Ukrainische Band Go_A über Kunst im Krieg: „Aus Hass entsteht nichts Gutes“

Die ukrainische Band „Go_A“ spricht im Interview über Kunst in Kriegszeiten, ihre ESC-Erfahrung und den Reiz kultureller Wurzeln.
Frau Pavlenko, Herr Shevchenko, Sie sind für vier Konzerte aus Ihrer ukrainischen Heimat nach Deutschland gekommen. Was bedeutet es für Sie, in Zeiten des Krieges auf Tour zu gehen?
Pavlenko: Im Moment geht es bei unseren Auftritten nicht nur um Musik. Als der Krieg begann, haben wir alles abgesagt. Ich blieb in Kiew und jede Explosion, jede Nachricht über Tod und Zerstörung zerstörte mich moralisch. Viele Leute haben angeboten, dass wir irgendwo in Europa zur Unterstützung der Ukraine auftreten können. Aber ich habe nicht geglaubt, dass das etwas bewirken könnte. Doch dann wurde uns klar: Wir können den Menschen, die unter dem Krieg leiden, durchaus helfen. Der größte Teil unserer Einnahmen aus den Shows wird für wohltätige Zwecke gespendet. Wir haben die Möglichkeit, unsere Kultur zu zeigen und Menschen zusammenzubringen. Und wir geben denen, die in Europa Zuflucht suchen, ein Gefühl von Heimat.
Welche Erfahrungen machen Sie, bei Auftritten vor Ukrainer:innen, die vor dem Krieg geflohen sind?
Pavlenko: Es ist sehr emotional. Viele Menschen würden gerne in die Ukraine zurückkehren, aber sie können nirgendwo mehr hin. Die russischen Angriffe haben viele Städte zerstört. Die Menschen haben ihre Häuser verloren. Das tut sehr weh. Bei unseren Konzerten können sie, zumindest für einen Moment, mit dem Herzen in ihre Heimat zurückkehren. Und sich gegenseitig kennenlernen. Es geht auch um Einheit.
Ihre Musik verbindet elektronische Elemente mit ukrainischer Folklore. Beim Eurovision Song Contest (ESC) 2021 haben Sie den 5. Platz erreicht. Waren Sie überrascht, dass Sie so viele Menschen in ganz Europa begeistern konnten?
Pavlenko: Wir hatten nicht das Ziel, zu gewinnen. Wir haben einfach weitergegeben, was uns in der Ukraine inspiriert. Vor uns hat sich noch niemand getraut, beim Wettbewerb ein Lied komplett auf Ukrainisch zu singen. Früher dachte jeder, dass man auf Englisch singen muss, um auf dem europäischen Markt Fuß zu fassen. Aber viele Künstler entschieden sich dafür, auf Russisch zu singen, weil es einfacher war, auf dem russischen Markt Fuß zu fassen. Jetzt hat sich alles geändert. Sogar die Band Kalush hatte ihre Richtung geändert und sang Folklore beim ESC.
Der Name Ihrer Band Go_A bedeutet „Zurück zu den Anfängen“. Was ist der Reiz der kulturellen Wurzeln?
Shevchenko: Wenn man sich die Texte ukrainischer Volkslieder genauer anschaut, stellt man fest, dass unsere Vorfahren so ziemlich die gleichen Gefühle hatten, und die gleichen Wege, sich auszudrücken, um in einer freien Welt zu leben, wie wir es heute tun. Warum also nicht etwas von ihnen lernen? Es ist das Erbe einer ganzen Nation, und wir sollten ihre Erfahrungen berücksichtigen, damit wir Fehler von früher nicht wiederholen. Es ist immer einfacher zu wissen, wohin man geht, wenn man sich daran erinnert, woher man kommt.
Wladimir Putin will die ukrainische Kultur und Identität zerstören. Was löst das in Ihnen aus?
Zu den Personen
Kateryna Pavlenko (34) kommt aus der nordukrainischen Stadt Nyschin, wo sie an der Kunsthochschule zur Dirigentin für folkloristische Chöre ausgebildet wurde. Seit 2012 ist sie Mitglied der Band Go_A.
