Abtreibung: „In vielen Köpfen sitzt das Klischee: Diese Frauen sind zu doof zu verhüten“

Laura Dornheim hat ein Ratgeberbuch über Abtreibungen veröffentlicht. Ein Gespräch über den Wegfall des Paragrafen 219a und welcher Tipp für ungeplant Schwangere der wichtigste ist.
Werdende Mütter finden bücherregalmeterweise Ratgeberliteratur über Schwangerschaft und die ersten Monate mit Kind, aber eine Frau, die über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenkt, findet – nichts. Diese Lücke füllt nun die Sachbuchautorin Laura Dornheim: Sie hat zusammengestellt, was man über eine Abtreibung wissen sollte in medizinischer, psychologischer, sozialer und praktischer Hinsicht.
Frau Dornheim, Sie haben den ersten Ratgeber zu Abtreibungen verfasst. Wie sind bisher die Reaktionen – werden Sie angefeindet?
Bisher habe ich sehr, sehr viele positive Reaktionen bekommen und nur wenige hässliche. Tatsächlich bin ich im Moment noch etwas misstrauisch, ob das vielleicht die Ruhe vor dem Sturm ist oder ob diejenigen auf andere Themen aufgesprungen sind. Ich schreibe und rede ja schon länger über Abtreibungen, und ich habe für einzelne Tweets schon größere Shitstorms erlebt als jetzt für ein ganzes Buch.
Es gibt sehr viele Ratgeber für werdende Mütter, Sie haben quasi das Gegenteil geschrieben. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Sachbuch über Abtreibungen zu machen?
Ich würde nicht sagen, dass es das Gegenteil ist, weil die meisten Frauen, die einen Abbruch machen, schon Mütter sind. Als die Diskussion über den Paragrafen 219a Fahrt aufnahm, hatte ich den Eindruck, es gibt entweder nur Horrorberichte zu diesem Thema, bei denen man nie weiß, ob sie wahr sind, oder es gibt Sachinformationen, nach denen man allerdings gut suchen muss. Ich kannte aber keine Erfahrungsberichte von Menschen, die sagen: Ich hatte einen Abbruch, und mir geht es gut. Diese Sichtweise gibt es ja auch. Nachdem ich öffentlich über meinen eigenen Abbruch gesprochen hatte, war es außerdem so, dass ich mindestens einmal im Jahr einen Anruf von einer ungewollt schwangeren Frau bekam, die Rat suchte.
Man würde annehmen, dass die Frauen heutzutage zuerst im Internet nach Informationen darüber suchen, bevor sie jemanden anrufen.
Es ist ein interessantes Phänomen, dass alle, mit denen ich gesprochen habe, sagen: Ich will dazu jetzt nicht online gehen, und ich weiß nicht, wo ich gute Informationen dazu bekomme. Dabei bewege ich mich eher in einem akademischen, feministischen Umfeld, wo das Internet als Informationsquelle naheliegend wäre. Was den Frauen gefehlt hat, waren persönliche Unterstützung und vertrauensvolle Beratung, ein Ratgeber eben. Irgendwann habe ich gedacht: Gut, dann muss ich den eben schreiben.
Warum haben Sie sich dann für die Form eines Buchs entschieden? Warum nicht für eine Internetseite?
Wir arbeiten noch daran, ob zum Beispiel das Nachschlageverzeichnis des Buchs nicht auch als Webseite verfügbar sein sollte. Ich finde aber in Buchform gebündelte Informationen in der Situation, in der die Frauen sind, besser – das ist etwas, das man in die Hand nehmen kann. Es war mir wichtig, die Dinge mit der Leserin Schritt für Schritt, in Ruhe durchgehen zu können. Im Netz schreibt man doch komprimierter. Und es ging auch darum, das Thema Abtreibung, das sonst so unsichtbar gemacht wird, physisch in die Welt zu bringen.
Sie sind keine Ärztin oder Psychologin. Wie sind Sie zu den Informationen gekommen?
Ich beschäftige mich schon sehr lange mit dem Thema. Und ich bin schon sehr lange in entsprechenden Netzwerken aktiv, in denen auch viele Berater:innen und Gynäkolog:innen sind. Für das Buch habe ich auch eines der wenigen vorhandenen medizinischen Fachbücher zu dem Thema zu Rate gezogen, in dem die Methoden des Abbruchs beschrieben werden. Der medizinische Teil meines Buchs wurde von zwei Ärztinnen gegengelesen, und ich habe immer wieder mit Ärzt:innen Rücksprache gehalten, damit die Informationen stimmen.
In dem Buch duzen Sie Ihre Leserinnen. Warum?

Zu Person und Thema
Laura Dornheim (39) ist Mutter zweier Kinder. Sie hat Wirtschaftsinformatik studiert und wurde in Gender Studies promoviert. Dornheim ist Stadträtin für IT der bayerischen Landeshauptstadt München. Sie ist Mitglied der Grünen.
Die Aufhebung des hoch umstrittenen Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche hatte der Bundestag im Juni 2022 beschlossen. Eine große Mehrheit stimmte dafür, den entsprechenden Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Dieser regelte, dass für Abtreibungen nicht geworben werden darf, führte aber immer wieder dazu, dass Ärztinnen und Ärzte nicht ausführlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren konnten, ohne Strafverfolgung zu riskieren.
Die Zahl der Abtreibungen in Deutschland ist 2022 mit rund 104 000 gemeldeten Fällen um 9,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, teilte das Statistische Bundesamt am Montag mit. 70 Prozent der betreffenden Frauen waren zwischen 18 und 34 Jahren alt. coe/dpa/epd
Das ist eine bewusste Entscheidung. Der Ratgeber soll einer Betroffenen zur Seite stehen wie eine gute Freundin, mit allen Fachinformationen, die man von einer vertrauten Ärztin bekommt. Und wenn ich wie mit einer guten Freundin sprechen will – dann bin ich beim Du.
