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Freiwillige im Ukraine-Krieg: „Black Flag“ kämpft gegen „das faschistische Regime Putins“

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Von: Lucas Maier

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Als Russland die Ukraine angreift, gehen viele freiwillig an die Front und kämpfen. Wir konnten mit einem von ihnen sprechen.

Kiew – Ein Angriff auf Kiew? Für viele lange undenkbar. Seit Ende Februar 2022 jedoch bittere Realität für die Menschen in der Hauptstadt der Ukraine. Im Krieg mit Russland kämpfen auch etliche Freiwillige. Einer davon ist Dimitro Cooper. Er ist Mitglied und Kämpfer der „territorialen Verteidigung“ von Kiew – ein Bataillon, welches sich kurz nach dem Angriff dem bewaffneten Widerstand in den Straßen der Hauptstadt angeschlossen hat. Im Interview mit fr.de spricht er über seine Erfahrungen im Ukraine-Konflikt.

Dimitro Cooper, wie kamst du dazu, in den Straßen Kiews zu kämpfen?

Mit Beginn des Ukraine-Kriegs erreichte uns die Nachricht, dass die russische Armee in Richtung Kiew ziehen würde. Irgendwann erreichten uns sogar Berichte über Panzer in Obolon, einem nördlichen Teil von Kiew. Das war der Punkt, als wir uns entschieden nach Kiew zu gehen, um die Hauptstadt zu verteidigen.

Wie ist die Lage in Kiew?

Aktuell kann ich sagen, dass Kiew gesichert ist. Wir haben hier fürs Erste alle Aufgaben erfüllt, es befinden sich keine russischen Streitkräfte mehr in der Region Kiew. Ich hatte heute sogar Zeit zu duschen und meine Militäruniform zu waschen, weshalb ich heute auch mal in den Genuss komme, Zivilkleidung zu tragen, wie du siehst.

Wie wird es für dich jetzt weiter gehen?

Momentan sind wir Teil der territorialen Verteidigung Kiews. Wir warten darauf, in die reguläre Armee eingegliedert zu werden. Auch wenn ich zu dem Ganzen noch nicht genaues sagen kann, hoffen wir, bald verlegt zu werden, um unser Land und unsere Leute an einem anderen Ort verteidigen zu können. Wir werden kämpfen, bis der letzte Besatzer aus der Ukraine vertrieben ist.

Front in Kiew (Ukraine): Ein Kämpfer im Interview.
Front in Kiew (Ukraine): Ein Kämpfer im Interview. (Symbolbild) © Evgeniy Maloletka/dpa

Kampf in den Straßen von Kiew: Auch Freiwillige stellen sich gegen Putin und seine Armee

Kannst du mir mehr zu eurem Bataillon sagen – wer seid ihr?

Wir sind Teil der Organisation Black Flag. In unserem Bataillon sind aktuell aber verschiedene Anschauungen vertreten, nicht nur anarchistische. Uns eint der Wille, gegen das faschistische Regime Wladimir Putins zu kämpfen, welches aktuell unser Land überfällt. Wir verstehen uns zudem als antifaschistisches Bataillon.

Wie sieht es mit der Vorbereitung aus, habt ihr eine Ausbildung erhalten?

Ja, wir haben Training erhalten. Unter anderem wurden wir im Schießen, in Taktik und in Nahkampf trainiert. Immer, wenn wir nicht selbst kämpfen, trainieren wir. Eigentlich läuft es hier auch nicht viel anders als in der regulären Armee.

Ukraine-Krieg: Bürokratische Hürden an der Front

Seid ihr aktuell eine geschlossene Einheit oder nehmt ihr noch Freiwillige in eure Reihen auf?

Wir als Gruppe sind offen für jede:n der/die an unserer Seite kämpfen möchte. Aktuell sind die bürokratischen Hürden hierfür allerdings so hoch, dass es nur extrem schwer möglich sein dürfte.

Ist euer Bataillon aktuell ein internationales?

Nein, aktuell kämpfen lediglich Ukrainer:innen in unserem Bataillon. Internationalist:innen kommen momentan automatisch in die dafür vorgesehenen Bataillone. Wir als Bataillone würden uns freuen, Internationalist:innen aufzunehmen. Leider macht uns hier aktuell die Regierung einen Strich durch die Rechnung, vielleicht ändert sich das ja in Zukunft noch.

Krieg in der Ukraine: Cooper und sein Bataillon sicherten zuletzt die Region Kiew

Was waren zuletzt Aufgaben von eurem Bataillon?

In der letzten Woche war ich mit meinem Bataillon in den Orten Butscha, Hostomel und weiteren Vororten. Wir haben bei der Sicherung der Orte geholfen, welche unter russischer Herrschaft standen. Die Menschen erzählten uns von schlimmen Verbrechen der russischen Besatzer. Mittlerweile beginnt in diesen Orten der Wiederaufbau. Für uns ist aktuell das wichtigste, dass die Region Kiew gesichert ist.

Kannst du mir mehr zu den Verbrechen erzählen?

