1. Startseite
  2. Politik

Nach AKW-Abschaltung: Streit über Stromversorgung geht weiter

Erstellt:

Von: Joachim Wille

Kommentare

Der Strom kommt nicht mehr von Atomkraftwerken, wie hier vom  Kernkraftwerk Emsland. Woher dann?
Der Strom kommt nicht mehr von Atomkraftwerken, wie hier vom Kernkraftwerk Emsland. Woher dann? © Sina Schuldt/dpa

Der Atomkraftwerke sind abgeschaltet, nun muss das Stromsystem umbaut werden. Wie, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Berlin – Die Angst vor einem Blackout wegen der von Putin ausgelösten Energiekrise war groß – vor allem bei der FDP und der Opposition. Auf Druck der Lindner-Partei beschloss die Ampel-Bundesregierung im letzten Herbst, die Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke von Ende Dezember auf Mittel April zu verschieben. Die Reaktoren liefen dafür im „Streckbetrieb“. Aktuelle Analysen zeigen nun: Die Stromversorgung wäre auch ohne die drei AKW sicher gewesen, der Klimaschutz profitierte nur minimal, und der dämpfende Einfluss der Laufzeitverlängerungen auf die Strompreise fiel gering aus. Nun kommt es darauf an, das Elektrizitätssystem umzubauen, um eine schnelle CO2-Reduktion bei tragbaren Kosten zu erreichen.

AKW-Aus in Deutschland: Streit über Stromversorgung geht weiter – ist die Nachfrage gedeckt?

Die Versorgungssicherheit ist auch nach dem endgültigen Ausstieg am Samstag gewährleistet. „Es steht genügend gesicherte Kraftwerksleistung aus anderen Anlagen bereit, um die Stromnachfrage auch nach der Abschaltung der Atomkraftwerke zu decken“, heißt es dazu bei der Bundesnetzagentur. Laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hatten die drei AKW Emsland (Niedersachsen), Neckarwestheim II (Baden-Württemberg) und Isar II (Bayern) während des Streckbetriebs von Januar bis Mitte April einen Anteil an der Stromerzeugung von 4,5 Prozent, etwa ein Drittel weniger als im Schnitt im Gesamtjahr 2022. Zu Hochzeiten der Atomstrom-Produktion hierzulande, Ende der 1990er Jahre, waren es rund 35 Prozent gewesen.

Strompreise

Befürchtungen, dass die AKW-Abschaltung die Strompreise an der Börse und bei Haushaltskunden aktuell erhöhen, haben sich nicht bewahrheitet. Preisanstiege an den Märkten seien weder im Großhandel noch für die Haushalte erkennbar, heißt es dazu bei der Verbraucherzentrale NRW. Strom sei bereits für die kommenden Wochen und Monate gehandelt worden, und die Marktakteure hätten sich schon „auf die neue Situation eingestellt“.

Auch das Vergleichsportal Verivox erwartet kurzfristig keine Auswirkungen auf die Elektrizitätspreise für Haushaltskunden. Mittel- bis langfristig seien allerdings Auswirkungen denkbar, weil mit den AKW günstige Stromkapazitäten aus dem Markt genommen wurden, die vor allem in Zeiten hoher Nachfrage ersetzt werden müssen. Hier sei es entscheidend, wie schnell der Ausbau der erneuerbaren Energie vorankommt.

Für Haushaltskunden, die einen neuen Tarif abschließen wollen, sind die Stromkunden aktuell deutlich gesunken. Es gibt Stromtarife ab rund 32 Cent pro Kilowattstunde plus Grundpreis. Zu Hochzeiten der Gaskrise lagen sie bei über 50 Cent. Das Vergleichsportal Check 24 erwartet „weiterhin eine positive Entwicklung der Strompreise“. Auch die Verbraucherzentrale NRW rechnet für die nächsten Monate mit einer weiteren Entspannung. Preissenkungen seien aber noch selten. jw

AKWs gehen vom Netz: „Reaktoren hätte zu jeder Zeit durch Gaskraftwerke ersetzt werden können“

Eine Studie des Berliner Analyse-Instituts Enervis zeigt, dass die drei Reaktoren von November, als der Streckbetrieb bereits lief, bis zum April rund 12,2 Terawattstunden Strom produzierten. Da im Gegenzug Erdgas-Kraftwerke gedrosselt wurden, sparte das Erdgas ein, allerdings nur 2,2 Terawattstunden, was etwa 0,3 Prozent des bundesweiten Gasverbrauchs entspricht. „Die ohnehin gedrosselte Stromerzeugung der drei Reaktoren hätte zu jeder Zeit durch verfügbare Gaskraftwerke ersetzt werden können“, kommentierte Studienleiter Tim Höfer. Auftraggeber der Studie waren die Ökoenergie-Genossenschaft Green Planet Energy und die Umweltorganisation Greenpeace.

