Atombombenunfall an Spaniens Küste: Was geschah in dem kleinen Fischerort wirklich?

Vor 56 Jahren am 17. Januar 1966 ist über dem Fischerdorf Palomares an Almerías Küste ein US-Militärflugzeug mit vier Atombomben an Bord abgestürzt. Noch immer ist nicht geklärt, was mit dem verseuchten Erdreich passiert.
Cuevas del Almanzora – Am 17. Januar 2022 ist es 56 Jahre her, dass ein mit mehreren Atombomben beladenes US-Militärflugzeug über dem Fischerort Palomares in Cuevas del Almanzora an der Küste von Almería abgestürzt ist. Dabei wurden 200 Hektar mit neun Kilogramm Plutonium kontaminiert. Seit 2010 existiert zwar ein Plan zur Säuberung des betroffenen Gebietes, doch geschehen ist bisher nichts. Keine Behörde in Spanien fühlt sich verantwortlich.
Cuevas del Almanzora | |
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Fläche | 263,9 km² |
Höhe | 88 m |
Bevölkerung | 13.776 (2018) Instituto Nacional de Estadística |
Provinz | Almería |
Die Umweltorganisation Ecologistas en Acción zog vor Gericht. Nun liegt der Fall beim Obersten Gericht von Spanien, das endgültig darüber entscheidet, ob der Rat für nukleare Sicherheit (CSN) zuständig ist und einen Termin für die Sanierung der mit radioaktivem Americium und Plutonium verseuchten Böden festlegen muss oder nicht. Derzeit werden kontaminiertes Erdreich auf einem 40 Hektar großen abgezäunten Gebiet gelagert und die Plutoniumkonzentrationen in Luft, Wasser, Boden und Gemüse kontrolliert. Auf dem kontaminierten Gelände gebe es jedoch unzählige Kaninchenhöhlen. Die Tiere gingen ein und aus, wirbelten Staub auf und könnten so Plutonium verteilen, so Ecologistas en Acción.
Atombombenunfall an Spaniens Küste: Kameramann aus Almería hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt
Der Kameramann und Fotojournalist aus Almería, José Herrera, hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt und 2016, 50 Jahre nach dem Atombombenunglück, und Buch über den Unfall und die Folgen für Palomares herausgebracht. Er berichtet costanachrichten.com, wie er den Unfall und die Zeit danach erlebt hat.
Im Januar vor 56 Jahren schaute der damals zehnjährige José Herrera in den Himmel über Palomares und erschrak. „Gleich stoßen sie zusammen“, rief er und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Der Junge beobachtete zwei Flugzeuge der US-Streitkräfte bei einem Auftankmanöver in der Luft. Die Sorgen des Zehnjährigen bleiben unbegründet. An jenem Tag im Januar passierte nichts.
Atombombenunfall an Spaniens Küste: Viele Unwahrheiten wurden verbreitet
Erst ein Jahr später wurden die Befürchtungen des Kindes wahr. Am 17. Januar 1966 kam es bei einem ähnlichen Manöver zu einer Explosion in 9.000 Meter Höhe. Ein B-52-Bomber mit vier Atombomben an Bord stürzte über dem Fischerdorf Palomares ab. Drei der vier Bomben prallten auf die Erde. Eine blieb unversehrt, zwei platzten auf und verseuchten über 200 Hektar Erdreich mit neun Kilogramm Plutonium. Die vierte Bombe fiel ins Mittelmeer und wurde 81 Tage später gefunden. Bei dem Unglück kamen sieben Besatzungsmitglieder ums Leben.
„Seitdem werden so viele Unwahrheiten verbreitet“, sagt José Herrera, ein Grund für ihn, das Buch geschrieben zu haben. Schon während der Franco-Diktatur (1939-1975)sei eine offizielle Version ausgegeben worden, an der sich bis heute nicht viel geändert habe. Die Ausmaße der Kontamination wurden damals heruntergespielt. Dafür ließ sich der Minister für Tourismus Manuel Fraga im März 1966 bei einem Bad am Strand von Palomares fotografieren. Das Bild gelangte zu einiger Berühmtheit.
Atombombenunfall an Spaniens Küste: Viele wissen gar nichts über den Unfall von Palomares
Herrera ist es wichtig, die Menschen zu informieren. „Viele junge Leute wissen gar nichts über den Atombombenunfall und diejenigen, die nur ein paar Schlagworte wie radioaktiv oder kontaminiert aufschnappen, denken, ganz Palomares ist verseucht“, sagt er. „Das ist wie mit Dieben einer bestimmten Volksgruppe. Wird einer erwischt, dann heißt es gleich, alle seien so.“
Der Kameramann aus Almería widmet sich seit dem 13. Januar 1986 dem Thema. Er kann sich noch genau an das Datum erinnern, weil er mit einem Kollegen der Zeitung „El País“ nach Palomares fuhr, um einen Dokumentarfilm zu drehen. Sie besuchten den Krater, den eine der Bomben hinterlassen hatte, und eine Versammlung, auf der Nachbarn Unterschriften sammelten, um vor Gericht zu ziehen. „Seitdem hat mich Palomares nicht mehr losgelassen“, erzählt Herrera.
