Alternative für Christen?

Während die AfD gezielt um konservative Christen wirbt, geht der Klerus auf Distanz. Doch eine gewisse Nähe im Hinblick auf die Tradition ist nicht zu leugnen.
„Die einzige christliche Partei, die es noch gibt“, nannte AfD-Vorsitzende Alice Weidel kürzlich ihre Partei. Erstaunlich, hatte doch Weidels Co-Vorsitzender Alexander Gauland rund eineinhalb Jahre zuvor noch genau das Gegenteil bekundet: „Wir sind keine christliche Partei“, die AfD verteidige lediglich „das traditionelle Heimatgefühl“.
Ja, was denn nun? Hat sich die AfD in eineinhalb Jahren etwa von der in Teilen rechtsradikalen Protestpartei zur christlichen Volkspartei geläutert? „Im Gegenteil“, sagt Anette Schultner, ehemalige Sprecherin der parteiinternen Bundesvereinigung Christen in der AfD (ChrAfD). Deshalb sei sie im Oktober auch aus der Partei ausgetreten. „Aus meinem persönlichen Erleben kann ich sagen, dass das völkische Höcke-Lager in der AfD tonangebend wird. Und das ist dann schwierig für Christen, diese Position von innen als Mitglied oder von außen mit der Wählerstimme zu unterstützen.“
Von der AfD in die Petry-Partei
Dabei wollte Schultner nach eigenen Angaben mit der ChrAfD ein „Korrektiv“ für eben jenes völkische Lager um den thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke formieren – vergeblich. Zwar seien in der ChrAfD „tendenziell die gemäßigteren AfDler“, sagt Schultner, aber: „Zu viele ChrAfD-Mitglieder beugen sich dem Höcke-Lager oder gehören ihm eben doch an.“ So spendete der Schatzmeister der ChrAfD, Hardi Schumny, 2009 beispielsweise noch 40 Euro an die NPD. Als seine Privatspende im Herbst 2017 bekannt wurde und sogar von ChrAfD-Mitgliedern „schöngeredet“ worden sei, sei für sie das Maß überschritten, gewesen, sagt Schultner. Sie verließ die AfD und heuerte dann bei der „Blauen Partei“ der früheren AfD-Chefin Frauke Petry an.
Der Wuppertaler Hartmut Beucker, lange engagiertes Laienmitglied im Presbyterium der evangelischen Gemeinde Elberfeld Südstadt, wandelt dagegen auf umgekehrten Wegen: Seine AfD-Kandidatur für den NRW-Landtag stieß in seinem Kirchengremium derart auf Unverständnis, dass es zurücktrat. Damit verlor Beucker sein Kirchenamt; er erwägt nun, der ChrAfD beizutreten. „Denken und Fühlen sind für ‚christliche Organisationen‘ noch nicht wieder frei genug“, sagte Beucker zur FR.
„Die Kirche hat sich so überflüssig und irrelevant für mich gemacht, ich kann auch alleine glauben.“ Im Gegensatz zu Schultner, die Anstoß am Höcke-Flügel genommen hatte, urteilt Beucker: „Mag von da auch der eine oder andere ‚Aufreger‘ kommen und dies auch unklug sein, meine ich doch nicht, dass es den Rahmen der Verfassung verlässt.“ Beuckers Kirchengremium äußerte dagegen sein „Unverständnis, wie eine Kandidatur für die AfD, die uns allen vor allem durch die populistischen Aussagen ihrer prominenten Vertreter, zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage, bekannt ist, mit christlichem Glauben und der Übernahme eines exponierten Amtes in unserer Gemeinde zu vereinbaren ist“. Man betrachte mit Sorge, „dass die Barmherzigkeit und Liebe Christi von AfD-Politikern vereinnahmt wird, um durch Betonung ihrer christlichen Wurzeln ihr ‚deutschtümelndes‘ Handeln und Reden zu rechtfertigen“.
Die Stellungnahme nahm im Kleinen vorweg, was auch eine Studie des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften der Universität Münster ergab. Auf Wunsch der katholischen Ostbistümer, wo sich Katholiken von der AfD besonders angesprochen fühlen, haben darin fünf Theologen die „christlichen“ Positionen der AfD auf Herz und Nieren überprüft. Dabei ging es um Themen, die „(extrem) konservative Katholikinnen und Katholiken“ beispielsweise in privaten Nachrichtenportalen wie kath.net diskutieren.
Der Studie zufolge lässt sich dort „das politische Potenzial ausloten, das die AfD in den christlichen Kirchen bedient“. Analog zu kath.net gibt es für evangelische Konservative die Plattform idea.de.
Jenen konservativen Christen geht es politisch um die immer selben Themen Familie, Gender-, Islam- und Abtreibungskritik. Dazu werde sich auf kath.net „vielfach unterstützend zur AfD geäußert“, so die Wissenschaftler. Umgekehrt bedient die AfD diese Themen mitunter gezielt mit christlichem Anstrich: So wartete die AfD-Vizechefin Beatrix von Storch in ihrem Online-Adventskalender am 24. Dezember 2016 direkt unter einem Krippenbild mit dem Slogan „Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene“ auf.