Der dämpfende Einfluss auf den CO2-Ausstoß und die Strompreise fiel laut der Analyse ebenfalls eher gering aus. Die wegen des AKW-Betriebs gedrosselte Erdgas- und Kohleverstromung senkte den CO2-Ausstoß um 1,5 Millionen Tonnen, was 0,7 Prozent der Emissionen der Stromwirtschaft und 0,2 Prozent der deutschen Gesamtemissionen ausmacht, die 2022 rund 761 Millionen Tonnen betrugen. Die Strompreise sanken unterdessen 2023 um 2,10 Euro pro Megawattstunde (MWh), wobei der durchschnittlichen Strompreis 2022 bei 235 Euro/MWh gelegen hatte, also um unter ein Prozent.

Die Enervis-Studie wie auch eine weitere Analyse der atomkritischen Organisationen „ausgestrahlt“ und „Deutsche Umwelthilfe“ zeigen zudem, dass die Laufzeitverlängerung zu einem höheren Elektrizitätsexport in die Nachbarländer führte. Ein Hauptabnehmer war dabei Frankreich, wo wegen des Stillstandes zahlreicher AKW Stromknappheit herrscht. Gründe sind dort vor allem Sicherheitsprobleme der alternden Reaktorflotte.

Gingen die AKWs zu spät vom Netz? Energie-Expertin kritisiert geforderte Laufzeitverlängerungen

Carolin Dähling von Green Planet Energy sagte: „Rückblickend hätte die Bundesregierung die Reaktoren wie geplant vom Netz nehmen sollen.“ Erneuerbare Energien, Energiesparmaßnahmen und die Flexibilität im Stromnetz hätten im Winter deutlich mehr geholfen als die drei AKW. Greenpeace-Experte Heinz Smital kritisierte Forderungen nach erneuten Laufzeitverlängerungen. Sie seien „unseriös und sogar gefährlich“. Atomreaktoren beinhalteten hohe Risiken, die durch militärische Auseinandersetzungen in Europa sogar noch anstiegen. Die FDP hatte vorige Woche gefordert, die drei Reaktoren weiterhin betriebsbereit zuhalten, die Union plädierte für Laufzeitverlängerungen bis Ende 2024.

AKW-Aus: Forderung nach schnellem Bau neuer Erdgas-Kraftwerke

Umstritten ist unter Lobbyverbänden und Fachleuten, wie das Stromsystem umgebaut werden muss, um Stromverfügbarkeit auch bei einem auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg zu garantieren, wie ihn die Bundesregierung aus Klimagründen, laut Koalitionsvertrag „idealerweise“, anpeilt. Der BDEW fordert mehr Tempo beim Bau neuer Erdgas-Kraftwerke, die allerdings „wasserstofffähig“ (H2-ready) sein sollen. Sie seien nötig, „um die Versorgungssicherheit jederzeit gewährleisten zu können“, sagte dessen Chefin Kerstin Andreae. Die Gasanlagen lieferten „gesicherte, regelbare Leistung als Partner der erneuerbaren Energien“. Könnten sie nicht rechtzeitig in Betrieb gehen, werde das hohe CO2-Emissionen zur Folge haben, da dann Kohlekraftwerke länger laufen müssten.

Ähnlich argumentierte der „Branchenverband Zukunft Gas“. Für den Neubau von Gaskraftwerken fehle es derzeit an Investitionsanreizen, sagte Vorstand Timm Kehler. Der Verband warnt davor, dass ohne solche Anreize bis 2030 „mindestens 15 Megawatt an gesicherter Leistung im deutschen Strommarkt fehlen werden“.

AKW-Aus erfordert Umbau des Stromsystems – Warnung vor „fossilen Gasbrücken“

Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) hingegen warnt vor neuen „fossilen Gasbrücken“ mit der „Irgendwann-H2-ready-Option“. Diese seien unnötig und kontraproduktiv. Der BEE plädiert für eine andere Strategie, um das fluktuierende Angebot von Solar -und Windkraft auszugleichen. BBE-Präsidentin Simone Peter sagte: „Mit dem Einstieg ins post-atomare Zeitalter muss auch das post-fossile Zeitalter entschieden vorangetrieben werden.“ Der Ausbau der erneuerbaren Energien müsse beschleunigt und das Energiesystem auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet werden.

Die fluktuierende regionale Stromerzeugung aus Sonnen- und Windenergie braucht demnach als Ergänzung statt zentraler Großkraftwerke „ein flexibles und dezentrales Back-up“ mit Speichern, grüner Kraft-Wärme-Kopplung und mehr Flexibilität bei den Stromverbrauchern. Zudem müsse die Politik Anreize setzen für mehr Flexibilität bei Wasserkraft und Geothermie, die kontinuierlich Energie liefern, beziehungsweise für Bioenergie, die, wie Biogas oder Holzpellets, speicherbar ist.

Auch interessant

Kommentare