Atombombenunfall an Spaniens Küste: Die ersten Säuberungsarbeiten des US-Militärs
Eine der Bomben prallte mit hoher Geschwindigkeit westlich von Palomares auf, die andere stürzte nahe des Zentrums des Dorfes ab. Die Säuberungsarbeiten begannen erst sieben Tage nach dem Unfall, wie Herrera in seinem Buch beschreibt. In der Zwischenzeit hatte starker Wind radioaktives Material verteilt.
Offiziellen Angaben zufolge ließen die USA 1.000 Kubikmeter kontaminierten Erdreichs abtragen und in 4.810 Fässer füllen, die in die USA verschifft und in South Carolina endgelagert wurden. „Die Behälter wurden damals an den Strand von Palomares geschleppt und vor Journalisten aus aller Welt präsentiert. Zehn Kamerateams waren dabei, wie im Kino“, sagt José Herrera. Doch nicht alle Fässer wurden so in Szene gesetzt. 690 Tonnen blieben übrig. „Keiner weiß genau, wo sie sich befinden. Vielleicht sind sie hier irgendwo in den unzähligen Brunnenschächten in der Sierra Almagrera in Cuevas del Almanzora versteckt.“

Atombombenunfall an Spaniens Küste: Radioaktivität wie Kaffeespritzer auf dem weißen Hemd
Von den neun Kilogramm Plutonium soll sich nach Angaben des spanischen Nuklearforschungszentrums Ciemat heute noch ein halbes Kilogramm in Palomares befinden. Herrera ist skeptisch. „Sprechen wir nur von einem Isotop Plutonium?“ Das radioaktive Schwermetall kommt in verschiedenen Atomarten, den sogenannten Isotopen vor. Ihre Atomkerne enthalten gleich viele Protonen, aber verschieden viele Neutronen, so dass jedes Isotop andere Eigenschaften aufweist. Das Plutonium aus den Bomben besteht hauptsächlich aus den Isotopen 239 und 241. Beide geben alpha-Strahlung ab, die so gering ist, dass sie bereits durch Kleidung und die obere Hautschicht abgeschirmt wird. „Das ist die positive Nachricht“, sagt José Herrera. „Außerdem ist Plutonium das schwerste in der Natur vorkommende Element. Es wiegt elf Mal mehr als Wasser und sinkt mit den Jahren immer tiefer in die Erde ein.“
Palomares sei an konkreten Orten kontaminiert, den Absturzstellen der Bomben und in einem Gebiet bei Villaricos direkt neben Palomares. „Ich vergleiche das immer mit Kaffeespritzern auf einem weißen Hemd.“ Die Flecken von Palomares sind heute eingezäunt und mit einem Hinweisschild versehen: Betreten verboten. „Die Lagerung von radioaktivem Müll unter freiem Himmel in einem bewohnten Gebiet ist ein Verstoß gegen internationale Verordnungen“, gibt José Herrera zu bedenken.
Atombombenunfall an Spaniens Küste: Vom Plutonium zum gefährlicheren Americium
Denn Plutonium ist alles andere als harmlos. „Wenn es an Staubpartikel gebunden über die Luft eingeatmet wird, hat das fatale Folgen.“ Es setzt sich vor allem in Nieren, Knochen und Leber fest und kann zu Krebs führen. Plutonium, das mit der Nahrung aufgenommen wird, kann zu einem großen Teil wieder ausgeschieden werden. Dennoch bleiben geringe Mengen des Giftes im Körper zurück.
Eine weitere schlechte Nachricht: Das Plutonium 241 hat nur eine Halbwertszeit von 14 Jahren und zerfällt dann zu Americium 241, das wesentlich durchdringendere gamma-Strahlen aussendet, die nur mit Bleiplatten abgeschirmt werden können. „Wenn wir an Plutonium vorbeigehen, macht uns die Strahlung nicht viel aus. Bei Americium geht sie dagegen durch Kleidung, Haut und Knochen.“
Atombombenunfall an Spaniens Küste: Auswirkungen auf die Gesundheit
Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen in Palomares wurden Ciemat zufolge aber nicht festgestellt. Es bestehe kein Zusammenhang zwischen der radioaktiven Strahlung und den Sterbefällen durch Krebs, hieß es. Von 1966 bis 2009 wurden über 1.000 Menschen regelmäßig untersucht. Die Ergebnisse der Analysen zeigten laut Ciemat keinerlei Auffälligkeiten. „Trotzdem werden noch 150 Menschen aus Palomares regelmäßig zum Medizincheck nach Madrid geschickt“, weiß Herrera.