Aus Kirchenkreisen baut der Dominikaner Wolfgang Ockenfels auf kath.net Brücken zwischen AfD und Kirche; es sei „nicht unchristlich, dieser Partei anzugehören oder sie zu wählen“, zitiert ihn das Nachrichtenportal. Im März 2017 sprach Ockenfels sogar persönlich auf einem „Extremismuskongress“ der Berliner AfD und verwendete seine Redezeit darauf, gegen den Islam zu polemisieren: „Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber viele Terroristen sind leider Muslime“, ließ er im AfD-Sprech verlauten, befeuert durch die ironische Frage: „Kann einer genau definieren, was der Unterschied zwischen Islam und Islamismus ist?“ Überhaupt sei es „eine grauenhafte Zumutung, den Koran lesen zu müssen“. Unter seinen Mitbrüdern stehe Ockenfels wegen seiner AfD-Nähe im Abseits, heißt es aus Ordenskreisen. Auch sein Provinzial, Peter Kreutzwald, distanziert sich auf FR-Nachfrage von Ockenfels’ AfD-Sympathien: „Die Mehrheit der Mitbrüder der Dominikanerprovinz Teutonia vertritt in dieser Frage deutlich andere Positionen.“
Genauso kritisch sieht die Münsteraner Studie die vermeintlichen Schnittstellen zwischen AfD-Positionen und katholischem Glauben. Zwar bestehe eine gewisse Nähe „zwischen dem von der AfD stark gemachten konservativen Familienbild und der traditionellen katholisch-lehramtlichen Auffassung der Familie und der Geschlechterrollen“. Zugleich entlarvt die Studie aber, dass die familienpolitische AfD-Agenda einem „übergeordneten ethno-nationalen Interesse“ geschuldet sei. Dagegen werden Christen „den Schutz der Familie keiner ideologischen Einschränkung unterwerfen, sie nicht demographisch instrumentalisieren und sich im Gegenteil explizit gegen eine solche Selektivität wenden müssen“.
Im Wahlprogramm der AfD hingegen, führt die Studie an, stehe selbst das Thema Abtreibung „ausdrücklich im Dienst eines ‚Paradigmenwechsel(s) hin zu einer nationalen Bevölkerungspolitik‘“. Dem halten die Theologen – den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, zitierend – entgegen, „dass es der Kirche um Menschenwürde in allen Dimensionen gehe, ‚nicht nur beim Lebensschutz, auch in der Flüchtlingsfrage‘“.
Für die Flüchtlinge und gegen die AfD ergriff Marx bei der Vollversammlung der deutschen Bischöfe vor einem Jahr Partei. Bei der aktuell tagenden Frühjahrsvollversammlung der Bischöfe in Ingolstadt ist die AfD dagegen kein Thema mehr.
Dabei wäre das nach Meinung von Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), angesichts der immer weiter nach rechts rückenden AfD dringend notwendig.
„Ich halte eine klare Abgrenzung der Kirche von der AfD für überdringlich“, sagte Sternberg der FR mit Blick auf die Bischofsversammlung.
Dass der kirchenpolitische Sprecher der AfD, Volker Münz, dagegen bei dem im Mai stattfindenden Katholikentag des ZdK auf einem Podium vertreten sein wird, verteidigte Sternberg: „Wir laden zu einer Podiumsveranstaltung alle kirchenpolitischen Sprecher der Fraktionen im Bundestag ein – dazu gehört leider auch die AfD.“ Münz kam indes bereits am Dienstag mit dem katholischen Kirchenvertreter im Bundestag, Prälat Karl Jüsten, zusammen.
Auch Jüstens evangelisches Pendant, der EKD-Bevollmächtigte im Bundestag Martin Dutzmann, hat bereits einzelne AfD-Politiker in seinem Büro am Berliner Gendarmenmarkt begrüßt. Die Gespräche seien „freundlich“ verlaufen, sagte Dutzmann der FR. Eine „pauschale Unvereinbarkeitserklärung“ über ein Engagement in Kirche und AfD will er nicht aussprechen, aber: „Prominente AfD-Politiker haben sich in einer Weise öffentlich geäußert, dass ich daran nichts Christliches erkennen kann“, sagt Dutzmann. Dazu gehöre auch die Formel vom christlichen Abendland. „Diese dient erkennbar dazu, alles Fremde aus unserem Kulturkreis auszuschließen. Mit der Bibel lässt sich eine solche Haltung nicht begründen.“
Auf das „christliche Abendland“ verweisen AfD-Politiker unbeirrt beim Thema Islam. Über den treffe die AfD laut Dutzmann zu Unrecht verunglimpfende Pauschalisierungen: „Führende AfD-Abgeordnete reduzieren den Islam auf den politischen Islamismus und wollen entsprechend Freiheitsrechte für Muslime einschränken“, kritisiert Dutzmann. „Dagegen setzen sich die Kirchen zum Beispiel für muslimischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ein.“
„Die letzte christliche Partei“, wie Weidel sagte, ist die AfD also mitnichten. Oder, wie Dutzmann es formuliert: „Wer sich als Christ parteipolitisch engagiert, muss sich fragen, ob dieses Engagement dem entspricht, wofür Jesus Christus steht. Manche Positionen der AfD stehen in Spannung und manche Äußerungen im Widerspruch zum christlichen Glauben. Deshalb wird, wer sich als Christ in der AfD engagiert, besonders aufmerksam sein müssen.“