Hass-Liebe der Linken zu Sahra Wagenknecht: Jetzt platzt der Spitze der Kragen

Die Linke kann nicht ohne Sahra Wagenknecht und ihre Verbündete – aber wohl auch nicht mit ihr. Der Parteichef wird nun laut. Und viele Genossen bangen.
Brüssel/Frankfurt - „I can‘t live/with or without you“ heißt es in einem alten U2-Hit. Wer will, kann die Zeile auf die Linke und ihr Enfant Terrible Sahra Wagenknecht übertragen: Seit Monaten empört Wagenknecht große Teile ihrer Genossen mit steilen Thesen zum Thema Russland, mit teils als rechtsaußen gelesenen Forderungen in Sachen Migration - und mit der impliziten Drohung, eine neue Partei zu gründen. Trotzdem will die Linke Wagenknecht und ihre Vertrauten halten. Denn eine Spaltung könnte das Aus für die Partei bedeuten.
Linken-Co-Chef Martin Schirdewan hat nun dennoch ungewohnt harte Worte an Wagenknechts Adresse gerichtet. Er warf der Ex-Fraktionschefin in einem Gespräch mit der Neuen Osnabrücker Zeitung vor, „hilflose Erpressungsversuche“ gegen die eigene Partei zu fahren. Bislang hatte die Linken-Spitze meist auf allgemein gehaltene, vorsichtige Kritik an Wagenknecht und ihren Verbündeten gesetzt.
Wagenknecht macht Druck auf die Linke - Partei-Chef Schirdewan platzt der Kragen
Doch mit der neuesten Volte ist Wagenknecht offenbar zumindest für Schirdewan einen Schritt zu weit gegangen. Sie hatte just in der konservativen Welt ein vergiftetes Angebot gemacht. Sie werde die Gedankenspiele über eine Parteineugründung einstellen, wenn die Linke sich „völlig neu aufstellen würde, mit attraktiven Köpfen an der Parteispitze und einem vernünftigen Kurs“, erklärte Wagenknecht.
Schirdewan wertete das als Versuch, die innerparteiliche Willensbildung auszuhebeln. „Wir sehen einmal mehr, welch demokratisches Verständnis bei einigen vorherrscht“, rügte er. „Bei uns entscheiden Parteitage und nicht Äußerungen in den Medien über eine politische Richtung, auch wenn das für die eine oder den anderen Genossen schwer zu akzeptieren scheint.“ Es sei „selbstverständlich“, dass man auf einen Versuch der Erpressung nicht eingehen werde.
Linken-Größen fürchten um die Partei: „Dann wird es keine relevante linke Partei mehr geben“
Zugleich scheint es aber, als fürchte eine ganze Riege prominenter Linke-Politiker um ihr Werk. Es irritiere, „wie einige da mit dem Feuer spielen“, hatte der scheidende Parlamentarische Geschäftsführer der Linken im Bundestag, Jan Korte, zuletzt der taz gesagt. Zerfalle die Linke, „könnte es die nächsten 15 bis 20 Jahre keine relevante linke Partei mehr geben in diesem Land“, warnte er. Korte versuchte, den Blick vom Wagenknecht-Konflikt abzulenken: „Das hat obsessive Züge, sowohl auf der einen Seite bei jenen, die sie für Gott halten, aber auch auf der anderen, die sie für den Teufel hält.“
Mit Gregor Gysi und Fraktionschef Dietmar Bartsch hatten sich zuletzt zwei weitere Partei-Größen schlichtend zwischen die beiden Lager geworfen - ohne Namen zu nennen. „Schluss mit permanentem öffentlichen Streit, mit gegenseitiger Denunziation, mit Egotrips“, hieß es Mitte April in einem gemeinsamen Appell der beiden. „Die Bildung einer zweiten linken Partei ist völlig überflüssig.“ Aber auch Ausschlussverfahren seien schädlich.
Wagenknecht stichelt weiter gegen „woke Lifestyle-Themen“ - gibt es schon neue Mitstreiter?
Wagenknecht ficht das allerdings nicht an. „Manche denken, nur der Streit sei das Problem, und natürlich ist der destruktiv“, erklärte sie in der Welt - und stellte direkt ihren Grundsatzkonflikt mit der Partei über diese Frage: „Aber das Hauptproblem ist doch, dass eine Linke, die grüner als die Grünen sein will und sich mit woken Lifestyle-Themen beschäftigt, einfach keine ausreichende Wählerbasis hat“, betonte sie.
Korte sieht das anders: Warum eine „Politik für die ganz unten“ verbunden werden müsse, „mit dem Reflex, den Einsatz für Menschen- und Bürgerrechte oder gegen den menschengemachten Klimawandel als Lifestylezeugs abzutun, leuchtet mir nicht ein“, sagte er der taz.
Unterdessen hat Wagenknecht nach Informationen der Welt bereits eine mögliche, recht prominente, Mitstreiterin. „Meiner Meinung nach braucht es eine politische Kraft, eine Partei der Vernunft, die nicht Ideologie oder Moral in den Mittelpunkt stellt, sondern Sachargumente“, sagte die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guerot dem Blatt. Eine Entscheidung sei aber noch nicht gefallen. Guerot hatte sich als Corona-Kritikerin positioniert - und will zwar nicht gemeinsame Sache mit der AfD machen, aber auf „moralische Ausgrenzung“ verzichten. (fn)