Auf Telegram beklagte die Nowaja Gaseta später, dass viele Kioske sich weigerten, die Ausgabe zu verkaufen. Die Journalist:innen riefen ihre Leserschaft auf, sich das Blatt persönlich in der Moskauer Redaktion abzuholen, die von Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow geleitet wird.
Owssjannikowa droht neben der bereits verhängten Geldbuße noch eine weitere Strafe. Es seien Ermittlungen wegen der angeblichen Verbreitung von Lügen über Russlands Streitkräfte aufgenommen worden, meldete die Staatsagentur Tass unter Berufung auf eine Quelle bei den Ermittlungsbehörden. Befürchtet wurde, dass Owssjannikowa doch noch nach dem neuen Mediengesetz belangt werden könnte, das bis zu 15 Jahre Haft vorsieht.
+++ 13.25 Uhr: Die russische TV-Journalistin Marina Owsjannikowa ist nach ihrem Protest vor laufenden Kameras gegen den Krieg in der Ukraine äußerst besorgt um ihre Sicherheit und die ihrer Kinder. Trotzdem habe sie nicht vor, aus Russland zu fliehen, wie sie in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters sagte. Owsjannikowa hoffe, dass ihr Protest nicht umsonst gewesen sei. Zudem wünsche sie sich, dass die russische Bevölkerung ihre Augen öffne und Kriegspropaganda genauer hinterfrage.
+++ 11.13 Uhr: Nach dem aufsehenerregenden Protest im russischen Staatsfernsehen von Marina Owssjannikowa hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron der TV-Journalistin Schutz angeboten. „Wir werden selbstverständlich diplomatische Schritte einleiten, um Ihrer Kollegin Schutz zu gewähren, entweder in der Botschaft oder im Asyl“, sagte Macron auf die Frage eines französischen Journalisten. Er werde diese Lösung sehr direkt und konkret in seinem nächsten Gespräch mit Kremlchef Wladimir Putin vorschlagen.
Update vom Mittwoch, 16.03.2022, 06.25 Uhr: Die Russland-Expertin Daria Khrushcheva wertet den Protest von Marina Owssjannikowa im russischen Fernsehen als Tendenz, dass sich russische Journalisten vermehrt gegen Wladimir Putin stellen. „Das ist ein gutes Zeichen“, sagte die Slawistin von der Ruhr-Universität Bochum dem Evangelischen Pressedienst. Die Aktion zeige, dass Journalisten, die für staatliche Medien in Russland arbeiten, etwas unternähmen. So sei auch die prominente Moderatorin Lilia Gildeeva aus Russland geflohen und habe dann aus Protest über die russische Propaganda in den Medien gekündigt.
+++ 19.15 Uhr: Der Protest der Journalistin Marina Owssjannikowa gegen den Ukraine-Krieg im russischen Live-Fernsehen scheint die gewünschte Wirkung zu erzielen. Die Aktion habe „Schockwellen durch die russische Gesellschaft“ geschickt, sagte Yakov Kronrod, einem US-Amerikaner mit russischen Wurzeln, der sich zurzeit in Moskau aufhält, gegenüber dem US-Nachrichtensender CNN. Laut Konrod würden sogar staatstreue Medien wie das Portal Yandex News über den Protest berichten. „Auf ihrer Facebook-Seite wurden tausende Kommentare hinterlassen“, so Konrod. „Das könnte sehr gut der Start einer ganzen Welle an Protesten sein.“
Update vom Dienstag, 15.03.2022, 18.12 Uhr: Nach ihrem Protest gegen den Ukraine-Krieg im russischen Staats-TV ist die Journalistin Marina Owssjannikowa in Moskau zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubel (226 Euro) verurteilt worden. Das Urteil erging, weil Owssjannikowa in einem Video zu Protesten gegen den Krieg von Kremlchef Wladimir Putin in der Ukraine aufgerufen habe, wie das Bürgerrechtsportal OWD-Info am Dienstag (15.03.2022) meldete.
Zuvor sagten ihre Anwälte gegenüber der BBC, dass sie die Journalistin über Stunden nicht erreichen hätten können und sie verschwunden sei. Später teilte der prominente russische Journalist Alexej Wenediktow jedoch ein Foto der Redakteurin mit ihrem Anwalt Anton Gaschinski in einem Gerichtsgebäude.
Auch die EU hatte sich nach dem zeitweiligen Verschwinden Owssjannikowas besorgt gezeigt. „Ihre Anwälte dürfen keinen Kontakt zu ihr aufnehmen“, sagte ein Sprecher des EU-Chefdiplomaten Josep Borrell. Der Protest sei das jüngste Beispiel einer mutigen Haltung, welche die Lügen und Propaganda des Kreml widerlege.
Zunächst war befürchtet worden, Owssjannikowa könnte nach dem umstrittenen neuen Gesetz wegen Diffamierung der russischen Armee verurteilt werden. Dabei drohen bis zu 15 Jahre Haft. Kremlsprecher Dmitri Peskow bezeichnete den Vorfall als „Rowdytum“, die Senderleitung müsse sich darum kümmern. Nicht einmal Staatsmedien kamen umhin, wegen der großen Öffentlichkeit darüber zu berichten.
