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Aktivistin Annika Rittmann zum Klimastreik: „Das Geld ist da, wenn man es nicht in Autos investiert“

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Von: David Zauner

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An mehr als 40 Orten demonstriert „Fridays for Future“ gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi.
An mehr als 40 Orten demonstriert „Fridays for Future“ gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi. © dpa

Aktivistin Annika Rittmann über die Mobilitätswende, Gewerkschaften als Verbündete - und warum es anstrengend ist, immer wieder auf die Straße zu gehen

Frau Rittmann, mit wie vielen Menschen rechnen Sie am Freitag auf den Straßen?

Bundesweit ist das immer schwierig einzuschätzen. Aber die letzten Tage und Wochen gab es viel positiven Zuspruch. Meine Erwartungshaltung ist, dass dieser Klimastreik noch einmal mehr Dynamik und Wirkung erzeugt als im September. Inzwischen sind 250 Aktionen in der gesamten Republik angemeldet, davon in über 40 Orten gemeinsam mit Verdi.

Und warum am 3. März?

Wir stimmen die Termine immer international ab. Wir wollen den Klimadiskurs das ganze Jahr über nicht einschlafen lassen. Unsere Erfahrung ist: Sobald niemand mehr auf der Straße für Klimaschutz kämpft, wird politisch so getan, als ob niemand mehr an Klimaschutz interessiert wäre. Außerdem stehen Entscheidungen an. Die Ampel-Regierung plant einige Gesetzgebungen, es sind bald Tarifverhandlungen und Verkehrsminister Wissing blockiert die Mobilitätswende. Es ist also allerhöchste Zeit, um wieder zu zeigen, dass Menschen weiter für Klimagerechtigkeit kämpfen und bereit sind, dafür auf die Straße zu gehen.

Für faire Bezahlung hat Verdi in einigen Bundesländern große ÖPNV-Streiks angekündigt. Warum ist die Zusammenarbeit zwischen der Klimabewegung und den Gewerkschaften so wichtig?

Im öffentlichen Diskurs werden faire Bezahlung und Investitionen in den Schienenverkehr oft gegeneinander ausgespielt. Dagegen können wir nur gemeinsam, die Klimabewegung und Verdi, ein Zeichen setzen. Das Geld ist da, wenn man es nicht in Autos investiert. Man kann den ÖPNV ausbauen und die Mitarbeiter:innen trotzdem fair bezahlen. Klimaschutz muss in eine gute Sozialpolitik eingebunden werden. „Wer bezahlt den Klimaschutz?“ ist eine wichtige Frage. Die Antwort darf aber nicht sein, dass man keinen Klimaschutz macht, weil er zu teuer ist. Klimaschutz und Sozialpolitik schließen sich nicht aus.

Sehen Sie Verdi und auch andere Gewerkschaften als Verbündete?

Natürlich gibt es auch Unterschiede zwischen uns, einer relativ dynamischen Bewegung und einer Gewerkschaft. Mit Verdi befinden wir uns in einem ständigen Aushandlungsprozess darüber, was man wann und wie fordert. Aber am Ende ist die Kooperation mit Gewerkschaften und Sozialverbänden superwichtig, um zu verhindern, gegeneinander ausgespielt zu werden. Wir als Jugendbewegung haben in sozialpolitischen Fragen natürlich teilweise andere Perspektiven und je nach Thema eine andere gesellschaftliche Legitimation, wenn wir uns äußern.

Protest in Frankfurt

In Frankfurt beginnt der Demonstrationszug der „Fridays for Future“ und verbündeter Organisationen an diesem Freitag um 12 Uhr auf dem Opernplatz. Eine Stunde früher treffen sich die Teilnehmer:innen eines Sternmarschs am Bockenheimer Hülya-Platz, an der Heilbronner Straße im Gutleut und am Südbahnhof, um zur Alten Oper zu ziehen. Von dort geht es dann gemeinsam zum Römerberg, dem Standort des Frankfurter Rathauses.

