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Ein Hauch von Agave

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Doch Klimawandel und Energiekrise nagen an der 500 Jahre alten Tradition.
Klimawandel und Energiekrise nagen an der 500 Jahre alten Tradition. © Astrid Ludwig

Quellwasser, Gerste, Hefe – mehr braucht es eigentlich nicht für das schottische Nationalgetränk. Wird das reichen, wenn sich das Klima wandelt? Besuch in einem Versuchslabor, in dem der Whisky der Zukunft gebraut werden soll. Von Astrid Ludwig

Wer nach Tain kommt, sollte auf seine Nase hören. Es riecht nach dem Salz der nahen Nordsee, die nur wenige Meter entfernt ans Ufer des weitläufigen Areals brandet, auf dem die „Glenmorangie Distillery“ steht. Lagerhäuser reihen sich entlang des Küstensaums soweit das Auge reicht. Eingehüllt in salzige Meeresluft reift dort über Jahre und Jahrzehnte der Inhalt Tausender Whiskyfässer heran. Gleich nebendran gurgelt die hauseigene Tarlogie-Quelle durch die Wiesen in Richtung Strand. Ein Gemisch aus Torf und Eichenfässern, Maische, Alkohol und ein Hauch von Schokolade liegen über den 180 Jahre alten Steingebäuden, die sich zwischen Wasser und sanften Hügeln aneinanderdrängen.

Der Mönch John Cor aus der Grafschaft Fife war 1494 einer der Ersten, die aus Malz und Wasser das Destillat brannten, das zu Schottland gehört wie Haggis, Dudelsack und Tartankaros. Anfangs ein Arzneitrunk ist Whisky heute ein weltweiter Exportschlager. Doch Klimawandel und Energiekrise nagen an der 500 Jahre alten Tradition. In Schottlands Norden forscht ein Team von Glenmorangie daher am Whisky der Zukunft.

In der Destille an der Ostküste im Norden der Highlands wird seit 1843 Whisky gebrannt – das ganze Jahr über und rund um die Uhr. Fast sieben Millionen Liter des Gerstendestillates brauen die „Men of Tain“ – so nannten sich schon die 16 Männer, die in der kleinen Stadt den Grundstein für die Tradition legten. Viel größer ist die Mannschaft auch heute nicht, gerade mal 24 Menschen halten den Betrieb am Laufen, mittlerweile sind auch Frauen darunter.

„Die kupfernen Brennblasen, die Pot Stills, sind besonders hoch und lang – wie ein Giraffenhals.“
„Die kupfernen Brennblasen, die Pot Stills, sind besonders hoch und lang – wie ein Giraffenhals.“ © Glenmorangie

Beim schottischen Whisky unterscheidet man zumeist zwischen – dem edleren – Single Malt, der nur in einer Brennerei und aus gemälzter Gerste hergestellt werden darf, und einem Blended Whisky, der aus verschiedenen Getreidesorten und Destillerien stammen kann. In Tain wird seit hundert Jahren nur Single Malt gebrannt. Mit fast elf Millionen Flaschen jährlich ist Glenmorangie einer der meistverkauften Single Malt Whiskys weltweit. 97 Prozent der Produktion gehen in den Export. 29 verschiedene Sorten haben sie auf dem Markt – von leicht nach Zitrusfrüchten oder nach Karamell schmeckenden Varianten bis hin zu einer würzig schweren Abfüllung mit einem Hauch von Mokka und dunkler Schokolade.

Ich bin am liebsten im Labor und experimentiere

 Bill Lumsden, Leiter der Brennerei bei Glenmorangie und Ardbeg

Der Mann hinter all diesen Kreationen und Geschmacksnuancen ist Bill Lumsden, „Director of Distilling, Whisky Creation and Whisky Stocks“ bei Glenmorangie und Ardbeg, so der offizielle Titel. Als „Master Blender“ sorgt er dafür, dass die Whisky-Abfüllungen auch über Jahre stets den Geschmack und den für die Destillerie typischen Charakter halten. In der weltweiten Whisky-Szene ist Lumsden eine Ikone, ehrfürchtig Dr. Bill genannt. So etwas wie der Rockstar des Whiskys. Mehrfach war er „Distiller of the Year“. Seit Jahrzehnten ist er der Leiter der Brennerei, die heute zum Luxusgüterkonzern Louis Vuitton Moet Hennessy gehört.

