Tatwaffe Luftballon

Bremens Regierung wegen fliegenden „Plastikmülls“ angezeigt. Von 1993 an berichtete Eckhard Stengel für die FR aus dem Norden. Jetzt veröffentlicht er seine „Bremer Rundschau“.
Bremens Bürgermeister Carsten Sieling ist erst wenige Monate im Amt – und schon hat er seine erste Anzeige am Hals: wegen Umweltverschmutzung im Dienst. Was hat er verbrochen, der 57-jährige Sozialdemokrat? Hat er Senatsakten in die Weser geworfen? Oder stößt sein Dienstwagen zu viele Abgase aus? Nein, Sieling hat in alter Bürgermeistertradition die jährliche Tombola zur Finanzierung des Bremer Bürgerparks eröffnet. Und wie es dabei üblich ist, ließ er auch 500 Luftballons mit anhängenden Freilos-Gutscheinen aufsteigen.
Was er nicht ahnte: Auch ein gewisser Ernst Hasenfuss aus dem niedersächsischen Großenkneten würde aus der Zeitung davon erfahren. Und mit dem 65-jährigen Bio-Lehrer i. R. ist nicht zu spaßen, wenn es um Ballons geht – vor allem, wenn Kärtchen und Bändchen aus Plastik daran hängen.
Seit Jahren schreibt Hasenfuss Leserbriefe, um vor solch gefährlichen Flugobjekten zu warnen: „Die Gummireste mit Anhang landen dann irgendwo: im Meer, auf den Wiesen und Feldern, im Wald – verschmutzen die Natur, werden von Fischen, Kühen, Pferden, Schafen gefressen, und diese armen Geschöpfe krepieren elendig.“ Zum Beispiel an Darmverschluss. Und das alles nur zur Volksbelustigung.
Bisher hat sich Hasenfuss mit dem Schreiben von Leserbriefen begnügt (...). Aber bei einem öffentlichen Vorbild wie Sieling griff der Pensionär lieber zur schärfsten Waffe: einer Anzeige wegen „vorsätzlicher Umweltverschmutzung“. Kurz danach verpfiff er auch Sielings Stellvertreterin, die grüne Finanzsenatorin Karoline Linnert, nachdem sie in Bremen-Nord ihrerseits 200 bunte Tatwaffen hatte aufsteigen lassen, wiederum für den Bürgerpark. Plastikmüll per Luftfracht! (...)
Ihm selbst wurden die Augen geöffnet, als er das Nationalpark-Haus auf der Nordseeinsel Juist besuchte. Dort sah er eine Vitrine mit Ballonschnüren. Sie waren am Strand gesammelt worden: in vier Monaten insgesamt 500 Meter. (...)
Wie ein Blick ins Internet zeigt, verspeisen auch Hunde manchmal Luftballons. Laut „Schnauzer-Pinscher-Portal Schnaupi“ hilft dagegen ein Hausmittel: dosenweise Sauerkraut. „Das umschließt den Fremdkörper und transportiert ihn wohlbehalten raus.“ Eine Prozedur, die sich allerdings weniger für Kühe oder Möwen eignet. (...)
Wie es weiterging:
Staatsanwaltschaft und Umweltbehörde prüften die Anzeigen, konnten aber weder eine Straftat noch eine Ordnungswidrigkeit erkennen. Das Steigenlassen von Luftballons stelle ein „sozialtypisches Verhalten“ dar, schrieb die Staatsanwaltschaft. (...)
Trotz des Freibriefs der Staatsanwaltschaft verzichtete die Bürgerpark-Tombola in den folgenden Jahren auf Ballonstarts. (2016)