Angreifer aus Norwegen soll rechtsextremen Anschlag im Internet angekündigt haben

Ein Mann rennt in Norwegen schwer bewaffnet in eine Moschee. Es könnte der nächste rechtsextreme Terroranschlag sein, der im Internet angekündigt wurde.
Update, 11. August, 18:40 Uhr: Stunden nach einem versuchten Attentat auf die Besucher einer Moschee in Oslo, Norwegen, kursieren im Internet Gerüchte, nach denen der mutmaßliche Angreifer seine Tat kurz zuvor auf der Plattform „Endchan“ angekündigt haben soll.
Der 21-jährige Philipp M. wurde laut Polizeiberichten als dringend tatverdächtiger Angreifer festgenommen. Vier bis elf Minuten zuvor soll auf „Endchan“ ein Posting mit Nennung des vollen Namen des Täters veröffentlicht worden sein, indem zu lesen steht: „Es ist meine Zeit, ich wurde vom Heiligen Tarrant erwählt.“ Der „heilige Tarrant“ ist eine Formulierung, die von Rechtsextremen seit dem Attentat von Christchurch verwendet wird und sich auf den Angreifer namens Brentan Tarrant bezieht.
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Weiter heißt es in dem Post, dass „Rassenkrieg Thread“ wieder nach oben gedrückt werden müssen: „You gotta bump the race war thread“.
Es ist bislang aber unklar, ob hinter dem Profil tatsächlich Philipp M. steckt, der bewaffnet mit zwei Schroftlinten und einer Pistole in die Moschee* gestürmt und dort von einem 70 Jahre alten Gläubigen überwältigt worden war.
8Chan: Forum für Rassisten und Neonazis: Auf 8Chan posten weiße Terroristen
Erstmeldung:
Das Internet – für viele ein Sammelsurium aus Enzyklopädie, Erwachsenenunterhaltung und Entertainment in Form von Shopping und Katzenbildern. Doch im World Wide Web steckt noch sehr viel mehr. Soziale und Asoziale Medien zum Beispiel. Zu Ersteren lassen sich bedenkenlos Seiten wie Facebook, Instagram oder das Videoportal Youtube zählen. Die Website 8Chan zählt zu Letzterem. Auf dem Sammelbecken für Bilder, Gifs und Mini-Videos tummeln sich Rassisten, Anhänger der White Supremacy und Neonazis. Dort tauschen sie sich aus und schaukeln sich gegenseitig hoch. Die rechtsterroristischen Attentate von Christchurch, Poway und El Paso werden mit 8chan in Verbindung gebracht.
8Chan: gegründet als Imageboard im Jahr 2013
8Chan wurde im Jahr 2013 als sogenanntes Imageboard gegründet, also als Plattform, auf der Nutzerinnen und Nutzer selbstständig Bilder und ähnliches veröffentlichen und die Kommentare darunter verwalten können.
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8chan steht in direkter Tradition von 4Chan, das Anfang der 2000er von Christopher Poole gegründet wurde und lange Zeit ein Nischendasein fristete - bis zum Ende des Jahrzehnts und dem steilen Aufstieg einer Hackergruppe namens „Anonymous“*. Die organisierte über 4chan-Foren ihre Streiche und schreckte damit die konservativen Medien der USA auf: vom „Wall Street Journal“ bis zu Fox News, die „Anonymous“ als „Hacker auf Steroiden“ und als „Internet Hassmaschine“ bezeichneten. Mit „Anonymous“ wurde auch 4chan berühmt und avancierte schließlich zu einer der Top-300-Internetseiten der USA.
Wie 8Chan berühmt wurde
Was 4Chan für seine Nutzer und die wenigen Nutzerinnen attraktiv machte, war die lasche Moderation durch die Administratoren der Seite: die Attitüde „Alles kann, nichts ist verboten“. Ob pornografische Inhalte, Internet-Streiche, individuelle Adressen oder Rassismus – 4Chan rühmte sich mit seiner sehr radikalen Auslegung der Meinungsfreiheit. Bis zum Beginn des „Gamergate“ - eine reaktionäre Bewegung innerhalb der Gamer-Szene* aus Sexisten und Chauvinisten in der Videospiel-Branche.

