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Wilder Westen im Südosten

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Von: Thomas Roser

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Für etwas Kokain: Blutige Mafia-Abrechnungen in Belgrad

Statt Pizza brachte der Bote den Tod. In seinem Fitness-Studio wurde der 28-jährige Luka P. in Serbiens Hauptstadt Belgrad aus direkter Nähe von einem vermeintlichen Fastfood-Kurier Mitte Mai mit sechs Schüssen niedergestreckt. Ein Einzelfall ist der Auftragsmord an dem Mann mit dem dicken Polizei-Dossier in der Zweistromstadt keineswegs: Mit dem Abebben der Pandemie scheint die Zeit der blutigen Abrechnungen krimineller Clans wieder mit voller Kraft zurückzukehren.

„Belgrad wie der wilde Westen“, titelt besorgt das Webportal „nova.rs“. Die „neue Spirale der Gewalt“ hat nach Ansicht des Portals mit der Ermordung eines Hooligan-Anführers Ende März in der Vorstadt Obrenovac begonnen: „Nach längerer Stille hallen erneut die Schüsse und Salven, jagt eine Beerdigung die andere – und ist Belgrad erneut die Hauptstadt des Verbrechens.“

Dabei hatte sich die Zahl der Unterweltabrechnungen in der Donaustadt in den letzten beiden Corona-Jahren merklich gemindert. Zum einen schienen Ausgangssperren und Corona-Auflagen in der Gastronomie auch den Taten- und Abrechnungsdrang der Drogenmafia samt der mit ihnen eng verbandelten Hooliganclans zu lähmen. Zum anderen wurden in den vergangenen beiden Jahren drei berüchtigte Clans in Montenegro und Serbien weitgehend zerschlagen.

In Montenegro hatte die Schlappe der langjährigen Regierungspartei DPS von Dauerregent Milo Djukanovic bei der Parlamentswahl 2020 zu einem wesentlich entschiedeneren Kampf gegen die Mafia geführt. Die Verhaftungswelle, die seitdem durch das Land der Schwarzen Berge wogt, hat dem vor allem in Belgrad ausgetragenen, jahrelangen Bandenkrieg zweier berüchtigter Drogenclans aus dem montenegrinischen Kotor weitgehend den Boden entzogen. Auch das späte Aufrollen eines lange mit Serbiens Sicherheitsbehörden kooperierenden Hooliganclans, auf dessen Kappe mehrere Liquidierungen der letzten Jahre gehen sollen, hatte die Lage in Belgrad zeitweise beruhigt.

Doch nun ist die Killer-Gewalt in die serbische Hauptstadt zurückgekehrt. „Dies ist nicht das Ende, die Frage ist nur, wer der nächste ist“, titelt die Zeitung „Blic“ resigniert. Aber dennoch unterscheiden sich die heutigen Auftragsmörder von ihren Vorgängern. Laut „Blic“ sind es statt professionellen Killern häufig junge, drogenabhängige Kleinkriminelle aus sozial schwachen Familien, die sich „für relativ wenig Geld“ für Auftragsmorde anwerben lassen und wegen des nachlässigen Verwischens ihrer Spuren vergleichsweise häufig geschnappt werden.

Für viele der Jung-Killer ende ihre kurze Karriere als Auftragsmörder „sehr schnell“, berichtet „nova.rs“: „Es drängt sich der Eindruck auf, dass sie von ihren Auftraggebern als Mörder zum Einmalgebrauch eingesetzt werden.“ Die „Killeramateure“ würden für wenige Tausend Euro und „eine Handvoll Kokain“ töten, längst die „übliche Währung“ der Branche. Oft seien die Uraltwaffen, mit denen die Billig-Killer losgeschickt werden, für sie „genauso gefährlich wie für ihr Ziel“.

Den Auftraggebern scheine es egal, ob die Jung-Killer geschnappt würden oder nicht, bestätigt gegenüber „Blic“ der Kriminologe Dobrivoje Radovanovic: Das „einzig wirklich Wichtige“ für sie sei nur, dass gefasste Killer über ihre Hintermänner nicht singen würden. Für die besorgte Öffentlichkeit hat der Branchenfachmann zumindest eine tröstende Nachricht. Automatische Waffen würden bei „Liquidationen“ heute kaum noch zum Einsatz kommen, so seine Beobachtung: „Die Killer schießen nun auf bestimmte Personen, nicht mehr wahllos auf Leute, die zufällig auch in dem Café sitzen.“

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