Von der Gummizeit und peinlichen Pausen

Die deutsche Sprache umfasst rund 500 000 Worte – für manches Phänomen fehlt aber dennoch der passende Ausdruck. Von Christian Satorius.
Aus dem reichen Wortschatz der deutschen Sprache haben schon etliche Dichterinnen und Denker die schönsten Wort- und Gedankengebäude erschaffen. Zum „Internationalen Tag der Muttersprache“ seien hier acht Wörter anderer Sprachen vorgestellt, von denen jedes für sich schon eine Geschichte erzählt.
„Utepils“ : Das norwegische Wort lässt sich am besten mit „Draußenbier“ ins Deutsche übersetzen, aber irgendwie klingt das skandinavische Original viel schöner. Ursprünglich ist damit das erste Bier des Jahres gemeint, das man unter freiem Himmel trinken kann, ohne gleich zu erfrieren. Nach Ostern, wenn die Tage wieder länger werden und die Temperaturen allmählich steigen, ist es im hohen Norden zwar immer noch bitterkalt, aber wo ein Wille ist, ist eben auch ein „Utepils“. Heute bezeichnet das Wort jedes Bier, das draußen getrunken wird. Na, dann: Skal!
„Tartle“ : Peinlich, peinlich, wenn man den Namen einer Person vergessen hat – und bei der Begrüßung ins Stocken kommt. Dieser unschöne Moment des Zögerns, der bei dem Versuch entsteht, sich an einen Namen zu erinnern, heißt im Schottischen: „Tartle“. Der Vorteil dieses reizenden Wortes ist, dass man sich damit auch gleich entschuldigen kann: „Sorry for my tartle!“, also in etwa „Entschuldigen Sie bitte mein Zögern bei der Ansprache“. So fühlt man sich gleich besser und es ist einem nicht mehr ganz so peinlich zu Mute. Bis wir das praktische „Tartle“ auch bei uns haben, müssen wir mit einem Hüsteln die Pause überbrücken – auch wenn das die Sache eher noch peinlicher macht.
„Iktsuarpok“ : Wer monatelang allein im Iglu sitzt, kann sich schon mal langweilen. Kein Wunder also, wenn man ab und zu rausgeht, um zu gucken, ob vielleicht Besuch kommt. Genau dafür gibt es in der Sprache der Inuit, dem Inuktitut, ein Wort: „Iktsuarpok“. Einfach nur warten, ob Besuch kommt, geht nicht, denn schließlich haben klassische Iglus keine Fenster. Man muss sich also aufraffen und raus in die eisige Kälte. Zwar wohnt heutzutage kein Inuit mehr im Iglu, das schöne „Iktsuarpok“ hat sich aber dennoch bis heute erhalten.
„Tsundoku“ : In Japan arbeiten viele Menschen rund um die Uhr. Nicht umsonst gibt es im Japanischen ein eigenes Wort für den „Tod durch Überarbeitung“: „Kuroshi“. Falls sie doch mal Freizeit haben, kaufen sich auch Japaner:innen gern ein gutes Buch. Nur mit dem Lesen ist das so eine Sache, denn die Freizeit ist knapp bemessen. Also wird das neugekaufte Buch zu Hause ungelesen ins Regal gestellt – zu all den anderen ungelesenen Büchern. Für dieses Phänomen gibt es in Japan auch ein eigenes Wort: „Tsundoku“.
„Sejengkal“ : Wie oft kommt es vor, dass man etwas abmessen möchte, aber keinen Zollstock dabei hat? Ein Meter lässt sich ja ungefähr erahnen. Was aber tun, wenn deutlich kleinere Maße gefragt sind? Dann geht das Raten los. Es sei denn, man lebt in Malaysia. Dort kennt man das Maß „Sejengkal“, das die Spannweite zwischen den Spitzen des Daumens und des Kleinen Fingers benennt, wenn diese so weit wie möglich abgespreizt werden. Da nicht alle Menschen gleich große Hände haben, weist diese Entfernung eine gewisse Streuung auf. Aber wenn man „Sejengkal“ mit etwa 20 Zentimetern ansetzt, ist das schon mal besser als raten.
„Jam Karet“ : Wer bei uns nicht pünktlich ist, kann eigentlich gleich zu Hause bleiben. In Indonesien sieht man das lockerer. Dort gibt es schließlich die „Jam Karet“, die „Gummzeit“. Die hat es in sich – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Sie kann nur ein paar Minuten daneben liegen oder aber auch gleich ein paar Stunden. Zwar kennt man in der indonesischen Geschäftswelt auch die sogenannte deutsche Pünktlichkeit, aber: Die „Jam Karet“ ist schon eine tolle Sache. Vielleicht sollten wir lieber unsere Sommerzeit abschaffen und dafür die indonesische „Gummizeit“ einführen?
„Murr-ma“: Im Northern Territory Australiens leben Aborigines mit dem schönen Namen Wagiman. Praktischerweise nennt sich auch ihre Sprache Wagiman. Die Wagiman kennen das tolle Wort „Murr-ma“, was so viel bedeutet wie „mit den Füßen etwas im Wasser suchen“. Vor allem im Urlaub könnten wir dieses Wort gut gebrauchen, wenn der Autoschlüssel in den See gefallen oder das Feuerzeug beim Wattwandern abhanden gekommen ist.
„Morgenfrisk“ : Das sagen die Menschen in Dänemark, wenn sie das Gegenteil vom Brummschädel meinen. „Frisch wie der junge Morgen“, könnte man auch sagen. „Morgenfrisk“ hört sich aber noch eine Spur frischer an: Irgendwie knackig, ausgeschlafen und voller Tatendrang.