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Sea Shepherd-Aktivisten: „Es wird auch mal ein Schiff gerammt“

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Von: Claus-Jürgen Göpfert

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„Japan lässt noch immer aus purem Männlichkeitswahn Wale und Haie jagen“: Sea Shepherd im Einsatz gegen japanische Walfängerschiffe. archiv der sea shepherd conservation society (3)
„Japan lässt noch immer aus purem Männlichkeitswahn Wale und Haie jagen“: Sea Shepherd im Einsatz gegen japanische Walfängerschiffe. © archiv der sea shepherd conservation society

Sarah C. Schuster und Michele Sciurba legen ein Buch über Paul Watson vor, Gründer der Meeresschutzorganisation Sea Shepherd. Mit Claus-Jürgen Göpfert sprechen sie über den Kampf gegen illegale Fischerei und die Kriminalisierung von Protestaktionen.

Frau Schuster, Herr Sciurba, für Ihr Buch über die Bewegung Sea Shepherd haben Sie sich intensiv mit der ökologischen Situation der Weltmeere beschäftigt. Wie ist Ihre persönliche Einschätzung, können die Meere noch gerettet werden?

Sarah C. Schuster: Ich blicke hoffnungsvoll auf die Generation MZ, einem Zusammenschluss der Millennials und Gen Z. Wir träumen von einem Meer, in dem kein Plastikmüll mehr treibt. Wir wissen: Es brennt! Es muss mehr getan werden. Es gibt viele Ansatzpunkte, um zu handeln. Einer davon ist ein plastikfreies Leben. Es gibt die vegane Bewegung, die wächst. Ich möchte deshalb auch gar nicht von nötigem Verzicht sprechen, sondern von einer Änderung des persönlichen Lebensstils.

Michele Sciurba: In den 50er und 60er Jahren gab es eine große Fortschrittsgläubigkeit. Viele glaubten, der Mensch sei in der Lage, alle Herausforderungen technisch zu beherrschen. Man hatte noch keine Erfahrungen mit den langfristigen Folgen von Eingriffen in das Ökosystem. Über CO2 hat niemand nachgedacht, man baute autogerechte Städte. Obwohl Aktivisten wie Al Gore oder Paul Watson von Sea Shepherd gewarnt haben, ist immer noch nicht bei allen angekommen, dass das Ökosystem und seine Ressourcen endlich sind. Wir müssen unseren Lebensstil verändern und Ressourcen neu verteilen. Aber diese Erkenntnis ist bei vielen Politikern der Boomer-Generation nicht vorhanden, sei es der frühere brasilianische Präsident Bolsonaro, der frühere US-Präsident Trump oder etwa der russische Präsident Putin.

Schuster: Bei vielen jungen Menschen der Generationen Y und Z wirken die notwendigen Veränderungen dagegen schon identitätsstiftend. Es fühlt sich für uns gut an, nachhaltig zu leben, weniger Müll zu erzeugen und weniger Plastik zu nutzen.

Sciurba: In der deutschen Politik gibt es noch viel zu wenig Veränderungen. Ich will ein einfaches Beispiel nennen: Alle öffentlichen Gebäude in Deutschland müssten plastikfrei sein. Das wäre ein Signal!

Klein gegen Groß: „Industrielle Fischerei ist nie nachhaltig.“ sea shepherd/M. Baldo
Klein gegen Groß: „Industrielle Fischerei ist nie nachhaltig.“ sea shepherd/M. Baldo © Marianna Baldo

Die Formen des Widerstands sind derzeit sehr umstritten. Paul Watson, der Gründer von Sea Shepherd, prägt in Ihrem Buch die schöne Formel von „aggressiver Gewaltlosigkeit“. Übersetzt heißt das: Gewalt gegen Sachen, oder?

Sciurba: In der Praxis heißt das: Man jagt die illegalen Fischer, man stört sie. Kleine Schiffe von Sea Shepherd schieben sich zwischen die Walfänger. Es wird auch mal ein Schiff gerammt. In der Regel allerdings werden die kleineren Boote von Sea Shepherd von den großen Walfängern attackiert.

Schuster: Für mich heißt die Formel von Paul Watson: Direkte Aktion sollte im Mittelpunkt stehen.

