1. Startseite
  2. Panorama

„Uns Schneemänner wird es immer geben“

Erstellt:

Von: Boris Halva

Kommentare

„Wir Schneewesen sind auch Teil des ewigen Kreislaufs aus Werden und Vergehen.“ Michael Schick
„Wir Schneewesen sind auch Teil des ewigen Kreislaufs aus Werden und Vergehen.“ Michael Schick © Michael Schick

Und Schneefrauen auch! Ein Gespräch mit dem guten alten Schneemann über seine dunkle Vergangenheit, den geglückten Imagewandel - und warum er keine Angst vor der Zukunft hat

Herr Schneemann, in diesen Tagen ist es vielerorts kälter, Schnee soll im Laufe der Woche auch in niederen Lagen fallen. Gute Aussichten am heutigen Tag des Schneemanns, oder?

Absolut. Ich bin vermutlich einer der wenigen, denen bei der Aussicht auf kalte Füße ganz warm ums Herz wird.

Täusche ich mich, oder schwingt in Ihren Worten auch ein wenig Verbitterung mit?

Wundert Sie das? Die Veränderungen der letzten Jahre haben mich ziemlich kalt erwischt.

Was ist passiert?

Einerseits höre ich von vielen Kindern, dass sie sooo gerne einen Schneemann bauen würden, aber sobald es kalt genug ist, fängt das große Jammern an und die meisten Menschen gehen – wenn überhaupt – nur noch missmutig aus dem Haus.

Also, wenn jemand mit hochgezogenen Schultern die Minusgrade verflucht, dann sage ich immer: „Zum Glück ist es mal wieder richtig kalt.“ Und ich würde total gerne einen Schneemann bauen!

Wirklich? Es tut schon auch gut, vermisst zu werden.

Zumal Sie ja nicht immer so beliebt waren …

Ach Gottchen, die alten Geschichten! Sie meinen das mit den harten Wintern vor 400 Jahren?

Es heißt, Sie seien in früheren Zeiten der personifizierte Winter gewesen. Düster und grimmig, kein Freund der Menschen.

Damals war ich jung und ungestüm, richtig cool, da habe ich mich gern als Raubein inszeniert. Und klar, diese Bilder sind hängengeblieben, wie ich da mit bösem Blick eine mächtige Rute schwinge… Wohingegen von der wunderschönen Schneefigur, die Michelangelo damals in den 1490er Jahren geschaffen hat, nur selten die Rede ist.

Was sicher auch damit zusammenhängt, dass Schnee eben kein Marmor ist.

Könnte aber auch damit zusammenhängen, dass der Mensch zur Vergesslichkeit neigt. Auch wenn es Schnee von gestern ist: Sie dürfen nicht die ungezählten Kinderaugen vergessen, die wir als Schneemänner in den letzten 200 Jahren zum Leuchten gebracht haben. Wir Schneemänner sind ziemlich beliebt inzwischen.

Wie haben Sie das mit dem Imagewandel hinbekommen?

Da hat uns auch in die Karten gespielt, dass die Winter irgendwann nicht mehr so lang und entbehrungsreich waren. Gut geheizte Häuser, Vorratskeller und nicht zu vergessen: die Erfindung der Muhlbuhtz in den Achtzigerjahren.

Muhlbuhtz?

Na, diese fluffigen Winterstiefel, mit denen die Kinder durch den Schnee tollen.

Ah, Sie meinen Moonboots?

So heißen die? Die Kinder nennen die immer Muhlbuhtz. Was haben denn Schneestiefel mit dem Mond zu tun?

Keine Ahnung, aber die Frage passt gut zu den vielen anderen, die im Netz kursieren.

Was fragt man denn so über den Schneemann im Internet?

Mitunter ziemlich Kritisches. Etwa, warum es Schneemann heißt und nicht Schneefrau?

Wo haben Sie das denn her? Klugscheißer.de?

Nein, das stand da in einem Suchfenster und war eher lustig gemeint, glaube ich...

