Die Bundesregierung ist laut Maas mit dem Bundestag über ein Mandat für den Evakuierungseinsatz im Gespräch. Angesichts der aktuellen Gefahrenlage ist nach Informationen der Bild am Sonntag eine nachträgliche Mandatierung wahrscheinlich.
+++22.12 Uhr: Bei ihrem Eroberungszug durch Afghanistan haben die Taliban auch die Großstadt Masar-i-Scharif im Norden eingenommen. Dort war bis vor wenigen Wochen ein großes Feldlager der Bundeswehr, seit Ende Juni sind die deutschen Soldaten aus dem Krisenstaat abgezogen. Damit hält die Regierung lediglich noch zwei Großstädte - Dschalalabad im Osten und die Hauptstadt Kabul.
Gegen 21 Uhr (Ortszeit) sollen die Islamisten in die wirtschaftlich starke Metropole Masar-i-Scharif eingedrungen sein, hieß es aus Sicherheitskreisen. Daraufhin hätten sie Gefangene aus dem Zentralgefängnis der Stadt freigelassen. Ein großer Teil der Sicherheitskräfte habe sich in den Bezirk Tschahar Kent und in das Camp Marmal in der Nähe des Flughafens zurückgezogen.
Der Provinzrat Sabiullah Kakar sagte, die Stadt sei vollständig unter Kontrolle der Islamisten. Auch das 209. Armeekorps am Rande der Stadt sei gefallen, durch einen „Deal“ mit den Islamisten. Alle Errungenschaften der vergangenen 20 Jahre, sagte Kakar weiter, seien zunichte. Mohammad Atta Nur und Abuld Raschid Dostum sollen in die Stadt Hairatan an der Grenze zu Usbekistan geflohen sein und versuchen, die Grenze zu überqueren. Auch andere Sicherheitskräfte würden dasselbe versuchen.
+++ 20.10 Uhr: Die Taliban haben auf ihrem Eroberungszug durch Afghanistan den ehemaligen Bundeswehr-Standort Masar-i-Scharif eingenommen. Dies berichtet die Bevölkerung der nordafghanischen Stadt am Samstag der Nachrichtenagentur AFP. „Sie paradieren mit ihren Fahrzeugen und Motorrädern und schießen in die Luft, um zu feiern“, berichtete Atiqullah Ghajor, der in der Nähe der berühmten blauen Moschee der Stadt wohnt.
+++ 14.00 Uhr: Die Taliban sollen sich wenige Kilometer vor der afghanischen Hauptstadt befinden. Berichten zufolge wollen sie Kabul durch eine Belagerung „isolieren“ (s. Update von 12.00 Uhr). Internationalen Beobachtenden zufolge haben die Taliban zuvor das gesamte Gebiet der Provinz Logar eingenommen. Provinzbeamte seien festgenommen worden. Die Angaben, wie viele Kilometer die radikal-islamische Organisation noch von Kabul entfernt sei, gehen auseinander. Die Deutsche Presse-Agentur sprach in einer Mitteilung von 70 bis 80 Kilometern. Die Nachrichtenagentur AFP ging hingegen von 50 Kilometern aus.
+++ 12.00 Uhr: Nach dem Fall der zweit- und drittgrößten Stadt Afghanistans ist Kabul die letzte Bastion der Regierungstruppen, die anderswo kaum oder gar keinen Widerstand leisteten. Nun haben die islamistischen Taliban die afghanische Hauptstadt weitgehend umstellt – rund 50 Kilometer entfernt lagern sie von der Millionenstadt. Aus Washington D.C. hieß es dennoch, Kabul befinde „sich im Moment nicht in einer unmittelbaren Bedrohungslage“. Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums räumte jedoch ein, dass „die Taliban-Kämpfer versuchen, die Stadt zu isolieren“.
Derweil kündigte der afghanische Präsident Aschraf Ghani eine „Remobilisierung“ der Streitkräfte an. Dies habe „oberste Priorität“, sagte er am Samstag (14.08.2021) in einer Fernsehansprache. Zudem liefen „Beratungen“ mit politischen Verantwortungsträgern und internationalen Partnern über eine politische Lösung, um dem Land „Frieden und Stabilität“ zu sichern, versicherte der Präsident. Berichte über heftige Kämpfe gab es aus dem nördlichen Masar-i-Scharif. Die Stadt, wo die Bundeswehr zuletzt ihr größtes Feldlager hatte, ist das wirtschaftliche Zentrum der Region im Norden, die immer als Bollwerk gegen die Taliban galt. Der berüchtigte Kriegsherr Abdul Raschid Dostum hatte dort zuletzt seine Milizen versammelt. Die einzigen anderen größeren Städte, die noch nicht von den Taliban eingenommen wurden, sind Dschalalabad, Gardes und Chost.