Zur Teilnahme aufgerufen sind auch die Beschäftigten im öffentlichen Personennahverkehr. Von den insgesamt gut 240 angemeldeten Demonstrationen im Bundesgebiet finden einige in der Rhein-Main-Region statt, außer Frankfurt etwa in Bad Homburg, Hanau, Aschaffenburg, Darmstadt, Mainz und Wiesbaden.

Eine Übersicht der Treffpunkte gibt es unter fridaysforfuture.de ill

Die Forderungen heute sind weitestgehend dieselben wie schon beim ersten Klimastreik: Ausbau der Erneuerbaren, Mobilitätswende und die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens. Was bringt es, diese Forderungen immer wieder auf die Straße zu tragen?

Sobald Menschen nicht mehr auf der Straße stehen, kommt irgendwer und sagt, die Menschen wollen keinen Klimaschutz. Deshalb ist es wichtig, unsere Anliegen immer wieder auf die Straße zu bringen. Zudem hat sich seit dem ersten Klimastreik schon einiges verändert. Das wird gerne übersehen. In den letzten Jahren hat eine massive Diskursverschiebung stattgefunden. Vor drei Jahren hatte man das Gefühl, dass einige Politiker:innen im Zweifel „Klima“ kaum buchstabieren konnten.

Im September 2019 nahmen in Deutschland 1,4 Millionen Menschen am Streik teil - daran konnten Sie bisher nicht mehr anknüpfen. Liegt das nur an Corona?

Corona war auf jeden Fall ein wichtiger Faktor. Wir merken, dass die Aktionen jetzt langsam wieder größer werden. Aber ich glaube, wir haben uns das am Anfang auch zu einfach vorgestellt. Viele von uns sind davon ausgegangen, dass man die Proteste mal ein Jahr durchzieht und dann gibt es vernünftige Klimapolitik. Auch wir mussten lernen, dass das so einfach nicht geht und viele Menschen gezielt und organisiert gegen Klimaschutz arbeiten. Das ist anstrengend und es ist auch anstrengend, immer und immer wieder auf die Straße zu gehen. Aber es gibt keine andere Wahl, als weiterzumachen und die Menschen mitzunehmen.

Annika Rittmann (20) ist Klimaaktivistin und Studentin.
Annika Rittmann (20) ist Klimaaktivistin und Studentin. © Metodi Popow/Imago

In einem Interview sprachen Sie von einem sozialen Kipppunkt. Sind wir dem nähergekommen?

Es ist ein großes Hin-und-her-Gependel. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wurde immer wieder als Argument dafür genommen, dass wir keine Zeit hätten, uns Gedanken über Klima zu machen. Gleichzeitig ist vielen Menschen so klar geworden wie nie zuvor, dass fossile Abhängigkeiten schlecht sind und wir eine erneuerbare Energieversorgung brauchen. Die Krise hat uns zwar zurückgeworfen, aber wir sind auch an manchen Stellen weitergekommen.

In vielen Ländern der Welt wird am Freitag demonstriert. Wo ist der Protest besonders relevant?

Es lohnt sich immer der Blick in Länder, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind, und den Leuten dort zuzuhören. Viele Länder sind auf sehr unterschiedliche Art und Weise schon heute tagtäglich von der Klimakrise betroffen. Demonstrationen sind in diesen Ländern oft nicht so gut besucht wie zum Beispiel in Deutschland. Das kann an einem repressiven Regime liegen oder daran, dass Leute es sich nicht leisten können, zu streiken. Deshalb ist es auch unsere Aufgabe im reichen Deutschland, mit diesen Menschen solidarisch zu sein und gegen ihre Unterdrückung einzustehen. In Hamburg etwa trägt eine Person vor, die selbst vor den Auswirkungen der Klimakrise geflohen ist. Diese Sichtbarkeiten zu schaffen, ist unheimlich wichtig.

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