Haha, selten so gelacht! Das erinnert mich an diese britische Kunsthistorikerin, die vor 20 Jahren so einen Wirbel gemacht hat, ich sei weiß, sexistisch und Zeichen einer überholten Männlichkeit! Wie hieß die nochmal?

Sie meinen vermutlich Tricia Cusack?

Genau! Da krieg ich jetzt noch Schüttelfrost, wenn ich dran denke, wie eiskalt die uns Schneemänner vorgeführt hat. Von wegen Machos und Frauenfeinde! „Lasst uns doch ein bisschen fantasievoller sein“, hat sie damals im Radio gesagt, „wie wäre es mit einer Schneefrau?“ Pah! Da ist mir damals nicht nur die Karotte aus dem Gesicht gefallen. Natürlich haben Kinder schon immer Schneefrauen und Schneekinder gebaut, damit wir Schneemänner nicht so alleine sind! Da wurde und wird ein Problem herbeigeredet, das in unserer Schneewesencommunity überhaupt nicht existiert.

Schneewesencommunity?

So nennen wir uns heute. Wir waren schon immer divers, und auch wenn wir alle aus gefrorenem Wasser sind, so ist kein Schneemann wie der andere, keine Schneefrau gibt es zweimal. Wir sind groß und klein, manche von uns sind aus schmutzigem, wieder andere aus dem reinsten Schnee, den Sie sich vorstellen können. Da bin ich auch dem Cornelius und der Karen unglaublich dankbar, dass die beiden nicht müde werden, zu zeigen, wie vielfältig und erfrischend die Schneewesenszene ist.

Cornelius und Karen?

Der Cornelius Grätz aus Reutlingen hat nicht nur den Welttag des Schneemanns ins Leben gerufen, er hat auch lange den Weltrekord gehalten mit seiner Schneemann-Sammlung. Aber im Jahr 2013 ist er dann von Karen Schmidt abgelöst worden. Die lebt in den USA und hat damals schon eine Sammlung mit mehr als 5100 Schneemännern gehabt. Beide supercool! Denke gerne an die beiden, zumal in diesen Zeiten, in denen wir Schneewesen es echt nicht so leicht haben…

Sie meinen die Erderwärmung?

Die auch. Aber ich meine jetzt vor allem komische Videos, die von uns im Internet kursieren. Hab vor ein paar Tagen eins gesehen, da kann man einem erwachsenen Mann dabei zusehen, wie er einen Schneemann baut.

Finde ich nicht soo komisch…

Ich schon! Jedes Kind kann einen Schneemann bauen, da brauchen wir doch keine Lehrvideos!

Vor allem brauchen wir Schnee, und der ist ja in manchen Gegenden rar geworden...

Aber da sind wir in unserer Community auch schon auf der Suche nach Alternativen. Ich habe kürzlich einen Schneemann aus Gemüse gesehen. Das war auf den ersten Blick schon seltsam, andererseits wird ja in ganz vielen Bereichen an pflanzlichen Alternativen geforscht.

Aber, mit Verlaub, ist das dann noch ein Schneemann?

Natürlich sind mir Schneemänner aus Schnee immer noch am liebsten, andererseits sind auch wir Schneewesen Teil des ewigen Kreislaufs aus Werden und Vergehen. Auch wir sind immer im Wandel. Wir werden gebaut – und wenn wir geschmolzen sind, steigen wir als Wassertropfen wieder auf in die Atmosphäre.

Jetzt wird mir warm ums Herz…

Aber bevor Sie ganz dahinschmelzen: Darf ich Ihnen noch verraten, was mir Hoffnung macht?

Ja, bitte!

Solange irgendwo auf dieser Welt noch Flocken vom Himmel rieseln, wird es uns Schneemänner geben. Und Schneefrauen auch!

Interview: Boris Halva

Sieht so die Zukunft aus? dpa
Sieht so die Zukunft aus? dpa © picture-alliance / Helga Lade Fo

Auch interessant

Kommentare