Die „Gamergate“-Aktivisten schaukelten sich gegenseitig hoch, bis einzelne User Frauen, die in der Branche arbeiteten, bedrohten und ihre Privatadressen veröffentlichten – verbunden mit dem Aufruf, die Personen zu drangsalieren. All das fand vor allem auf 4Chan statt. Die Betreiber der Plattform, namentlich Gründer Poole, der online unter dem Namen „moot“ aktiv ist, entschieden sich, die entsprechenden Threads zu schließen.
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Daran störte sich unter anderem Frederick Brennan, ein Softwareentwickler, der kurz zuvor 8Chan gegründet hatte und seine Seite nun damit bewarb, das dort alles möglich sei und niemand die freie Meinungsäußerung einschränken würde. Er nannte die Seite „Infinity Chan“ und nutzte das Unendlichkeits-Symbol, die umgekippte Acht, als Zeichen. Weil das niemand tippen kann oder will, entstand der Name 8chan.
8chan: Noch mehr Hass als bei 4chan
Innerhalb kurzer Zeit entwickelte sich eine Seite mit noch weniger Moderation und noch mehr Hass als 4Chan. Die Nutzung stieg enorm, laut Brennan gegenüber Al Jazeera USA von „um die 100 Beiträge in der Stunde auf mehr als 4.000 pro Stunde“. Knapp zwei Jahre nach der Gründung von 8Chan schloss Google die Seite aus dem Suchindex aus, weil sie aus Sicht des Konzerns zu viel Hass verbreiten würde. Auch die Verbreitung von Kinderpornografie wurde der Plattform vorgeworfen.
Die Anschuldigungen und das schiere Wachstum der Seite stellten Brennan in Sachen Finanzierung vor zunehmende Probleme.
Er suchte deshalb Partner und fand einen in Jim Watkins, Ex-US-Soldat, der auf den Philippinen Schweine züchtet. Die beiden wurden gute Freunde und Brennan verlegte seinen Wohnsitz auf die Philippinen. 8Chan wurde endgültig zum Sammelbecken für all jenen Hass, der nirgendwo sonst im Internet noch geduldet wird: von Verschwörungstheoretikern á la QAnon, von White Supremacists, Neonazis, Chauvinisten und dergleichen.
Christchurch, Poway, El Paso: Verbindung von 8chan mit Rechtsterroristen
Innerhalb eines Jahres wurde die Seite mit drei tödlichen Angriffen rechtsterroristischer Attentäter in Verbindung gebracht. Der Schütze von Christchurch, Neuseeland*, hatte seine Tat auf 8chan angekündigt. Der antisemitisch motivierte Angreifer, der in Poway, Kalifornien, in einer Synagoge das Feuer eröffnete*, hatte zuvor auf 8Chan geschrieben: „Ich bin hier erst seit eineinhalb Jahren. Aber was ich in dieser Zeit hier gelernt habe, ist unbezahlbar.“ Und auch vor den Schüssen in El Paso fand sich eine Ankündigung im berüchtigten Forum namens „pol“ (für politics) der Seite.

Als erstes zog 8Chans IT-Sicherheitsdienstleister Cloudflare Konsequenzen aus dem Hass. Cloudflare-CEO Matthew Prince verkündete, man werde die Zusammenarbeit mit 8chan sofort beenden. Die Seite habe sich zu einer „Kloake voll von Hass“ entwickelt, die „gesetzlos“ agiere. Die Seite ist dadurch zunächst offline.
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Und selbst Brennan wurde die Sache allmählich unheimlich. Er habe schon eine Routine entwickelt, erzählte Brennan der „New York Times“: „Jedes Mal, wenn ich von einem Amoklauf höre, denke ich mir: Ok, wir müssen überprüfen, ob es eine Verbindung zu 8Chan gibt.“ Und mehr als einmal gibt es die. Er habe deshalb seinen einstigen Partner und mittlerweile alleiniger Besitzer von 8Chan, Watkins, gebeten, die Seite abzuschalten.
Watkins muss vor dem US-Kongress aussagen
Doch Watkins hat das nicht vor. In einer Videobotschaft spricht der Schweinezüchter davon, dass 8chan zwar derzeit offline ist, er aber bereits auf einer Suche nach einer neuen Heimat sei, für „Millionen Menschen“, die auf 8chan ihre xenophobe, sexistische und neonazistische Hetze verbreiten, „ohne dafür irgendjemand Rechenschaft ablegen zu müssen“, wie Watkins es formuliert.
Rechenschaft ablegen muss Watkins dafür selbst wohl demnächst. Bennie G. Thompson, Vorsitzender des Ausschusses für Heimatschutz im US-Kongress hat den 8Chan-Besitzer per Brief vorgeladen. Er soll vor dem Ausschuss darlegen, was er und seine Angestellten tun, um die Verbreitung von Hass auf ihrer Plattform zu verhindern.
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