„Achillesferse“ der Verteidigung: Sind die Åland-Inseln eine Gefahr für die Nato?
Militärisch neutral und weitgehend autonom – die Inselgruppe Åland könnte durch den Nato-Beitritt Finnlands ein wichtiger Verteidigungsstützpunkt werden. Das Problem: Die militärische Infrastruktur fehlt.
Mariehamn – Aus Sorge vor einer russischen Aggression wegen des Ukraine-Kriegs hat sich die Einstellung zum Verteidigungsbündnis geändert. Mit dem Nato-Beitritt Finnlands gewinnen die Åland-Insel an Bedeutung für die Verteidigung der Nato. Das, obwohl die Inselgruppe seit knapp 200 Jahren demilitarisiert ist. Der autonome und militärisch neutrale Sonderstatus regt nun Zweifel bei der finnischen Regierung. Der Grund: Åland könnte zu einem wichtigen Stützpunkt für die Nato werden.
Russisches Konsulat: Überwachung des Entmilitarisierungsabkommens
Das Inselparadies liegt mit seinen 6700 Inseln und Schären in der Ostsee zwischen Finnland und Schweden – 15 Kilometer von der finnischen Küste und 40 Kilometer von der schwedischen Küste entfernt. Zwar ist Åland kulturell und sprachlich näher an Schweden, trotzdem gehört es politisch offiziell zu Finnland. Åland ist weitgehend autonom: Eigene Regierung und eigene Flagge. Nun zählt sie jedoch zu dem Nato-Einzugsgebiet. Damit kann die Inselgruppe für Russland interessant werden – den autonomen Status Ålands hat Russland bisher nicht anerkannt.

Im 19. Jahrhundert gehörte Finnland für eine kurze Zeit zu Russland. Seitdem ist in der Hauptstadt Marienhamn ein russisches Konsulat vertreten. Das soll besonders in Zeiten des Kalten Krieges als Spionageposten gedient haben. Offiziell dient es zur Überwachung des Entmilitarisierungsabkommens. „Das Konsulat ist Teil des russischen Spionagesystems in Finnland“, urteilte der ehemalige Präsidentenberater Alpo Rusi im vergangenen Jahr. Eine Großrazzia in 2018 habe gezeigt, dass russische Staatsbürger viele große Grundstücke auf der Inselgruppe gekauft und mit Hubschrauberlandeplätzen und Landungsstegen versehen hätten. Harmlos oder nicht, misstrauisch macht das die Einwohner auf jeden Fall. Das Konsulat könnte zwar schnell von der finnischen Regierung geschlossen werden, man wolle aber keine unverhältnismäßigen Reaktionen Russlands provozieren. Die Situation ist seit dem Nato-Beitritt Finnlands bereits angespannt.
„Achillesferse“ der Verteidigung: Finnland und Schweden erstellten detaillierte Verteidigungspläne
Auf Åland fehlt die militärische Infrastruktur, um sich im Fall einer Eskalation zwischen Russland und der Nato zu verteidigen. Es wird befürchtet, dass die Inselgruppe ein leichtes Ziel für Russland sein könnte. Die Bedrohung schätzt Charly Salonius-Pasternakder, leitende Forscher am Finnischen Institut für Internationale Beziehungen in Helsinki, weniger gravierend ein. „Es ist natürlich eine große Herausforderung, wenn die Nato nicht tun kann, was normalerweise zur Verteidigung des eigenen Territoriums gehört. Wird es dadurch aber unmöglich, das Gebiet zu verteidigen? Nein, natürlich nicht“, so der Forscher im Gespräch mit ntv. Aktuell wäre eine Verteidigung trotzdem „schwieriger und tödlicher, als sie sein müsste.“

Demnach hätten Finnland und Schweden seit Jahrzehnten ausgearbeitet, die eine hypothetische Verteidigung aussehen müsse. Rechtlich ist eine Militarisierung durch Finnland nicht ausgeschlossen. Auch der finnische Grenzschutz vor Ort könne aktiv werden und im Kriegsfall dem Verteidigungsministerium unterstellt werden, so der Verteidigungsexperte. Es gäbe zudem eine Reservistengruppe mit etwa 2000 Insulanern, die einen finnischen Wehrdienst geleistet hätten – freiwillig, da die Einwohner Åland von der Wehrpflicht befreit sind.
Um eine Aggression Russlands vorzubeugen, sollten diese Maßnahmen nicht voreilig beschlossen werden. „Eine Militarisierung Alands würde wahrscheinlich Konsequenzen haben. Wir dürfen nicht vergessen, dass weder die Sowjetunion noch Russland jemals der Neutralisierung der Åland-Inseln zugestimmt haben“, sagt Salonius-Pasternak. Man müsse auch bedenken, dass sich die Sicherheit Ålands nach einem Nato-Beitritt Schwedens deutlich erhöhen werden. Laut Rusi ist die Archipel in der Ostsee somit die „Achillesferse der finnischen Verteidigung“ – und auch der Nato. (hk)