So ganz glaubt er den offiziellen Angaben nicht. „Nach dem Unfall kamen 1.470 US-Soldaten nach Palomares, um aufzuräumen“, berichtet er. „Die ersten Untersuchungen ergaben, dass alle Plutonium in ihrem Körper hatten. Die Mengen im Urin lagen leicht über den Grenzwerten.“ Doch wenig später hieß es auf einmal, sie seien nicht kontaminiert. „Das Militär hatte die Soldaten nochmals untersucht und dabei festgestellt, dass sie sich in 1.470 Fällen geirrt hatten.“ Viele der Veteranen seien später an Krebs erkrankt. Sie hätten sich zusammengetan und auf einer Internetseite Unterschriften gesammelt, um Entschädigung zu fordern. „Doch die Webseite ist plötzlich verschwunden“, sagt José Herrera.
Atombombenunfall an Spaniens Küste: Krebsfälle bei Veteranen der des US-Militärs, die in Paloamres dabei waren
Dennoch sind auf der Seite des US-Departments für Veteranen eine Reihe von Krebsfällen dokumentiert, die auf eine Verstrahlung durch Plutonium in Palomares zurückzuführen sein könnten. In einem Dokument aus dem Jahr 2012 beschreibt ein Veteran, der 2007 an Darmkrebs erkrankte, dass ihm bei der Säuberungsaktion im Januar 1966 keine Schutzkleidung zur Verfügung gestellt und ihm gesagt worden sei, er solle sich den radioaktiven Dreck im Meer abwaschen. Der Zeiger des Geigerzählers habe derart ausgeschlagen, dass kein Wert abgelesen werden konnte. Im Juni 1966 habe er einen Brief erhalten, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass er einer „ziemlich hohen“ Strahlung ausgesetzt war.
Ein anderer Veteran, der als einer der ersten Soldaten am Unglücksort eintraf, gab ähnliche Aussagen zu Protokoll. Er erkrankte 1991 am Non-Hodgkin-Lymphom, einer bösartigen Erkrankung des Lymphatischen Systems. In einem weiteren Fall klagt die Witwe den Tod ihres Mannes an, der ebenfalls in Palomares war. Er starb bereits im Alter von 49 Jahren im August 1987 an den Folgen von Darmkrebs.
Atombombenunfall an Spaniens Küste: Obst und Gemüse kann Plutonium nichts anhaben
Dem Obst und Gemüse scheint Plutonium dagegen nichts anhaben zu können. Regelmäßige Analysen ergaben laut Ciemat, dass die Dosis weit unterhalb der Grenzwerte liege. „Plutonium reagiert an der Luft zu graugrünem, pulvrigen Plutoniumdioxid, das als relativ stabil und kaum löslich gilt und deshalb von den Pflanzen nicht aufgenommen wird“, erklärt José Herrera. „In einem Dokufilm ist zu sehen, wie ein Amerikaner nach dem Unfall eine mit Plutoniumdioxid bedeckte Tomate einfach abwäscht und isst.“ Negative Publicity kann den Bauern heute wenig anhaben. „Auch wenn die Zeitungen jeden Januar wieder seitenweise über den Atombombenunfall berichten, die Preise für Obst und Gemüse aus Palomares bleiben stabil“, sagt José Herrera.
Die Tourismusbranche sei dagegen viel anfälliger. Deshalb seien Journalisten in Palomares nicht gerne gesehen. Die Einwohner meinten, dass das Reden über den Unfall und die Kontamination ihnen schade. „Sie fühlen sich beschmutzt und gebrandmarkt. Den Unfall empfinden sie als Makel, als hässlichen Fleck, der erst durch die Reinigung von Palomares entfernt werden kann“, erklärt Jose Herrera. Ihm gehe es um das Gemeinwohl, darum dass Palomares sauber und die Menschen das Stigma loswerden.
Atombombenunfall an Spaniens Küste: „Ein bisschen pessimistisch“
Von dem unverbindlichem Abkommen zwischen den USA und der spanischen Regierung, verseuchtes Erdreich in Palomares abzutragen, hält José Herrera nicht viel. „Propaganda“, sagt er. „Das Abkommen verpflichtet die USA zu gar nichts. Es dient lediglich dazu, ihr negatives Image aufzupolieren. Dazu täuschen sie die Menschen, die zwar etwas von Landwirtschaft, aber wenig von Radioaktivität verstehen.“
Ob er daran glaube, dass Palomares jemals entseucht werde? „Ich bin ein bisschen pessimistisch, aber ich hoffe, ich irre mich.“ Das Problem seien die extrem hohen Kosten. Außerdem habe Almería ein zusätzliches Problem. Die Provinz liege weit entfernt vom politischen Zentrum in Madrid, wo die Entscheidungen getroffen werden. „Zur Zeit des Franco-Regimes hatte die Regierung überhaupt kein Problem damit, das Plutonium einfach zu lassen, wo es war. Die Kinder der Franco-Minister waren ja weit genug weg.“