Amnesty-Regionalchefin über El Salvadors Dauer-Ausnahmezustand: „Es ist ein perverses Spiel“

Amnesty-Amerika-Chefin Erika Guevara schildert die dramatische Lage in El Salvador, wo Präsident Nayib Bukele die Sicherheitskräfte mit harter Hand auf Tausende, teils Unschuldige, loslässt.
Seit zehn Monaten herrscht in El Salvador Ausnahmezustand. Der autoritäre Staatschef Nayib Bukele rechtfertigt dies mit dem notwendigen Kampf gegen die mafiaähnliche Jugendbanden „Maras“, die weite Teile des zentralamerikanischen Landes terrorisieren. Aber seit dem 27. März hat sich die Menschenrechtssituation in El Salvador dramatisch verschlechtert. In ihrem Vorgehen gegen die Banden nehmen die Sicherheitskräfte auch Unschuldige und irgendwie Verdächtige fest. Die Gefängnisse sind heillos überfüllt, die Festgenommenen werden misshandelt und ihr Tod billigend in Kauf genommen. Im Ausnahmezustand räumt Bukele alle Bürgerrechte und demokratischen Partizipationsrechte aus dem Weg. Er will sich zudem trotz Verfassungsverbot 2024 wiederwählen lassen und geht gegen die kritische Presse vor. Die Frankfurter Rundschau sprach mit Erika Guevara, Amerika-Chefin von Amnesty International, über die Lage im Land.
Frau Guevara, El Salvador ist zwar oft in den Schlagzeilen, allerdings meist wegen der Entscheidung Bukeles, den Bitcoin als nationale Währung zu implementieren. Aber im Schatten dieses hochriskanten Finanz- und Wirtschaftsumbruchs baut der Präsident sein Land in rasendem Tempo zu einem autoritären Staat um.
Wir sehen in El Salvador eine dramatische Krise der Menschenrechte. In den vergangenen zehn Monaten sind 60 000 mutmaßliche Bandenmitglieder, aber auch Unschuldige festgenommen worden. 90 Menschen sind unter unvorstellbaren Haftbedingungen seither gestorben. Dazu demontiert Bukele den Rechtsstaat, schränkt die demokratische Teilhabe ein.
Bukele regiert seit Mitte 2019, er war bis dahin ein fast Unbekannter. Er inszeniert sich als moderner, hipper und virtuell-affiner Präsident. War ein solcher Demokratieabbau zu erwarten?
Nein, ich hatte Gelegenheit, mit Bukele vor seinem Amtsantritt zu sprechen, und er hat zugesagt, die Menschenrechte zu wahren. El Salvador hat ja mit dem langen Bürgerkrieg eine sehr gewaltsame Vergangenheit. Aber er hat nicht nur seine Zusagen gebrochen, es ist sogar alles noch schlimmer geworden.

Ist Bukele schon auf dem Weg zu einem Diktator?
Da kann ich nichts zu sagen, wir schauen vor allem auf die Menschenrechte, und da ist mein Urteil eindeutig: Bukele ist ein Menschenrechtsverletzer, der das Land mit einer autoritären, populistischen und auf Bestrafung setzenden Politik umkrempelt. Er tut alles dafür, damit er um jeden Preis an der Macht bleiben kann, koste es was es wolle. Es ist ein perverses Spiel.
Zur Person
Erika Guevara ist ausgebildete Menschenrechtsanwältin und seit 2013 Amerika-Direktorin der Nichtregierungsorganisation Amnesty International. FR
Der Staatschef stützt sich auf seine sehr hohe Popularität, die sich auf den scheinbar erfolgreichen Kampf gegen die Banden und den Rückgang der Mordraten stützt.
Aber das darf doch kein Freibrief sein für die Verletzung der Menschenrechte! Der Ausnahme- ist inzwischen Dauerzustand, in den Gefängnissen herrschen unvorstellbare Zustände, und oft verhalten sich die Militärs nicht viel anders gegenüber der Bevölkerung als die Maras. Zum Beispiel bei den willkürlichen Hinrichtungen Unschuldiger. Es ist nur ein Übel durch ein anderes ersetzt worden.
Einher mit dem Kampf gegen die Banden geht eine Militarisierung der öffentlichen Sicherheit und damit des ganzen Landes.
Das ist ja eine Tendenz, die wir in ganz Lateinamerika sehen. Die öffentliche Sicherheit wird zunehmend ausgelagert an die Streitkräfte. In Mexiko, Ecuador und Brasilien, und ganz besonders in Zentralamerika – vor allem in Honduras, Guatemala und eben El Salvador. In der Folge nehmen die Menschenrechtsverletzungen zu. Wir dürfen nicht vergessen, dass Lateinamerika eine Region ist, in der das Militär immer eine bedenkliche Rolle hatte, denken wir nur an die früheren Militärdiktaturen in Südamerika.
Das heißt, es sieht nicht gut aus für El Salvador?
Im Moment sehe ich kein Licht am Ende des Tunnels. Aber jetzt muss auch die internationale Gemeinschaft ihre schüchterne und halbherzige Politik gegenüber Bukele aufgeben und die Kritik verstärken. Der Druck auf die Regierung muss erhöht werden.
Interview: Klaus Ehringfeld