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„Schöneren Holocaust“ unterrichten? Autor fassungslos über Verbot seines Buchs an US-Schulen

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Von: Tim Vincent Dicke

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Der Comiczeichner Art Spiegelman bei einer Ausstellung in Paris.
Ein Schulbezirk in den USA hat den Holocaust-Comic „Maus“ von Pulitzer-Preis-Gewinner Art Spiegelman aus dem Lehrplan gestrichen. (Archivbild) © Bertrand Langlois/AFP

In Tennessee beschließt ein Schulbezirk, den Holocaust-Comic „Maus“ aus dem Lehrplan zu streichen. Die Entscheidung löst in den USA eine große Kontroverse aus.

Washington D.C. – Ein Schulbezirk im US-Bundesstaat Tennessee hat entschieden, den weltberühmten Holocaust-Comic „Maus“ aus Schulbibliotheken zu verbannen, weil das Buch Material enthält, das nach Ansicht des Bezirks für Schülerinnen und Schüler ungeeignet ist. Seitdem wird in den USA heftig über den Schritt diskutiert.

„Maus“-Autor Art Spiegelman bezeichnete die Entscheidung des Schulbezirks McMinn am Donnerstag (27.01.2022), also am internationalen Holocaust-Gedenktag, als „kurzsichtig“. Dass der Comic, in dem es um das Überleben seines Vaters im NS-Vernichtungslager Auschwitz geht, wegen darin enthaltener Schimpfwörter aus den Schulbibliotheken verbannt werde, stehe für ein „größeres Problem“ in den USA.

Bezirk in den USA streicht Holocaust-Comic „Maus“ aus dem Lehrplan

„Sie fokussieren sich nur auf einige schlimme Wörter in dem Buch“, sagte Spiegelman im TV-Sender CNN. „Ich kann das nicht glauben.“ Auch jüdische Verbände kritisierten die Entscheidung des Schulbezirks scharf. „Angesichts der ausgeprägten Wissenslücken vor allem junger Amerikaner über den Holocaust“ sei die Entscheidung „völlig unverständlich“, erklärte der Vorsitzende des American Jewish Committee, David Harris.

Der Schulbezirk McMinn hatte die Entfernung des Comics aus den Schulbibliotheken am 10. Januar beschlossen und dabei außer auf Schimpfwörter wie „verdammt“ oder „Schlampe“ auch auf eine Nacktszene verwiesen. Den Vorschlag von Schulbezirksleiter Lee Parkison, die betroffenen Stellen lediglich zu zensieren, lehnten andere Gremiumsmitglieder ab.

In einer am Donnerstag veröffentlichten Erklärung verteidigte der Schulbezirk seine Entscheidung. „Maus. Die Geschichte eines Überlebenden“ sei wegen der „unnötigen Nutzung von Obszönität und Nacktheit und der Darstellung von Gewalt und Suizid“ als Lehrmittel verboten worden, hieß es darin. Derzeit werde nach anderen Werken gesucht, mit denen den Schülerinnen und Schülern die Geschichte des Holocaust auf „altersgerechtere Weise“ nähergebracht werden könne.

Holocaust-Buch in Schulbezirk in den USA verboten: „Maus“-Autor fassungslos

Die Schulbehörde hat die Diskussion des Gremiums protokolliert und im Internet veröffentlicht. Tony Allman, ein Mitglied des Gremiums, sagte bei dem Treffen: „Es zeigt, wie Menschen gehängt werden, es zeigt, wie sie Kinder töten, warum fördert das Bildungssystem so etwas? Das ist weder klug noch gesund.“

Allman wolle nicht leugnen, dass der Holocaust „schrecklich, brutal und grausam“ gewesen sei – gegen das Buch wetterte er allerdings trotzdem vehement. „Ich mag mich irren, aber der Typ, der den Comic erstellt hat, hat früher die Grafiken für den Playboy gemacht. Sie können sich seinen Werdegang ansehen, und wir lassen ihn Grafiken in Büchern für Grundschüler anfertigen“, empörte sich Allman über Spiegelman.

Gegenüber der New York Times sagte Spiegelman, dass ihn die Entscheidung völlig überrascht habe. Nach dem Lesen des Protokolls habe er den Eindruck bekommen, die Gremiumsmitglieder stellten sich die Frage, wie sie einen „schöneren Holocaust“ unterrichten könnten.

USA: Holocaust-Comic „Maus“ mit Pulitzer-Preis ausgezeichnet

Der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Comic, in dem Spiegelman seine eigene Familiengeschichte verarbeitet, wird seit Jahrzehnten an vielen US-Schulen im Geschichtsunterricht eingesetzt. In dem schwarz-weiß gestalteten Comic werden Jüdinnen und Juden als Mäuse dargestellt, die Nationalsozialisten als Katzen.

Ein Exemplar von „Maus“ liegt auf einem Tisch.
Ein Exemplar von „Maus“ liegt auf einem Tisch. © Maro Siranosian/AFP

Das Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. missbilligte den Schritt der Schulbehörde. Auf Twitter hieß es, dass das Werk eine wichtige Rolle bei der Aufklärung über den Holocaust gespielt habe, „indem es detaillierte und persönliche Erfahrungen von Opfern und Überlebenden vermittelt.“ Der Unterricht über den Holocaust anhand von Büchern wie „Maus“ könne Schülerinnen und Schüler dazu anregen, kritisch über die Vergangenheit sowie ihre eigene Rolle und Verantwortung heute nachzudenken.

Immer wieder Streit um Bücher an Schulen in den USA

In US-Schulverwaltungen gibt es immer wieder heftige Auseinandersetzungen darum, welche Inhalte und Bücher auf den Lehrplan gehören. Im Zentrum der Debatten stehen dabei oftmals Bücher, die sich aus der Sicht von Minderheiten mit historischen Themen befassen. So setzten sich im vergangenen Jahr etwa Eltern im Bundesstaat Virginia dafür ein, den Sklaverei-Roman „Menschenkind“ der schwarzen Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison aus dem Lehrplan zu streichen. In Pennsylvania kämpften im vergangenen Oktober Schülerinnen und Schüler darum, ein Verbot von Büchern über den Anti-Apartheid-Kämpfer Nelson Mandela und die pakistanische Aktivistin Malala Yousafzai rückgängig zu machen.

Das Vorgehen gegen solche Bücher geht meist von Konservativen und dem Unterstützerkreis von Donald Trump aus. In jüngerer Zeit beschlossen einige Schulen auf Druck von Anti-Rassismus-Aktivistinnen und -Aktivisten aber auch das Streichen von Klassikern wie „Wer die Nachtigall stört“ oder „Huckleberry Finn“ aus dem Lehrplan mit der Begründung, dass darin afroamerikanische Figuren negativ dargestellt würden. (tvd/AFP)

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