Erstmeldung vom Samstag, 14.08.2021: Kabul/Washington D.C. – In großem Tempo erobern die Taliban weite Teile Afghanistans. Die US-Regierung hat den Sicherheitskräften und der Führung des Landes schwere Vorwürfe gemacht – angesichts des Vormarsches der radikalislamischen Terrorgruppe sprachen die USA von mangelnder Kampfbereitschaft.
Seit Beginn des vollständigen Abzugs der Nato-Truppen aus Afghanistan haben die Taliban große Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. In den vergangenen acht Tagen nahmen die Islamisten rund die Hälfte der 34 afghanischen Provinzhauptstädte ein, darunter zuletzt auch die zweitgrößte Stadt Kandahar. Am Freitag (13.08.2021) standen sie nach Eroberung der Provinzhauptstadt Pul-i-Alam nur noch 50 Kilometer vor Kabul, wie ein Regionalabgeordneter der Provinz Logar mitteilte.
Es sei „beunruhigend“ zu sehen, dass die politische und militärische Führung nicht den „Willen“ gehabt habe, sich dem Vormarsch der Taliban zu widersetzen, sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby, dem Nachrichtensender CNN. Die USA hätten den „fehlenden Widerstand“ durch die afghanischen Streitkräfte nicht vorhersehen können, sagte Kirby im Interview mit dem Sender.
Auch der frühere deutsche Nato-General Egon Ramms machte im Gespräch mit dem Deutschlandfunk die afghanischen Sicherheitskräfte für die raschen Geländegewinne der Taliban verantwortlich. Diese seien durch die USA gut ausgerüstet und durch die Bundeswehr gut ausgebildet worden, ihnen mangele es aber an Kampfmoral. Neben der Angst vor den Taliban sei diese auch durch deren schlechte Bezahlung zu erklären. Es sei zwar zu erwarten gewesen, dass die Terrorgruppe nach dem Abzug der westlichen Truppen Teile des Landes zurückerobern würden – das Tempo des Vormarsches sei allerdings überraschend.
Außenpolitiker Norbert Röttgen (CDU) forderte ein Einschreiten des Westens und der Bundeswehr gegen die Taliban. „Man darf nicht dabei zuschauen, wie Menschen, die uns lange verbunden waren, von den Taliban abgeschlachtet werden, wie Mädchen und Frauen alle hart erkämpften Rechte wieder verlieren“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
„Der einseitige und übereilte Abzug aus Afghanistan war ein Fehler“, urteilte Röttgen. Deutschland müsse dies „offen gegenüber den USA kommunizieren und darauf drängen, dass sie ihre bereits stattfindende Luftunterstützung der afghanischen Streitkräfte intensivieren“. „Das können wir aber nur dann fordern, wenn wir auch selbst bereit sind, etwas zu leisten“, mahnte der Außenpolitiker.
Deutschland und andere westliche Staaten arbeiten derweil unter Hochdruck daran, Botschaftsmitarbeiter und Ortskräfte in Sicherheit zu bringen. Neben Deutschland kündigten andere europäische Länder wie Großbritannien und Spanien die Ausreise von Botschaftspersonal an. Die USA sagten das Ausfliegen Tausender Menschen täglich zu und veranlassten die Zerstörung sensiblen Materials in ihrer Botschaft in Kabul.
Staaten wie Deutschland, Großbritannien, die Niederlande und Spanien entschlossen sich zur Reduzierung ihres Botschaftspersonals in Kabul. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) erklärte, die deutsche Botschaft solle „arbeitsfähig“ bleiben, das Personal werde aber „auf das operativ notwendige absolute Minimum“ reduziert. Dänemark und Norwegen kündigten die vorläufige Schließung ihrer diplomatischen Vertretungen in Kabul an.
Das US-Militär hatte am Donnerstag (12.08.2021) verkündigt, rund 3000 Streitkräfte als Verstärkung zum Flughafen Kabul zu verlegen, um die Reduzierung des Personals der US-Botschaft zu unterstützen. Rund 5000 weitere Streitkräfte werden zudem im Nahen Osten stationiert, um als mögliche Verstärkung bereitzustehen. (tvd/tu mit dpa/AFP)