Taras Schewtschenko ist Gründer der Band. Er spielt Keyboard und ist der künstlerische Leiter der Gruppe. jjm
Pavlenko: Wenn man die Kultur eines Landes zerstören will, muss man auch seine Vertreter beseitigen. Als einige ukrainische Städte von den russischen Invasoren zurückgegeben wurden, haben wir gesehen, was zurückblieb – geplünderte Museen, Berge von verbrannten ukrainischen Büchern und obszöne Worte an den Wänden. Und Gräber. Sie haben einen Kinderbuchautor im Gebiet Charkiw getötet, nur weil er Ukrainisch sprach, und viele andere, die nicht mit den Besatzern zusammenarbeiten wollten. Wir müssen kämpfen, weil wir Teil einer zivilisierten Welt sein wollen, in der das Recht auf Identität respektiert wird.
Ihre Lieder handeln oft von der Natur, von Singvögeln oder alten ukrainischen Wäldern. Wie verändert es eure Musik, dass genau das jetzt auch zerstört und mit Landminen gefüllt wird?
Shevchenko: Wir lernen es, nicht zu hassen. Denn egal wie schrecklich die Kriegsverbrechen und Gräueltaten der Russen sind, aus Hass entsteht nichts Gutes. Sie wollen, dass wir sie fürchten, aber das wird nicht passieren. Sie brennen unsere Städte, Felder und Wälder nieder, sie nehmen uns buchstäblich alles, aber was sie nie verstehen werden, ist, dass unser Volk wichtig ist. Sie verstehen es einfach nicht, weil sie das menschliche Leben nicht schätzen. Alle ihre Leute sind nur Kanonenfutter für ihre Militärmaschinerie. Jedes Haus werden wir wiederaufbauen. Jeden Baum werden wir nachwachsen lassen.
Ihr ESC-Beitrag „Shum“ feiert die Rückkehr des Lebens nach einem langen Winter. Hat das Lied für Sie seit der russischen Invasion an Bedeutung gewonnen?
Shevchenko: Ich glaube, die meisten unserer Lieder haben eine zusätzliche Bedeutung bekommen. Die Russen versuchen, hier einen kulturellen Völkermord zu begehen, und allein die Tatsache, dass unsere Lieder in ukrainischer Sprache sind, ist wichtig. In „Shum“ feiern wir die Rückkehr des Frühlings, und es stimmt, dass das in diesen Zeiten ziemlich symbolisch ist. Denn egal was passiert, der Winter endet irgendwann.
Wie ist die aktuelle Situation für Künstler:innen in der Ukraine?
Shevchenko: In den ersten Monaten nach dem Beginn der Invasion war es schwer, an irgendetwas zu arbeiten, denn wir waren zutiefst schockiert. Niemand hätte gedacht, dass so etwas im 21. Jahrhundert passieren könnte. Und nichts zählte mehr als der Kampf um unser Existenzrecht. Aber mit der Zeit wurde uns klar, dass die Russen uns zum Schweigen bringen und uns Angst machen wollen. Und seitdem versuchten wir, mit unserer Musik etwas an der kulturellen Front zu erreichen. Dann kamen die massiven Raketenangriffe auf unsere Städte und es lief so ab – wir kommen ins Studio, fangen an zu arbeiten, dann hören wir nach einer halben Stunde die Luftschutzsirenen und gehen in den Luftschutzkeller, nach einiger Zeit siehst du auf deinem Handy, dass der Luftalarm aus ist und du kannst wieder ins Studio gehen, nur um in ein paar Stunden wieder Luftalarm zu hören. In letzter Zeit gab es auch Stromausfälle, sodass wir ein Studio mit einem mobilen Stromgenerator finden mussten. Technisch können wir an neuer Musik arbeiten, aber es ist nicht so einfach.
Frau Pavlenko, im Juni 2021 setzte Sie das Kiewer Focus-Magazin unter die 100 einflussreichsten Frauen der Ukraine auf Platz 10. Welchen gesellschaftlichen Einfluss hat für Sie die Musik?
Pavlenko: Musik ist eine Energie, die starken Einfluss auf das Unterbewusstsein hat. Sie berührt die Seele und kann mehr sagen als nur Worte. Musik ist Macht. Wenn die Musik ehrlich und tiefgründig ist, kann sie ein Mantra oder ein Gebet sein. Manchmal scheint es, als hätte Musik eine magische Kraft. Kommen Sie zu unserem Konzert, und ich zeige Ihnen, wie das funktioniert.