Sciurba: Wir glauben, dass wir das machen müssen. Denn gerade der japanische Staat belügt die Menschen, indem er behauptet, dass Wale aus wissenschaftlichen Gründen gejagt und getötet werden und seine gesamte Walfangflotte als Forschungsschiffe kennzeichnet. Jeder weiß, dass das nicht wahr ist.

Autorin und Caseworkerin Sarah Schuster.
Autorin und Caseworkerin Sarah Schuster. © Alexander Paul Englert

Im Jahr 2012 wurde Paul Watson auf dem Flughafen von Frankfurt am Main festgenommen. Was war der Grund?

Sciurba: Die Regierung von Costa Rica hatte einen internationalen Haftbefehl gegen ihn beantragt. Er wurde des versuchten Mordes beschuldigt, weil acht illegale Fischer behauptet hatten, er habe sie töten wollen. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich die Präsidentin von Costa Rica gerade zu einem Staatsbesuch in Deutschland auf. Die Bundesregierung wollte ihr ein politisches Geschenk machen. Man wollte einen politischen Prozess. Paul Watson vermutete, dass es einen Kuhhandel zwischen der damaligen Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger und der Regierung von Costa Rica geben sollte. Man wollte, dass Deutschland Paul Watson ausliefert. Er floh dann in die Niederlande. Der Haftbefehl wurde später aufgehoben, weil die Vorwürfe absurd waren.

Heute ist Sea Shepherd in mehr als 50 Ländern vertreten, es gibt zahlreiche Kampagnen zum Schutz von Delfinen, Walen, Meeresschildkröten und zum Kampf gegen illegale Fischerei.

Schuster: Das ist richtig. Es wird in den sozialen Medien täglich von diesen Aktionen berichtet, das ist sehr spannend und spektakulär, vor allem aber authentisch und transparent.

Sciurba: Und doch haben wir den Eindruck gewonnen, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur Rettung der Ökosysteme eher abgenommen hat. Die Artenvielfalt geht rapide zurück. Seit den 50er Jahren sind mehr als 50 Prozent der Arten ausgestorben. Deshalb halten wir die Aktionen der Organisation Extinction Rebellion für so wichtig, weil sie sich nicht um Ländergrenzen schert.

Getötete, unter Artenschutz stehende Zwergwale auf japanischem Schiff.
Getötete, unter Artenschutz stehende Zwergwale auf japanischem Schiff. © archiv der sea shepherd conservation society

Zu Personen & Thema

Sarah Schuster studierte Komparatistik und Germanistik in Frankfurt am Main und San Diego, Kalifornien, sowie Advanced Creative Writing an der University of Oxford. Sie ist als Autorin, Journalistin, Researcherin und Caseworkerin in komplexen Menschenrechtsfällen tätig. Sie lebte und arbeitete in der Ukraine.

Michele Sciurba ist Rechtswissenschaftler, Strategieberater, Menschenrechtsaktivist und Autor. An der University of Liverpool erwarb er seinen Master of Laws im Internationalen Recht. Er promovierte in Völkerrecht und Öffentlichem Verwaltungsrecht an der Universität von Kiew in der Ukraine. Er ist Hochseesegler. Bilder: Privat

„Captain Paul Watson – Eine Bewegung kann man nicht zerstören“ heißt das Buch von Sarah Schuster und Michele Sciurba über den Gründer der Meeresschutzorganisation Sea Shepherd, erschienen im Verlag Edition Faust. Paul Watson war 1972 Mitbegründer von Greenpeace, fünf Jahre später rief er die Organisation Sea Shepherd ins Leben. Wegen seines Kampfes gegen illegales Fischen hatten Japan und Costa Rica zeitweise einen internationalen Haftbefehl gegen ihn erwirkt.

Podium: FR-Autor Claus-Jürgen Göpfert spricht mit Schuster und Sciurba über den Schutz der Meere und das jüngste internationale Abkommen. Dienstag, 4. April, 19.30 Uhr, Bühne Marleen, Liliencarré, Bahnhofsplatz 3, Wiesbaden. jg

Was ist denn mit den Vereinten Nationen, setzen Sie nicht auf UN-Organisationen zur Rettung der Meere?

Sciurba: Die UN sind eine wirklich wichtige Organisation. Aber Japan ist der zweitgrößte Finanzier der Vereinten Nationen. Und Japan lässt noch immer aus purem Männlichkeitswahn heraus Wale und Haie jagen. Man behauptet, Walfleisch und Haifischflossen steigerten die Potenz. Das ist vollkommen irrational.