Sein neuestes „Baby“ ist das Lighthouse, der Leuchtturm, der 2021 auf dem Gelände der Brennerei in Tain erbaut wurde. Ein hochmoderner Glaskubus und das Versuchslabor, in dem der Master Blender und sein handverlesenes Team den Whisky von morgen erfinden wollen. Schon viele Jahre tüftelt der 62-Jährige an ungewöhnlichen Sorten und neuen Produktionsverfahren. Für „The Signet“ etwa ließ er die Gerste länger als gewöhnlich malzen und kreierte so die Schokoladen- und die dunkle Röstung, die dem Destillat ein Aroma von starkem Kaffee und Bitterschokolade verleiht.

„Ich bin am liebsten im Labor und experimentiere“, sagt Bill Lumsden und schwenkt zwei Glasflaschen mit goldgelbem Inhalt. Früher ließen sich Versuche oder Veränderungen in die laufende Produktion nur schwer einbauen. Im Lighthouse hat er dafür jetzt die richtige Umgebung und Ausrüstung. Das 20 Meter hohe Glashaus ist wie eine Minidestillerie unter anderem mit zwei Brennblasen ausgestattet, in der der Meister und seine zwei Mitarbeiter nun unabhängig vom laufenden Betrieb im Haupthaus schalten und walten können. „Das ist mein Spielplatz“, freut sich Lumsden. Ein durchaus kostspieliger: Eine Summe zwischen fünf und neun Millionen Pfund hat der Konzern in das Zukunftslabor gesteckt, genauer lässt er sich nicht in die Karten schauen. Vieles ist topsecret, das Innere des Labors für die Öffentlichkeit tabu. Klar ist: Hier geht es nicht allein um Geschmacksverfeinerungen und neue Whiskysorten, sondern auch darum, die Produktion effektiver und nachhaltiger zu machen und an Herausforderungen wie den Klimawandel und steigende Energiekosten anzupassen. Der Veränderungsdruck ist groß.

„Rockstar des Whiskys“ Bill Lumsden.
„Rockstar des Whiskys“: Bill Lumsden. © Glenmoranangie

Innerhalb der offiziellen Regulierungen zur Whiskyherstellung experimentieren derzeit viele Destillerien. So hat etwa die Oban Brennerei an der Westküste in den vergangenen Jahren den rauchigen Geschmack ihrer Produkte verändert. „Ein Forschungslabor wie dieses gibt es derzeit aber nur bei uns“, betont Lumsden. Und dann verrät er doch ein paar Details. Für den Single Malt darf nur Gerstenmalz verwendet werden. Im Lighthouse probiert der 62-Jährige dagegen alle möglichen Getreidesorten aus, auch solche, die einen höheren Alkoholgehalt produzieren als Gerste. Er experimentiert sogar mit Reis und Quinoa. „Ich kann auch Agave oder Ananas verwenden, verrückte Sachen machen.“ Ob das schmeckt und trinkbar ist, weiß das Team bereits nach wenigen Tagen, doch ein Reifeprozess im Eichenfass dauert Jahre. Das Ziel: „Ideal wäre, ein Produkt zu kreieren, das im größeren Stil in der Destille produziert werden kann.“

Entscheidend für den Whiskyprozess ist auch die Temperatur in den Bottichen

In die Single-Malt-Herstellung werden diese Experimente aber wegen der strengen Regeln nicht einfließen. Wahrscheinlicher sind da eher die Versuche, die Lumsden mit verschiedenen Hefesorten und möglichen Alternativen anstellt. Hefe wird zugesetzt, um die Fermentierung in Gang zu setzen, also den Teil der Produktion, bei dem Zucker in Alkohol umgewandelt wird. Vielleicht findet sich aber ja ein Organismus, der all das beschleunigt? Das ist Betriebsgeheimnis, sagt Lumsden. Entscheidend für den Whiskyprozess ist aber auch die Temperatur in den Bottichen, in denen die Maischewürze blubbert. Ist sie hoch, verläuft die Gärung schneller, ist sie niedriger, dauert die Fermentierung länger. All das hat Einfluss auf den Geschmack des Whiskys, ist aber natürlich auch eine Frage des Energieverbrauchs und somit ein Feld für mögliche Einsparungen.

