittel reichen laut Bertelsmann-Stiftung aber bei weitem nicht aus.
Ein kompletter Wegfall der Kita- und Zusatzgebühren würde demnach jährlich mit 7,3 Milliarden Euro zu Buche schlagen, der Aufbau kindgerechter Kitaplätze in ausreichender Zahl würde weitere acht Milliarden pro Jahr kosten. Für Beitragsfreiheit und bessere Qualität müsste der Staat mithin jedes Jahr 15,3 Milliarden zusätzlich ausgeben.
Insofern erscheinen 3,5 Milliarden, gestreckt auf eine Legislaturperiode, kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. „Dem politischen Versprechen der Beitragsfreiheit fehlt die finanzielle Substanz“, resümiert Stiftungsvorstand Jörg Dräger. Vor diesem Hintergrund sei zu befürchten, dass die Qualitätsoffensive auf der Strecke bleibe. „Jetzt alle Eltern zu entlasten, würde den politischen Handlungsspielraum für den Qualitätsausbau unnötig verengen.“
Dies wäre auch nicht im Sinne der meisten Eltern, wie die Infratest-Umfrage unter 6000 Eltern zeigt: Danach würden 58 Prozent der Familien mit Einkommen oberhalb der Armutsgrenze höhere Beiträge hinnehmen, wenn zugleich die Qualität der Kita stiege. Bemerkenswert ist, dass auch 53 Prozent der armutsgefährdeten Eltern mehr zahlen würden, wenn sich die Betreuung dadurch verbesserte. Gute Qualität hat also selbst in Familien Vorrang, die von Beitragsfreiheit besonders profitieren würden.
Dräger fordert daher, das Ziel allgemeiner Beitragsfreiheit hintan zu stellen und zunächst nur armutsgefährdete Familien von den Kita- und Zusatzgebühren komplett zu befreien. Dies würde laut Studie pro Jahr rund 730 Millionen Euro kosten. Für Familien oberhalb der Armutsgrenze müsse es bundeseinheitliche Berechnungsregeln für die Gebühren geben, etwa einen festen Prozentsatz des Einkommens von Familien oberhalb der Armutsgrenze. Weitere Mittel sollten in die bessere Personalausstattung der Kitas investiert werden, fordert Dräger: „Bundesweit fehlen Erzieherinnen und Erzieher, der Betreuungsschlüssel in vielen Einrichtungen stimmt nicht.“