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Äthiopiens Kirche droht die Spaltung

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Von: Johannes Dieterich

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Politik und Religion sind in Äthiopien schon seit Hunderten von Jahren eng miteinander verbunden.
Politik und Religion sind in Äthiopien schon seit Hunderten von Jahren eng miteinander verbunden. © imago

Von geistlicher Führung angefeuerte Proteste eskalieren

Äthiopien muss nicht nur einen verheerenden Kollaps wie einst Jugoslawien befürchten: Jetzt steht auch seine Kirche, eine der ältesten christlichen Gemeinschaften der Welt, vor einer Spaltung. In dem zweitbevölkerungsreichsten Staat des Kontinents bahnt sich ein Schisma der rund 1700 Jahre alten „Äthiopischen Orthodoxen Tewahedo Kirche“ (EOTC) an, nachdem drei Erzbischöfe und 26 Bischöfe Ende Januar eine eigene Synode, die „Äthiopische Kirche von Oromo und anderen Nationen und Nationalitäten“, gründeten.

Die EOTC-Führung reagierte inzwischen mit der Exkommunikation der abtrünnigen Geistlichen und rief zu öffentlichen Kundgebungen auf. Am Wochenende folgten Zigtausende von Gläubigen in mehreren Städten des 120 Millionen Einwohner:innen zählenden Staates dem Aufruf. Die abtrünnigen Kirchenführer exkommunizierten ihrerseits die geistlichen Oberhäupter der EOTC und riefen ebenfalls zu

Demonstrationen auf. Bereits vor zehn Tagen war es in der 200 Kilometer südlich von Addis Abeba gelegenen Provinzstadt Shashamane zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen EOTC-Mitgliedern und der örtlichen Polizei gekommen. Dabei erschossen die Sicherheitskräfte „mehr als 30 Gläubige“, berichtete ein Kirchenführer.

Die Gründe für das Schisma haben nichts mit Glaubensfragen zu tun, sie sind vielmehr eng mit den ethnischen Spannungen in Äthiopien verbunden. Als größte ethnische Gruppe Äthiopiens (rund 35 Prozent der Bevölkerung) klagen die Oromo seit Jahrzehnten, von politischen Entscheidungen weitgehend ausgeschlossen zu sein: Auch in der Führung der Kirche seien Angehörige ihrer Ethnie unterrepräsentiert. Die abtrünnigen Bischöfe fordern, dass in orthodoxen Gottesdiensten außer dem altäthiopischen Ge’ez und Amharisch auch die Sprache der Oromo zum Zug kommt. Und dass für die Oromia-Provinz ein eigenes Patriarchat eingerichtet wird. Solche Forderungen seien von einer ethnischen Identitäts-Politik getrieben, kritisiert der äthiopische Theologe Desta Heliso. Die abtrünnigen Kirchenführer suchten der Kirche eine dem ethnischen Arrangement in der Politik entsprechende Struktur zu verpassen.

Politik und Religion sind in Äthiopien schon seit Hunderten von Jahren eng miteinander verbunden. Auch wenn die Verfassung den Staat als säkular bezeichnet, kommt die EOTC faktisch einer Staatskirche gleich und wird zumindest teilweise von öffentlichen Geldern finanziert. Auf die Abspaltung Eritreas von Äthiopien folgte 1993 die Trennung der „Eritreischen Orthodoxen Tewahedo Kirche“ von der EOTC. Und als sich die tigrische Minderheit (sechs Prozent der Bevölkerung) nach der Vertreibung des „roten Diktators“ Mengistu Haile Mariam 1991 als dominante Volksgruppe des Landes etablierte, verdrängte auch Tigrays Patriarch Abune Mathias den amharischen Patriarchen Abune Merkorios, der ins Exil in die USA floh.

Der derzeitige Regierungschef Abiy Ahmed sieht sich von der Kirchenspaltung vor ein Dilemma gestellt. Einerseits gilt der Sohn eines Oromo als leidenschaftlicher Gegner der Dominanz der Tigray; andererseits sucht der einstige Offizier einen starken Zentralstaat zu etablieren, der von ethnischer Identitäts-Politik gefährdet wird.

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