Auf dem Gelände der Destillerie begegnet man einem Tier, das auf den ersten Blick so gar nicht nach Schottland passt: Die Giraffe. Sie ist überall. Auf leuchtend orangefarbenen Wänden, als originalgroße Skulptur neben dem Lagerhaus, ihre braunen Fellflecken sind auf Etiketten und Verpackungen gedruckt. Ein findiger Marketing-Einfall, angelehnt an die Elemente der Produktion, die jeder kennt, auch wenn er sich überhaupt nicht für Whisky interessiert. Die glänzenden, kupfernen Brennblasen – Pot Stills – mit ihren langen Hälsen, in denen aus der zuvor trüben Flüssigkeit das hochprozentige Destillat entsteht. Die sind bei Glenmorangie besonders hoch und lang – so lang wie ein Giraffenhals. Es sind die höchsten in Schottland. Zwölf davon stehen im Still House der Brennerei.

Das Forschungslabor ist eine gute und wichtige Investition in die Zukunft.

Peter Nelson, Operationsdirektor bei Glenmorangie

An diesem Wintertag verbreiten sie eine wohlige Wärme. Gegen die Glasfenster jeder Brennblase schlägt das heiße, brodelnde Destillat wie wilder Wellengang auf dem Meer. Eine Mitarbeiterin in Schutzkleidung kontrolliert den Produktionsverlauf auf gleich mehreren Computerdisplays. An Sommertagen kann es hier leicht mal über 50 Grad warm werden. Im Versuchslabor, erzählt Bill Lumsden, stehen nur zwei Pot Stills, jedoch mit einem Unterschied: Sie sind doppelwandig und dank Wasserkühlung kann eine unterschiedliche Höhe der Hälse simuliert werden. Das beeinflusst, ob der Whisky milder oder stärker schmeckt.

Die Möglichkeiten, etwas zu verändern, sind groß. Ideen hat der Master Blender viele. Wenn er will, kann er sich in seinem Versuchslabor noch jahrelang austoben. Lumsden ist eine Mischung aus Genussmensch und leidenschaftlichem Wissenschaftler. An Ruhestand denkt der 62-Jährige nicht, sein Team will er bald um einen dritten Mitarbeiter erweitern. Der Mutterkonzern gibt ihm den finanziellen Spielraum dafür. Auch weil man erkannt hat, „dass das Forschungslabor eine gute und wichtige Investition in die Zukunft ist“, sagt Operationsdirektor Peter Nelson. „Wir verdienen Geld, aber wir müssen uns verändern und das schnell.“ Nelson ist an diesem Tag aus der Zentrale in Edinburgh zur Produktionsstätte in den Highlands gereist. Zusammen mit Chloe Cibulka, Chefin der Abteilung für Nachhaltigkeit, bereiten sie sich am Abend im „Glenmorangie House“ auf ein Arbeitstreffen am nächsten Tag vor.

„Ein Gerstenfeld im Sonnenschein“: Speisezimmer im Glenmorangie House.
„Ein Gerstenfeld im Sonnenschein“: Speisezimmer im Glenmorangie House. © Astrid Ludwig

Das Haus liegt idyllisch am Meer, nur wenige Kilometer von der Brennerei entfernt. Es wird als Veranstaltungsort für Whisky-Events, Seminare, aber auch als kleines, feines Restaurant und Hotel für Whisky-Freunde genutzt. Brennerei und Konzern haben die Zeichen der Zeit erkannt und das Haus während der Corona-Pandemie komplett umgekrempelt. Statt Karomuster und üblichem Landhaus-Flair hat der angesagte Designer Russell Sage dem ehemaligen Farmhaus ein atemberaubendes Facelifting verpasst und zu einer Reise durch die Welt des Whiskys umgestaltet. Das Wohnzimmer leuchtet nun wie ein Gerstenfeld im Sonnenschein, es gibt einen Raum, der anmutet wie eine Unterwasserwelt und ein Speisezimmer, über dessen langer Tafel handgefertigte Glaslampen hängen, die wie kupferrote Brennblasen schimmern.

Wir wollen weniger Dünger und mehr alternative Energien einsetzen. 

Peter Nelson, Operationsdirektor bei Glenmorangie

Peter Nelson und seine Kollegin haben es sich am Kamin gemütlich gemacht – natürlich bei einem Whisky. Am Morgen werden sie sich mit einer landwirtschaftlichen Kooperative aus fünf Farmbetrieben treffen, die die Brennerei mit Gerste aus der Region beliefern. Die Destillerie verwendet fast ausschließlich schottische Gerste für ihre Produktion. Das bedeutet bereits kurze Wege, aber Nelson und Cibulka wollen mit ihnen über nachhaltigere Anbauweisen beraten. „Wir wollen weniger Dünger und mehr alternative Energien einsetzen“, so Nelson. Das Rösten der Gerste hat Glenmorangie an externe Betriebe in der Region vergeben, die nach ihren Anweisungen und Rezepturen das Getreide malzen. Wöchentlich sind das immerhin fast 400 Tonnen Gerstenmalz. Für dessen Herstellung will die Brennerei stärker den Einsatz von beispielsweise Biogas forcieren, um die Bilanz zu verbessern. Seit dem Ukrainekrieg, sagt der Operationsdirektor, explodieren die Gerste- und Energiepreise.