Erstmeldung vom Dienstag, 15.03.2022: Moskau – Bei der Live-Ausstrahlung der wichtigsten Nachrichtensendung in Russland hat es am Montag einen ungewöhnlichen Protest gegeben: Eine Frau demonstrierte im Fernsehstudio mit einem Protestplakat und lauten Rufen gegen den Ukraine-Krieg. Angaben der Organisation OWD-Info zufolge handelte es sich um Marina Owsjannikowa, eine Mitarbeiterin des Senders. Sie sei festgenommen worden. Seit der Festnahme gibt es kein Lebenszeichen von ihr.
Während der Sendung „Wremja“ des Senders Perwy Kanal am Montagabend (14.03.2022) tauchte sie plötzlich hinter der Nachrichtensprecherin Jekaterina Andrejewa auf und hielt ein Schild mit der Aufschrift „Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen“ in die Kamera. Außerdem rief sie „Stoppt den Krieg!“, bevor die Live-Übertragung abbrach und ein Bericht über Krankenhäuser ausgestrahlt wurde.
Seit dem Protest gegen Ukraine-Konflikt haben vier verschiedene Anwälte versucht, die Redakteurin in Moskau ausfindig zu machen, jedoch ohne Erfolg. Seit ihrer Festnahme hat niemand mehr Marina Owsjannikowa gesehen. Einer der Anwälte, Daniil Berman, hat dem Medium meduza von seiner Suche nach der Journalistin erzählt. Demnach sei Marina Owsjannikowa zuletzt zur Polizeibehörde im Moskauer Bezirk Ostankinsky gebracht worden. Die Polizei teilte auf Anfrage einer Menschenrechtsorganisation jedoch mit, dass die Journalistin nicht mehr in der Polizeistation sei.
In der Nacht des 15. März wurde bekannt, Owsjannikowa solle sich im Dienstzimmer des Fernsehturms in Ostankinsky in Moskau befinden. Als jedoch der Anwalt Anri Tsiskarishvili versuchte, dorthin zu gelangen, fand er die festgenommene Journalistin nicht mehr vor. Andere Quellen meldeten ihm, sie sei auch nicht mehr auf der Polizeistation in Ostakino.
Derweil äußerte sich Anastasia Kostanova, eine weitere Anwältin der verschwundenen Redakteurin gegenüber der BBC. „Meine Kollegen und ich haben die ganze Nacht nach der Journalistin gesucht, die im Gebäude von Channel One festgehalten wurde“, erklärte die Anwältin. Doch Marina Owsjannikowa konnte nicht gefunden werden.
„Das bedeutet, dass man sie vor ihren Anwälten versteckt und versucht, ihr den Rechtsbeistand zu entziehen, und anscheinend versucht man auch, die strengste Strafmaßnahme vorzubereiten“, so die Anwältin gegenüber der BBC.
In einer von der russischen Nachrichtenagentur Tass veröffentlichten Erklärung sprach der Sender von einem „Vorfall, mit einer fremden Frau während der Aufnahme“. Es werde eine interne Untersuchung zu dem Protest gegen den Ukraine-Krieg geben. Laut Tass könnte die junge Frau wegen „Diskreditierung des Einsatzes der russischen Streitkräfte“ strafrechtlich verfolgt werden.
Vor kurzem hatte das russische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das bis zu 15 Jahre Haft für die Verbreitung von „Falschnachrichten“ über das Militär vorsieht. Damit wurde auch die Bezeichnung des russischen Militäreinsatzes als „Krieg“ unter Strafe gestellt. Dies soll die Berichterstattung zum Krieg in der Ukraine verhindern.
In einem zuvor aufgezeichneten Video, das von OWD-Info veröffentlicht wurde, erklärte Owsjannikowa, dass ihr Vater Ukrainer und ihre Mutter Russin sei. Daher ertrage sie es nicht, die beiden Länder verfeindet zu sehen. „Leider habe ich in den vergangenen Jahren für Perwy Kanal gearbeitet und Propaganda für den Kreml gemacht. Dafür schäme ich mich heute sehr“, sagte sie.
„Wir haben 2014 geschwiegen, als das alles erst begann*“, sagte sie weiter und bezog sich damit offenbar auf die Übernahme der Krim durch Moskau und die Unterstützung der pro-russischen Separatisten in der Ukraine. „Wir sind nicht zu Protesten gegangen, als der Kreml (den mittlerweile inhaftierten Oppositionellen Alexej) Nawalny vergiftete*. Wir haben dieses menschenfeindliche Regime einfach schweigend beobachtet. Und jetzt hat sich die ganze Welt von uns abgewandt.“
Ein Video der Protestaktion während der Nachrichtensendung verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den sozialen Netzen. Den „außergewöhnlichen Mut“ der Frau lobten zahlreiche Internetnutzer weltweit. Ein Vertrauter des Kreml-Kritikers Nawalny, Leonid Wolkow, kündigte auf Twitter an, die Oppositionsbewegung sei „bereit, jede Geldstrafe zu zahlen“, die gegen Owsjannikowa verhängt wird. (lz/afp/dpa) *fr.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.