Schuster: Die Fischtrawler richten bei ihren illegalen Fangaktionen einen immensen Schaden an, etwa durch die verbotenen Schleppnetze, die über den Meeresboden gezogen werden.

Rechtswissenschaftler und Aktivist Michele Sciurba.
Rechtswissenschaftler und Aktivist Michele Sciurba. © Alexander Paul Englert

Nun hat am 5. März eine internationale Konferenz in New York ein Abkommen zum Schutz der Hochsee beschlossen, das von vielen Regierungen gefeiert wird. Künftig sollen alle Eingriffe des Menschen in die Meere einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden. Ist das kein Fortschritt?

Sciurba: Grundsätzlich ist dieses Abkommen gut. Aber Paul Watson würde sagen: Es hilft unmittelbar überhaupt nicht. Erst einmal müssen 60 Länder die Vereinbarung ratifizieren, damit sie überhaupt in Kraft tritt. Das kann Jahre dauern.

Schuster: Währenddessen geht die Zerstörung des Ökosystems weiter. Mehr als 30 Prozent der Fischbestände weltweit sind bereits überfischt, im Mittelmeer sind es 96 Prozent. Mein Vertrauen in weltweite Abkommen ist größtenteils erschüttert.

Aber gibt es nicht auch Fisch, der aus ökologisch vertretbarer Haltung stammt? Was ist mit den Fisch-Farmen, die etwa in Norwegen angelegt worden sind?

Sciurba: Die Fisch-Farmen richten einen immensen ökologischen Schaden an. Nehmen wir das Beispiel der Lachse. Das Fleisch der Tiere aus Lachsfarmen ist grau, das würde sich nicht verkaufen. Also wird es in chemische Bleichbäder getaucht und dann rot gefärbt. Außerdem werden die Tiere mit Antibiotika gefüttert.

Schuster: Zuchtlachse in Gefangenschaft fressen sich gegenseitig auf, das ist grauenvoll.

Wasserwerfer im Einsatz gegen die Aktivist:innen.
Wasserwerfer im Einsatz gegen die Aktivist:innen. © Sea Shepherd

Was ist ihre persönliche Konsequenz aus diesen Erkenntnissen?

Sciurba: Wir essen keinen Fisch mehr. Es sei denn, er stammt aus überprüfbaren, lokalen Beständen.

Schuster: Industrielle Fischerei ist niemals nachhaltig. Es gibt nur wenige Ausnahmen nachhaltiger Fischerei, etwa in Westafrika oder Indien, aber auch an der Adria auf dem lokalen Sektor. Aber 40 Prozent der Fische, die in Läden und Restaurants verkauft werden, stammen aus illegaler Fischerei.

Sciurba: Die industrielle Fischerei ist grundsätzlich abzulehnen. 40 Prozent dieses Fangs übrigens kommen gar nicht bei den Menschen auf den Tisch. Sie werden an Hühner, Schweine und Hauskatzen verfüttert, als Tierfutter.

Sie haben die direkte Aktion als Form des Protestes gegen die ökologische Zerstörung sehr gelobt. Nun gibt es in Deutschland aus Teilen der Politik scharfe Vorwürfe etwa gegen Aktionen der Letzten Generation, bei denen Menschen sich auf Straßen festkleben oder Gemälde mit Suppe bewerfen. Es ist sogar von Terrorismus die Rede.

Sciurba: Der Vorwurf des Terrorismus ist lächerlich. Wir beobachten aber tatsächlich, dass in unserer Gesellschaft direkte Aktionen zunehmend kriminalisiert werden. Das ist der Demokratie sehr abträglich. Eine Demokratie sollte mit Aktionen wie denen der Letzten Generation gelassen umgehen. Stattdessen greift der Staat zunehmend in alles ein. Das aber tötet Demokratie.

Captain Paul Watson – Eine Bewegung kann man nicht zerstören“ heißt das Buch von Sarah Schuster und Michele Sciurba über den Gründer der Meeresschutzorganisation Sea Shepherd, erschienen im Verlag Edition Faust.
Captain Paul Watson – Eine Bewegung kann man nicht zerstören“ heißt das Buch von Sarah Schuster und Michele Sciurba über den Gründer der Meeresschutzorganisation Sea Shepherd, erschienen im Verlag Edition Faust. © Verlag Edition Faust

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