1. Startseite
  2. Politik

Das heimliche Mastermind hinter Chinas Konfrontation mit den USA

Erstellt:

Von: Sven Hauberg

Kommentare

Wang Huning
Wang Huning ist einer der wichtigsten Berater von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping. © Wang Zhao/AFP

Auf ihn hört sogar Chinas allmächtiger Staatschef: Wang Huning, der „wahrscheinlich einflussreichste Intellektuelle der Welt“, prägt das Land wie kaum ein anderer.

München/Peking – Es ist ein eher unscheinbarer Schritt ins Rampenlicht. Im Oktober 2017 öffnet sich die große, reich verzierte Doppeltür des Goldenen Saals in der Großen Halle des Volkes im Herzen Pekings. Vor die versammelte Weltpresse tritt zunächst Xi Jinping, den Chinas Kommunistische Partei soeben im Amt als Parteichef bestätigt hatte. Hinter ihm, im Gänsemarsch: die sechs weiteren Mitglieder des Ständigen Ausschusses von Chinas mächtigem Politbüro, darunter, auf Platz fünf der Hierarchie –Wang Huning. Schüchtern blickt Wang sich um, er verbeugt sich kurz, als sein Name genannt wird. Dann überlässt er, wie es Sitte ist bei dieser streng durchchoreografierten Zeremonie der Macht, Xi Jinping die Bühne. Während Xi spricht, steht Wang stumm neben ihm, er ist der zweite von links.

Etwas abseitsstehen, unauffällig sein, aber dennoch in der Herzkammer der Macht agieren: Das ist die Rolle, in der sich Wang Huning gefällt. Kaum jemand in China war in den vergangenen Jahrzehnten so mächtig wie der 1955 in Shanghai geborene Wang, und wohl kaum einer verstand es so gut, dabei kaum aufzufallen. „Wang Huning spielt eine ganz entscheidende Rolle in der Kommunistischen Partei“, sagt der Münchner Sinologe Hans van Ess im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau.

Wang Huning lehrte Chinas Kommunisten, den Westen zu verachten

Wang war es, der Chinas Kommunisten einst lehrte, den Westen zu verachten. Natürlich blickte die Führung der Volksrepublik schon immer mit einer Mischung aus heimlicher Bewunderung und offener Ablehnung auf die Länder des Westens, vor allem auf die USA. In den 80er-Jahren aber, als China sich nach Jahrzehnten der freiwilligen Abschottung wieder öffnete, war noch nicht ganz klar, welchen Pfad das Land einschlagen würde. „Da gab es noch lebhafte Diskussionen über den richtigen Weg und regelrechte Flügelkämpfe“, sagt van Ess. Und selbst nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 standen China alle Optionen offen. „Es gab Diskussionen darüber, wie das richtige System für China eigentlich auszusehen habe“, so van Ess. Sogar freie Wahlen schienen möglich, zumindest auf lokaler Ebene.

In diese Gemengelage platzte 1991 ein Buch, das Wang Huning, damals Politik-Professor an der renommierten Fudan-Universität in Shanghai, in den Monaten zuvor verfasst hatte: „Amerika gegen Amerika“, eine Mischung aus Reisebericht, politischer Analyse und ideologisch gefärbtem Pamphlet. 1988 war Wang für sechs Monate durch die USA gereist, das „kapitalistische Land Nummer Eins“, wie er schreibt, er besuchte mehr als zwei Dutzend amerikanische Städte, eine Siedlung der Amischen, die Coca-Cola-Fabrik in Atlanta.

Das politische System der USA ist laut Wang für ihren Abstieg verantwortlich

Fassungslos erzählt Wang in dem Buch zudem, was er in Kalifornien erlebt hat, in einem Park gleich neben der Universität von Berkeley: „Da waren Hunderte von in Lumpen gekleideten Menschen, sie verbrachten dort jede Nacht, einige mit kleinen Zelten aus Lumpen, andere mit Zeitungen auf dem Boden, auf denen sie schliefen.“ Wie kann das sein, diese Armut im reichsten Land der Welt?

Die Antwort findet Wang Huning im politischen System der USA. „Meine Analyse zeigt, dass die mächtigen Gruppen, die die Politik beherrschen, über dem einfachen Volk stehen“, schreibt er. An den Spitzen von Politik und Wirtschaft würden Menschen sitzen, die nur ihre eigenen Interessen verfolgen, die USA beschreibt er als einen riesigen Selbstbedienungsladen. Zudem sei das Land zerrissen zwischen scheinbar unauflöslichen Widersprüchen. Wang schreibt über Rassenunruhen, über religiösen Fundamentalismus und spirituelle Leere, über einen überbordenden Individualismus, der die amerikanische Familie zerstöre.