Wasser ist für die Whisky-Herstellung überlebenswichtig. Versiegt es, bleiben die Brennblasen kalt

Derzeit reifen rund 500 000 Whiskyfässer in den Lagerhäusern. Deren Betrieb und Energiebedarf wird zu 40 Prozent mit Solarenergie gedeckt und über Solarpaneele auf den Dächern. „Wir müssen unsere Abläufe optimieren, den Impact auf die Umwelt reduzieren“, betont Nelson. Dazu haben sich alle großen und kleinen Whiskyhersteller in Schottland in einer Umwelt-Charta verpflichtet. Denn alle treiben dieselben Probleme und Ängste um: Der Klimawandel. „Der Jetstream verändert sich“, sagt Nelson. Der starke Windstrom in rund zehn Kilometer Höhe verliert – vermutlich wegen der Erderwärmung – an Kraft. Hitze, Regen oder Kälte können sich deshalb über längere Zeiträume an einem Ort halten.

Das merken auch die Schotten. Im Frühjahr 2022 etwa hat es drei Monate lang auf der Hebrideninsel Islay im Westen der Highlands, aber auch im Rest des Landes gar nicht oder kaum geregnet. Islay ist für seine rauchigen, torfigen Whiskys berühmt. Auf der fruchtbaren, regenreichen Insel gibt es neun Destillerien, darunter Ardbeg, Bowmore oder Lagavulin. Wasser ist für die Whisky-Herstellung überlebenswichtig. Bleibt es aus, bleiben die Brennblasen kalt. Auf ein Kilogramm Gerstenmalz kommen rund vier Liter Quellwasser. „Wir müssen den Verbrauch senken“, weiß Peter Nelson.

Astrid Ludwig ist Journalistin und Buchautorin. Sie bereist seit mehr als 30 Jahren die britischen Inseln, liebt die englische Gartenkultur, Fish and Chips, die raue Landschaft der Highlands – und natürlich schottischen Whisky.
Astrid Ludwig ist Journalistin und Buchautorin. Sie bereist seit mehr als 30 Jahren die britischen Inseln, liebt die englische Gartenkultur, Fish and Chips, die raue Landschaft der Highlands – und natürlich schottischen Whisky. © privat

Der Klimawandel und immer wärmere Sommer treiben die Whiskybrenner aber auch wegen eines weiteren, geradezu ikonischen Details der Produktion um – dem Angels’ Share – dem Schluck für die Engel. Das ist der Anteil des Whiskys, der im Laufe der Jahre aus dem Fass verdunstet. Ein Whisky muss mindestens drei, üblicherweise zehn bis 14 Jahre reifen. Er wird besser und teurer, je länger er im Bourbon-, Sherry-, Portwein- oder Sauternes-Fass lagert. Eine 30 Jahre alte Abfüllung kann pro Flasche schnell ein paar Hundert oder Tausend Pfund kosten.

2022 verkaufte Ardbeg ein Fass von 1975 sogar für sage und schreibe 16 Millionen Pfund an einen Privatsammler. Wie viel verdunstet, ist also tatsächlich ökonomisch relevant. In Schottland liegt der Angels’ Share im Schnitt bei ein bis drei Prozent pro Jahr. Schwanken oder steigen die Temperaturen, könnten sich die Engel künftig einen Schluck genehmigen, der bis zu vier- bis fünfmal größer ausfällt. „Wir brauchen daher Innovationen und eine weitsichtige Strategie“, drängt der Operationsdirektor.

Im Lighthouse in Tain suchen Bill Lumsden und sein Team nach Antworten auf viele diese Fragen. Für den Master Blender bleibt neben der Suche nach neuen und optimierten Produktionswegen aber ein Aspekt besonders wichtig: „Mein Job ist zu garantieren, dass der Geschmack des Whiskys nicht ruiniert wird“, betont er. Das hofft auch seine Fangemeinde. Die will er in zwei oder drei Jahren mit einem ersten marktreifen Produkt aus dem Lighthouse-Labor beglücken. Mal schauen, wie der Whisky der Zukunft schmecken wird.

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