Uns wurde von Entführungen, wahllosen Tötungen und Vergewaltigungen berichtet. In vielen Häusern haben die russischen Aggressoren Feuer gelegt. Die Menschen erzählten uns auch von Raubzügen der russischen Armee.
Das ist aber nur ein kleiner Auszug aus der Hölle, die die Armee Putins über uns gebracht hat. So viele Leben wurden schon zerstört, Kinder, die beide Eltern verloren haben und jetzt alleine sind. So viel Zerstörung, kaputte Häuser und Läden. Ich habe grauenhafte Bilder aus diesen Orten vor Augen.

Transparenzhinweis:

Das Interview wurde am Dienstag, 12.04.2022, geführt. Einige Details und Informationen konnten von der interviewten Person aus Gründen des Selbstschutzes nicht herausgegeben werden. In diesem Interview wird die Perspektive eines pro-ukrainischen Kämpfers dargestellt. Es liegt in der Natur der Sache, dass hier lediglich eine Seite des Konfliktes zum Ausdruck kommen kann. Zudem ist hier die Rede von Situationen, die sich aufgrund des Kriegsgeschehens schnell ändern können.

Strategie von Putin: Eine Einschätzung von der Front

Wie schätzt du aktuell das Kriegsgeschehen ein (Stand: 12.04.2022)?

Der Norden der Ukraine ist aktuell befreit. Wir haben die russischen Soldaten aus Kiew, Schytomyr, Tschernihiw und Sumy Raion vertrieben. Gekämpft wird aktuell im Osten und Süden der Ukraine. Hier sind vor allem die Regionen Kahrkiv, Luhansk, Cherson, Saporischschja und Donezk betroffen.

Was ist deine Einschätzung zur Strategie Putins?

Für mich sieht es so, aus als würde Wladimir Putin unsere Kräfte im Donbass aufreiben wollen. Sein Ziel werden die sogenannten „autonomen Gebiete Luhansk und Donezk“ sein. Entgegen der russischen Behauptungen waren vor Kriegsbeginn lediglich zehn Prozent der Gebiete unter der Kontrolle der Terroristen von LNR und DNR (pro-russische Milizen in Luhansk und Donezk). Und das ist schon eine sehr optimistische Einschätzung. Der Rest war von der Ukraine kontrolliert. Das Ziel von Putin sind jetzt allerdings 100 Prozent, die er ins Staatsgebiet der Russischen Föderation eingliedern will.

Ukraine-Krieg: Wird sich das Krim-Szenario wiederholen?

Ähnlich wie bei der Annektion der Krim im Jahr 2014?

Ja ganz genau, es ist hier dasselbe Szenario denkbar. Wahrscheinlich würde auch hier wieder ein „Referendum“ oder ähnliches in den besetzten Gebieten „inszeniert“ werden. Das würde wahrscheinlich auch bedeuten, dass Russland in den nächsten Jahren weitere Regionen angreifen würde, um auch diese in die Russische Föderation zu überführen. Das ist ein Szenario, in dem wir nicht gewinnen können, deshalb dürfen wir es nicht so weit kommen lassen. Wir müssen die Besatzer zurückdrängen und uns die Gebiete zurückholen. Um einige Beispiele zu nennen: Wir müssen die Städte Cherson, Nowa Kahowka und Melitopol zurück erkämpfen. Auch Mariupol müssen wir zurückerobern, hier ist die Situation momentan leider extrem schlimm. (Stand 12.04.2022)

Hat Putin noch weitere strategische Interessen, außer der Vereinnahmung des Donbass?

Ja, ich denke, es geht Russland auch um den Zugang zum Asowschen Meer. Sollten die Besatzer die Regionen gewinnen, dann wäre das Asowsche Meer quasi auch Teil der Russischen Föderation. Aber wir werden weiter kämpfen, wir werden alles tun, um Putins Truppen daran zu hindern. Denn es ist unser Land, und es sind unsere Leute, die dort leben.

Kämpfer in Kiew: Keine Hoffnung in die Politiker:innen des Westens

Was erhoffst du dir in der aktuellen Lage vom Westen?

In die Politiker:innen aus dem Westen habe ich keinerlei Hoffnungen. Meine gesamte Hoffnung liegt bei den Menschen. Ich hoffe, dass die Bevölkerung die Forderungen der Ukraine auf die Straßen trägt, denn die Politik wird von sich aus nicht handeln. Eine Hauptforderung muss die Erhöhung der Sanktionen sein. Ein Importstopp für Öl, Gas und Diesel aus Russland ist in der momentanen Lage ein Muss. Aber er muss aus der Bevölkerung gefordert werden, die Politiker:innen werden von sich aus keine solch drastischen Schritte gehen. Denn hier geht es auch um viel Geld. Am Ende muss Russland in allen Bereich blockiert werden. Bis die Finanzierung des Krieges nicht mehr möglich ist.

Was braucht es, um diesen Krieg zu beenden?