„Das Buch von Wang Huning hat mit dazu beigetragen, dass man sich in Chinas Führung gesagt hat: Der Weg, den der Westen eingeschlagen hat, kann nicht der Richtige sein“, sagt Hans van Ess. „Und so haben sich in Chinas Führung die Leute durchgesetzt, die auf dem Pfad der Einparteienherrschaft beharren wollten und dafür plädiert haben, dass die Kommunistische Partei über alles die Kontrolle behält.“

Chinas „Lehrer der drei Generationen“ beeinflusst auch Xi Jinping

Mitte der 1990er-Jahren begann Wangs Aufstieg vom gefeierten Intellektuellen zum einflussreichen Politiker. Unter Staats- und Parteichef Jiang Zemin kletterte Wang in der Polithierarchie der Kommunistischen Partei immer weiter nach oben. Jiangs Nachfolger Hu Jintao nahm ihn mit zu Staatsbesuchen und holte ihn ins Politbüro. Dort rückte er unter Xi Jinping in den Ständigen Ausschuss vor, in dem er heute noch immer sitzt, mittlerweile an vierter Stelle. Für Xi erdachte Wang den „Chinesischen Traum“ vom Wiederaufstieg der Volksrepublik zur Weltmacht. Wie kaum ein anderer beherrscht er die Kunst, konkrete politische Zielvorstellungen in griffige Slogans zu verpacken.

„Was das schiere politische Überleben angeht, ist Wang einzigartig, da er nun schon seit über 30 Jahren unter drei aufeinanderfolgenden Führern in der obersten Ebene der Kommunistischen Partei tätig ist“, urteilt David Shambaugh, einer der besten Kenner der chinesischen Machtstrukturen. „Lehrer der drei Generationen“ oder „Lehrer des Staates“ sind nur zwei der inoffiziellen Titel, die man Wang verliehen hat.

Als ein wütender Mob im Januar 2021 das Kapitol in Washington stürmte, sprach man in China plötzlich wieder über Wangs längst vergriffenes Buch. Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete damals, dass einzelne Exemplare von „Amerika gegen Amerika“ für bis zu 2.500 Dollar bei chinesischen Onlinehändlern verkauft worden seien. Dabei muss man in China das Buch gar nicht lesen, um zu verstehen, was schiefläuft in den USA. Ein Blick ins Staatsfernsehen reicht, wo täglich aufs Neue die Horrormeldungen präsentiert werden, die Amerika ja tatsächlich wie am Fließband produziert: Schießereien, die Drogenepidemie, die Hunderttausenden Corona-Toten.

Nächste Aufgabe: die Taiwan-Frage

Xi Jinpings „Chinesischer Traum“, den Wang Huning einst erdachte, hat den „American Dream“ längst verdrängt. Die beiden Staaten haben einen Konfrontationskurs eingeschlagen, von dem sie kaum mehr abzubringen sind. In Washington überbieten sich Republikaner und Demokraten in ihren Verbalangriffen auf China, und in Peking warnte unlängst Staatschef Xi: „Die westlichen Länder, allen voran die Vereinigten Staaten, haben eine umfassende Eindämmung und Unterdrückung Chinas betrieben, die die Entwicklung des Landes in nie gekanntem Maße behindert.“ Wang dürfte es genauso sehen.

In diesem Frühjahr bekam Wang, den der Sinologie Daniel Leese unlängst den „wahrscheinlich einflussreichsten Intellektuellen der Welt“ nannte, von Xi Jinping eine weitere Rolle zugewiesen: Er ist als Vorsitzender eines wichtigen Beratungsgremiums nun mitverantwortlich für Chinas Taiwan-Politik. Die Volksrepublik betrachtet den demokratisch regierten Inselstaat als Teil des eigenen Staatsgebiets.

Anfang Februar traf Wang Huning einen führenden taiwanischen Oppositionspolitiker und schlug dabei überraschend sanfte Töne an. Beide Seiten sollen „gemeinsam den Frieden und die Stabilität in der Taiwanstraße sichern“, sagte Wang laut chinesischen Staatsmedien. Wie das gehen soll angesichts der zunehmenden militärischen Drohungen Chinas, während in Taiwan sich nur noch eine verschwindend kleine Minderheit eine „Wiedervereinigung“ mit der Volksrepublik vorstellen kann – auf diese Frage muss Wang nun eine überzeugende Antwort finden. Sollte ihm das nicht gelingen, dürfte der Konflikt mit dem Westen weiter eskalieren. Denn Xi Jinping hat längst klargemacht: Wenn es um Taiwan geht, wird China „niemals versprechen, auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten“.

Auch interessant

Kommentare