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Schwingende Räume

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Von: Finn Mayer-Kuckuk

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Die Gebäude in Japan werden alle erdbebensicherer gebaut.
Die Gebäude in Japan werden alle erdbebensicherer gebaut. © rtr

Japan, Weltmeister im erdbebensicheren Bauen. In der japanischen Hauptstadt wird besonders auf die Architektur geachtet.

Die japanische Hauptstadt wartet auf das Beben: Mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit soll sich direkt unter Tokio in den kommenden 30 Jahren ein Beben der Stärke 7 ereignen – vergleichbar also dem, das in Mexiko schwere Schäden angerichtet hat. Die Stadtregierung von Tokio rechnet im Fall eines Bebens der Stärke 7,1 mit 5600 Toten in der Großregion mit ihren 30 Millionen Einwohnern. Die häufigste Todesursache wird der Katastrophenkommission der Stadt zufolge der Einsturz von Gebäuden infolge von Bodenverflüssigung sein.

Die Zahl klingt hoch – doch sie markiert eine Halbierung der geschätzten Opferzahl gegenüber früheren Schätzungen zu Anfang des Jahrhunderts. Denn die Inselkette hat sich bereits so gut es geht auf die kommende Katastrophe vorbereitet – schließlich passiert dort jedes fünfte starke Beben weltweit. Bei den Erschütterungen der Stärke 9 im Jahr 2011 war es jedoch nicht das Erdbeben, sondern der Tsunami, der die meisten Opfer gefordert hat.

Dreh- und Angelpunkt ist die Architektur. Faustregel ist derzeit in Japan: Je neuer ein Gebäude, desto stärkeren Stößen hält es stand. Es gibt von der Stadt kostenlose Beratung sowie Steuererleichterungen beim bebensicheren Bauen – kombiniert mit rigorosen Kontrollen und schweren Strafen bei Verstößen. Wer japanische Häuser im Rohbau sieht, erkennt bereits eine Reihe von Tricks: Die Häuser bestehen oft aus einem Stahlrahmen, der an den Ecken flexible Gelenke und Stoßdämpfer hat. Die Räume sind darin aufgehängt und können schwingen, ohne zu zerbrechen. Modernste Gebäude zeigen, was sonst noch geht. Vor dem Wolkenkratzerkomplex Roppongi Hills liegt ein Garten, der als Evakuierungsfläche dient. Was der Besucher nicht sieht: Der Rasen bedeckt als dünne Schicht eine riesige Stahlbetonplatte, die unten auf hydraulisch gedämpften Pfeilern mit flexiblen Querstreben gelagert ist. Diese wiederum sitzen auf einem massiven Betonfundament auf. Die Fläche kann daher nicht aufreißen und bietet einige Sicherheit.

In der Bauweise liegt einer der Hauptunterschiede zwischen Japan und anderen Erdbebengebieten. Bei einem schweren Beben im benachbarten China sind im April 2008 knapp 70 000 Menschen gestorben, zehn Millionen hatten kein Dach mehr über dem Kopf. Wegen der betroffenen Fläche lassen sich die Beben nicht vergleichen, aber bei dem von der Energiefreisetzung her ungefähr vergleichbaren Beben in Japan einen Monat später starben nur sechs Menschen.

In einem milliardenteuren Projekt hat Tokio begehbare Betonröhren durch den Untergrund gezogen, in denen die so genannten „Lifelines“ laufen: Strom, Wasser, Gas, Telefon, Glasfasern fürs Internet. Bei früheren Erdbeben hat sich gezeigt, dass sich solche Strukturen schnell reparieren lassen. „Japan ist ein gefährliches Land, aber die Gegenmaßnahmen sehen gut aus“, sagt Takehiko Yamamura, Leiter des Forschungsinstituts für Katastrophensysteme in Tokio. Im Vergleich zu anderen Ländern mit hohem Erdbebenrisiko hatte Japan jedoch auch über die Jahrzehnte gesehen einen großen Vorteil: „Die Wirtschaftsleistung ist hoch. Wir konnten sehr viel investieren.“

Zudem gelten Fachleuten die vielen Übungen, die Japan abhält, als wichtigster Faktor, um Leben zu retten. Eine solche Notfallübung gab es auch in Mexiko – nur Stunden bevor dort das Beben begann.

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