Aus meiner Sicht wird dieser Krieg beendet, wenn Putin versteht, dass die Russen diesen Konflikt nicht führen wollen. Ein Beispiel, das zeigen soll, wie unmotiviert die russischen Soldaten sind: Nach unseren Informationen sind 25.000 Soldaten aus Syrien an die Grenze der Ukraine beordert worden, dort angekommen sind jedoch nur 11.000. Ich gehe davon aus, dass Putin keine objektiven Informationen bekommt. Er lebt in seiner eigenen Realität, in der alles nach Plan läuft. Das dürfte wohl daran liegen, dass sogar seine engsten Vertrauten Angst davor haben, Putin die Wahrheit zu sagen. Er ist ein verrückter Diktator in meinen Augen. Wenn Putin versteht, dass es keine Möglichkeit gibt, die Ukraine zu unterwerfen, wird der Krieg ein Ende finden.

Siehst du noch einen weiteren Weg aus dem Krieg?

Druck aus der Bevölkerung Russlands wäre eine weitere Option. Ich glaube an die Möglichkeit einer Revolution in Russland. Es gibt viele gute Menschen dort, sie wollen diesen Krieg eigentlich nicht, davon bin ich überzeugt. Wenn die Menschen in Russland wüssten, was die Armee in der Ukraine tut, würden viele von ihnen auf die Straßen gehen und gegen das Regime von Putin kämpfen. Ich glaube fest daran, dass am Ende das Licht der Wahrheit die Dunkelheit der Lügen durchbrechen wird. Das russische Imperium selbst besteht aus so vielen Nationen: Jakutia, Dagestan, Tschukotka und Burjatien, um nur einige zu nennen. Irgendwann wird in diesen Regionen zu nationalen Befreiungsbewegungen kommen, das könnte zu dem Fall des russischen Imperiums führen.

Zur Person

Dimitro Cooper ist ein Pseudonym, das aus Gründen des Quellenschutzes benutzt wird. Cooper ist Teil der Organisation Black Flag. Bis zum Tag des Interviews waren Cooper und sein Bataillon Teil der territorialen Verteidigung Kiews. Das Interview wurde per Videoschalte nach Kiew geführt.

„Low Budget“-Krieg?: Der Blick eines Kämpfers

Zurück zu deinen Erfahrungen an der Front in Kiew. Verschiedene Seiten sprechen derzeit davon, dass Russland einen „low Budget“-Krieg führt. Kannst du bestätigen, dass die russische Armee schlecht ausgestattet ist?

Ich denke, dass das ein gefährlicher Blick auf den Feind ist. Jedoch ist es durchaus so, dass viele Soldaten auf der Seite Russlands schlecht ausgestattet sind. Dafür gibt es aber auch genug Bataillone unter Führung von Moskau, die bestens ausgestattet sind. Wir als Kämpfende sollten immer darauf vorbereitet sein, dass der Feind bestens vorbereitet ist.

Immer wieder erreichen uns Berichte über Deserteure aus den russischen Reihen, diese können jedoch nur selten bestätigt werden. Sind dir solche Fälle bekannt?

Ja, das stimmt auf jeden Fall. Sehr viele der Soldaten wollen nicht in diesem Krieg kämpfen. Viele geben auf, wenn sie hier hinkommen, weil sie nicht schießen wollen. Ein Teil tut das mit Sicherheit aus Angst. Ein anderer Teil tut es, denke ich, weil sie verstehen, dass der Krieg gegen die Ukraine ein Verbrechen ist und sie kein Teil davon sein wollen. Natürlich hab ich nicht jeden einzelnen Fall selbst überprüft, aber die Gesamtsituation kann ich durchaus so bestätigen.

Hoffnung in der Ukraine: „Solidarität ist unsere Waffe“

Eingangs hast du erwähnt, dass ihr euch als antifaschistisches Bataillon versteht – hattet ihr jemals Probleme mit rechtsgerichteten Bataillonen?

Ja, in diesem Krieg ist vor allem ein rechtes Bataillon sehr präsent: das Asow-Bataillon. Bis zum Kriegsbeginn war das Asow-Bataillon wirklich ein extrem rechtsradikaler Kampfverband. Mittlerweile ist das Bataillon doch sehr schwer einzuordnen. Zu Beginn des Krieges haben sie ein Papier veröffentlicht, in welchem sie sowohl das stalinistische Regime, als auch das Regime des deutschen Faschismus verurteilen und ablehnen. Das Nazi-Regime wird in diesem Papier explizit als terroristisch deklariert. Wir haben keinerlei Kooperationen mit diesen Kräften, deshalb kann ich die momentane politische Ausrichtung aktuell auch nicht näher beschreiben. Aktuell bekämpft auch dieses Bataillon den heutigen Faschismus, der in Form der russischen Truppen die Ukraine angreift.

Hast du noch abschließende Worte oder möchtest etwas ergänzen?

Ich lege meine Hoffnung in die progressiven Kräfte des Westens. Solidarität ist unsere Waffe und mit dieser werden wir den Faschismus besiegen. No Pasaran!

(Interview: Lucas Maier)

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