Dass Ihr Buch ausgerechnet jetzt erscheint, hängt das zusammen mit dem Wegfall des Paragrafen 219a im vergangenen Sommer, als die Bundesregierung das Werbeverbot für Abtreibungen gestrichen hat?
Indirekt, weil ich durch die Debatte um den Paragrafen 219a über meinen eigenen Abbruch gesprochen hatte. Die Idee zu dem Buch stand aber schon fest, bevor er final gestrichen war. Ob das Buch unter den Paragrafen 219a gefallen wäre, weiß ich nicht, weil ich das nicht mehr prüfen musste. Ich hätte mich von rechtlichen Bedenken aber auch nicht abhalten lassen.
Eines der ersten Kapitel Ihres Buchs trägt den Titel „Du hast nichts falsch gemacht“. Warum ist Ihnen diese Feststellung wichtig?
Weil ich keine einzige Person kenne, die festgestellt hat, dass sie ungewollt schwanger ist, und die sich nicht sofort selbst Vorwürfe gemacht hat und Schuldgefühle hatte. Das sitzt so tief. Wir werden total dazu angehalten, nicht ungeplant schwanger zu werden, es wird aber nie darüber gesprochen, was geschieht, wenn es doch passiert. Alles, was man darüber liest, geht in die Richtung: Wenn du in dieser Situation bist, dann hast du einen Fehler gemacht. Das ist aber nicht so. Es gibt kein einziges Verhütungsmittel, das zu hundert Prozent sicher ist. Und selbst wenn man mal nicht daran gedacht hat, ist auch das zutiefst menschlich. In vielen Köpfen sitzt das Klischee: Abtreibung, diese Frauen sind zu doof zu verhüten. Das widerspricht aber jeder Statistik, und in dem Klischee spiegelt sich auch ein bestimmtes Frauenbild wider: verantwortungslos, irgendwie nicht sittsam. Deswegen ist es mir wichtig, den Stress, den man sich selber macht in einer eh schon stressigen Situation, etwas rauszunehmen.
Sie erörtern im Buch, ob die Betroffene mit einer Vertrauensperson über ihre Entscheidung sprechen soll. Sie selbst haben ja ein Tabu gebrochen, indem Sie öffentlich über Ihren Abbruch gesprochen haben. Was würden Sie im Nachhinein sagen: Hilft es, darüber zu sprechen?
Absolut, unbedingt. Auch das ist natürlich eine individuelle Entscheidung. Es gibt aber Studien, die zeigen: Die Belastung und der Stress sind dann am größten, wenn die Personen das Gefühl haben, sie können und dürfen nicht darüber reden – unabhängig davon, ob es für einen selber ein dramatisches, lebensveränderndes Ereignis war oder eben nicht. Auch gesamtgesellschaftlich ist das wichtig, damit das Thema endlich normalisiert wird. Es gibt so viele Schwangerschaftsabbrüche wie Blinddarmoperationen jedes Jahr, jede vierte Frau ist irgendwann von einem Abbruch betroffen – und damit auch jeder vierte Mann.
Sie beziehen in Ihrem Buch die Partner ein. Was wissen Sie aus den Gesprächen mit Betroffenen: Wünschen sie sich bei der Entscheidung einen Partner an der Seite oder möchten sie lieber allein sein?
Das hängt sehr davon ab, in welcher Beziehung man ist mit dem Menschen, mit dem man schwanger geworden ist. Wenn man sich die Statistik anschaut, sind die meisten Frauen in einer Beziehung mit dem Mann, von dem sie schwanger sind und wünschen sich, dass sie in der Situation nicht allein sind. Studien zeigen, dass die psychische Belastung, der Stress und die Verarbeitung positiv beeinflusst werden, wenn es einen Partner gibt, der die Betroffene unterstützt, und sich nicht aus der Affäre zieht oder – im schlimmsten Fall – auch noch Druck aufbaut.
Was ist der wichtigste Ratschlag, den man einer ungeplant schwangeren Frau geben kann?
Zuallererst: durchatmen. Für viele ungewollt Schwangere ist das ein Schock, sie müssen erst mal in der Situation ankommen. Und es läuft ja sofort die Uhr. In jedem Fall würde ich einer Betroffenen sagen: Mach das Beratungsgespräch – egal, wie du dich entscheiden willst, das Beratungsgespräch verschafft dir Spielraum und mehr Zeit. Man muss den Beratungsschein nicht nutzen, aber wenn man sich doch entscheidet, dass man nicht schwanger sein will, dann hat man sich unnötige Wartezeit erspart.
Welchen Ratschlag würden Sie einer Frau für die Zeit nach einem Abbruch geben?
Es gibt sehr wenig, das man verallgemeinern kann, aber statistisch nachgewiesen ist: Ein Jahr nach einem Abbruch sagen 95 Prozent der Frauen, dass das wesentliche Gefühl, das sie mit dem Eingriff verbinden, Erleichterung ist. Es ist wichtig darauf zu achten, was man selbst in der Situation braucht, und sich nicht von irgendjemanden sagen zu lassen, wie man sich zu fühlen hat. Man sollte sich frei machen von Vorgaben oder Erzählungen, wie es einem dann geht, sondern auf sich selber schauen. Es kann sein, dass man einfach nur froh ist, dass es vorbei ist, es kann sein, dass man traurig ist, auch wenn der Abbruch die richtige Entscheidung war. Alles davon ist okay.
