23 Stunden Timothy Snyder auf Youtube: Alles, was es über den Ukraine-Krieg zu wissen gibt

Die Vorlesungsreihe „The Making of Modern Ukraine“ kommt einer Revision der Weltgeschichte gleich, wie sie im Alltagsbewusstsein Europas lange überfällig ist: Höchst Zeit für einen Tag „Binge Watching“.
Timothy Snyder ist der Feind. Soviel ist klar. Ganz besonders klar ist das allen Friedensfreunden, Putin-Versteherinnen, Antiimperialisten (USA only) und Pazifistinnen. Die alle brauchen jetzt nicht weiterlesen. Tschüss!
Aber alle anderen sollten aufmerken: Der Historiker Snyder (Bild) liefert die konsequent klarsichtigste Analyse dessen, was da am östlichen Rand Europas geschieht. Wobei: Hätte man alles schon viel früher wissen können -durch die Lektüre von Snyders Standardwerk „Bloodlands“, sein Frühwerk „The Reconstruction of Nations“, die Streitschrift „Über Tyrannei“ und die Analyse „Der Weg in die Unfreiheit“. So viel Bücher?! Nun ja, es war dafür immerhin seit 2003 („Reconstruction“) ordentlich Zeit.
„The Making of Modern Ukraine“: Durch das Dickicht von Kreml-Humbug
Aber jetzt haben wir keine Zeit mehr! Also sollte man sich für die ultra-fixe Bewusstwerdung der Krise unserer Welt Snyders TED-Talk über die Gefahren und Chancen für die Demokratie im 21. Jahrhundert reinziehen (33 Minuten lang, auf ted.com).
Oder man erübrigt nicht ganz 23 Stunden seines Lebens für Youtube und dort den Kanal „YaleCourses“, wo man die Vorlesungsreihe Snyders „The Making of Modern Ukraine“ findet. 23 Vorlesungen (darunter drei nicht von Snyder). Macht quasi einen vollen Tag „Binge-Watching“ oder drei Arbeitstage. Und was hat man dann davon?
„The Making of Modern Ukraine“: Warum es Geschichtswissenschaft unbedingt braucht
Man hat davon alles, was es über den Ukraine-Krieg zu wissen braucht. Und mehr. Zuerst hat man vier extrem scharfe Stimmen der Vernunft (Snyder, seine Frau Marci Shore, Judaist Glenn Dynner und Historiker Arne Westad), die durch das tödliche Dickicht an Kreml-Humbug schneiden wie durch Butter.
Man hat davon eine Revision der Weltgeschichte, wie sie im Alltagsbewusstsein Europas lange überfällig ist. Man hat die demütige Erkenntnis, dass Europa schuldhaft seinen östlichen Teil zu lange totgeschwiegen hat – und jetzt die Chance, ihn endlich anzuerkennen. Man hat die Erkenntnis, dass Putin und seine Gehilfen schlicht einen (letzten?) imperialistische Krieg führen, wie vor ihnen die Briten, die Franzosen und auch die Deutschen. Und ihn wie diese hoffentlich verlieren. Und hoffentlich daran zugrundegehen. Man weiß dann, dass die Ukraine jede unserer Anstrengungen wert ist, weil es eine Anstrengung für uns selbst ist. Durch solches Wissen wird man reicher an seiner Menschlichkeit.
Und so ganz en passant gewinnt man noch die Erkenntnis, warum unsere Welt die Geisteswissenschaften – hier: die Geschichte – unbedingt braucht. Ohne sie stolpern wir alle nur blind und blöd in die Zukunft. Aber Snyder sei Dank: Nun nie mehr wieder.
Erste Folge: youtube.com/watch?v=bJczLlwp-d8