„Rechtsextrem“ als Gütesiegel: „Junge Alternative ist Radikalisierungmotor der AfD“
Die AfD-Parteijugend ist gesichert rechtsextrem, entschied nun der Verfassungsschutz. Abschrecken lassen sich AfD-Wählende davon nicht, glaubt Experte Jan Riebe.
Berlin - Weil sie Menschen mit Migrationshintergrund als Deutsche zweiter Klasse sieht, wurde die Junge Alternative Ende April vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft und steht fortan unter Beobachtung. Die AfD-Jugendorganisation wird dadurch nicht weniger radikal auftreten als in der Vergangenheit, sagt Jan Riebe, Rechtsextremismusexperte bei der Amadeu-Antonio-Stiftung, im Interview mit FR.de von IPPEN.MEDIA. Im Gegenteil: Die Einstufung als rechtsextrem diene vielen sogar als eine Art „Gütesiegel“.
Herr Riebe, der Verfassungsschutz hat die Junge Alternative jetzt als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. Kann man sagen, die Junge Alternative ist radikaler als die AfD?
Ja, ich würde sagen, dass die Junge Alternative radikaler ist. Das sieht man allein daran, dass letztes Jahr Hannes Gnauck zum Vorsitzenden gewählt wurde, der vom militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr als Extremist eingestuft wurde. Auch der Schulterschluss mit der Identitäten Bewegung ist bei der Jungen Alternative sehr eng. Die AfD tritt da mit Alice Weidel und Tino Chrupalla im Vorstand vergleichsweise gemäßigt auf, sie hinkt der Entwicklung zwei, drei Jahre hinterher. Die Junge Alternative ist der Radikalisierungsmotor der AfD, und da ist sie auch sehr stolz darauf.

Eine Art Testlauf für die AfD
Welche Reaktion ist von der Jungen Alternative zu erwarten? Wird sie sich durch die Entscheidung eventuell mäßigen?
Dass sie sich mäßigt, ist nicht zu erwarten. Die Junge Alternative hat sich hinsichtlich ihres Personals und ihrer Vernetzung im Laufe der Zeit immer mehr radikalisiert, und von diesem Kurs wird sie jetzt nicht Abstand nehmen. Ihr Vorsitzender Gnauck hat auch schon angekündigt, rechtlich gegen die Einstufung durch den Verfassungsschutz vorgehen zu wollen.
Auch die Mutterpartei AfD nimmt die Entscheidung nicht zum Anlass, sich zu distanzieren, sondern solidarisiert sich mit der Jungen Alternative. Für die AfD ist das eine Art Testlauf: Welche öffentlichen Strategien sind jetzt erfolgreich, einerseits rechtlich, andererseits medial? Denn es ist ja durchaus so, dass die AfD als Ganzes eines Tages als rechtsextrem eingestuft werden könnte.
Wie wird es sich auf die AfD insgesamt auswirken, dass ihre Jugendorganisation jetzt als rechtsextrem gilt?
Ich vermute, das wird keine direkten Folgen haben. Vor allem im Osten wird es die wenigsten stören. Für den Westen fährt man die kommunikative Strategie, dass die Einstufung als rechtsextrem ein politisch motiviertes Urteil ist und nichts damit zu tun hat, dass man wirklich rechtsextrem ist. Würde man davon ausgehen, dass die Entscheidung die eigenen Wähler groß stört, würde sich die AfD jetzt mehr von ihrer Jugendorganisation abgrenzen.
Warum kam die Entscheidung des Verfassungsschutzes genau jetzt?
Für den Verfassungsschutz haben sich einzelne Anhaltspunkte zur Gewissheit verdichtet, dass die Aktivitäten der Jungen Alternative gegen die Verfassung verstoßen. Ausschlaggebend ist, dass die Junge Alternative ein völkisches Gesellschaftskonzept propagiert. Deutsche werden in zwei Klassen eingeteilt: Einerseits die nach ihrer Definition „ethnisch“ Deutschen und andererseits die „Passdeutschen“, also Menschen, die über einen deutschen Pass verfügen, aber zum Beispiel einen Migrationshintergrund haben. Diese Vorstellung darüber, wer deutsch ist und wer nicht, verstößt gegen unser Grundgesetz.

In der Jungen Alternative gibt es viele Radikale, die von ihren Ansichten überzeugt sind
Welche Folgen hat die Entscheidung für die Junge Alternative?
Der Verfassungsschutz kann die Organisation jetzt anhand von nachrichtendienstlichen Maßnahmen beobachten, also zum Beispiel observieren, Telefonate abhören und V-Leute anwerben und einschleusen.
Die Junge Alternative und die AfD argumentieren jetzt, das Bundesamt für Verfassungsschutz sei nicht neutral, da es im SPD-geführten Innenministerium angesiedelt ist und daher nach SPD-Linie entscheide. Was kann man dem entgegensetzen?
Das ist eine klare Strategie der Jungen Alternative und der AfD. Es geht darum, den Mitgliedern nach innen zu signalisieren: Die Entscheidung des Verfassungsschutzes zeigt nur, dass wir die einzig wahre Opposition sind. Es klingt paradox, aber die Einstufung als rechtsextrem dient der Jungen Alternative sogar als eine Art Gütesiegel: Wir werden den Herrschenden gefährlich, deswegen stufen sie uns jetzt als rechtsextrem ein.
Wie wirkt die Einstufung als rechtsextrem auf die Mitglieder der Organisation? Werden einige Abstand nehmen?
Die Entscheidung kann dazu führen, dass junge Leute, die da hingehen und gleichzeitig im öffentlichen Dienst arbeiten, die Organisation offiziell verlassen oder es vermeiden, dort gesehen zu werden. Aber die Junge Alternative ist eine recht kleine Organisation mit zirka 2100 Mitgliedern. Eine Austrittswelle ist nicht zu erwarten, dafür gibt es zu viele Radikale, die von ihren Ansichten sehr überzeugt sind.
Was sind das für junge Menschen, die bei der Jungen Alternative dabei sind?
Es sind vor allem junge, männliche Akademiker, viele aus studentischen Verbindungen und Burschenschaften. Großteils stammen die Mitglieder aus einem rechten, intellektuellen Milieu. Und es sind oft sogenannte Bewegungsrechte, also solche, die gerne bei Aktionen und Demos dabei sind. Im Unterschied zu einigen in der AfD, die den Gang ins Parlament als Weg sehen, um etwas zu verändern, gehen sie den Weg eher über die Straße.
Und wie rekrutiert die Organisation neue Mitglieder?
Sehr stark über die sozialen Medien, vor allem Instagram, aber auch TikTok und Facebook. Aber auch durch Gesellschaft stiftende Events wie Stammtische, Computerspiel-Events, Fußballturniere, Wanderungen, Sonnwendfeiern, Schulungen und Lesungen. Insgesamt sind die Veranstaltungen eine Mischung aus körperlicher Ertüchtigung und ideologischen Schulungen. Sie dienen als Gruppenevents für Leute, die sich noch nicht sicher sind, und sich das Ganze erst einmal ansehen wollen.
Das Interview führte Stephanie Munk.