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"Schach ist Ersatz für Meditation"

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Günter Wallraff entspannt sich beim Schachspielen.
Günter Wallraff entspannt sich beim Schachspielen. © dpa

Der Enthüllungsjournalist ist Botschafter der Schach-Olympiade in Dresden, die am Dienstag zu Ende geht. Im Interview mit FR-online.de spricht Wallraff über die Faszination des königlichen Spiels.

Herr Wallraff, Sie sind Botschafter bei der Schach-Olympiade. Was fasziniert Sie an dem Spiel?

Ich war während der vergangenen Jahrzehnte ständig gefordert und gehetzt, in Kampagnen verwickelt und gleichzeitig auf der Anklagebank. Schach hat mir all die Jahre Ruhe und Ausdauer gegeben. Bei einer Partie lasse ich alles andere hinter mir und bin in einer anderen Welt. Mit dem Schach habe ich mir einen Ruhepol in meinem Leben geschaffen, ja geradezu eine Lebenshilfe. Da erlebe ich wahre Glücksmomente. Ich vergesse alles andere um mich herum wie auch beim Laufen, beim Tischtennis, während Wüstenwanderungen oder langen Kajakfahrten. Ich sehe das als Ersatz für Meditation, für die ich zu unruhig bin.

Unterscheiden sich die Glücksmomente im Schach von denen nach einer erfolgreichen Enthüllung?

Ich möchte das eigentlich nicht - aber wenn ich ehrlich bin: Nach Siegen im Schach fühle ich mich besser (lacht). Das fällt mir jetzt erst auf, nachdem Sie es angesprochen haben: Niederlagen gegen viel stärkere Spieler machen mir nichts aus. Manchmal bin ich aber auch mit einem Remis zufrieden. Wenn einen die Ungewissheit plagt, ist einem so ein Friedensschluss durchaus angenehm.

Haben Sie einen Hang zum Spielen?

Ich spiele für mein Leben gerne. In Ausnahmefällen auch um mein Leben, wenn es unbedingt sein muss. Es hängt immer mit dem Phänomen des Spiels zusammen - wäre das Spiel nicht, wäre ich vielleicht heute ein verhärmter, leicht paranoider Mensch. So ist das Gegenteil der Fall. Was mir auch gut gelingt, ist, sich in andere hineinzuversetzen. Die Empathie wird häufig nur Frauen zugesprochen, aber ich bin bereit, andere Gedankengänge eines Gegners zu verstehen und auch von ihm zu lernen. Man kann von jedem etwas lernen. Das zeigt sich genauso im Schach - nur die reine Aggression liegt mir dabei nicht. Ein Freund, ein evangelischer Pfarrer, versucht, mich zu provozieren, in dem er während der Partien menschliche Schwächen verbalisiert. Er versucht Psycho-Aggressionspotenzial hineinzutragen.

Frage: Nicht sehr christlich von einem Priester.

Wallraff (lacht schallend): Stimmt, er muss sich vermutlich abreagieren. In seiner seelsorgerischen Tätigkeit ist er genau das Gegenteil - und irgendwo muss es sich entladen. Da ich gut im Training bin, was derbe Späße anlangt, muss er allerdings ebenso einiges aushalten. Auf dem Brett möchte ich indes kein Kriegsspiel, auch wenn Schach ein solches ist. Mit Freunden vereinbare ich daher: Fehler, die unter unserem Niveau sind, nehmen wir wieder zurück, denn wir wollen ja lernen.

Von wem haben Sie das Schachspiel gelernt?

Mein Vater brachte es mir bei, als ich sieben, acht Jahre alt war. Und ich hatte das Glück, dass Schulfreunde mit mir spielten. Ich bin kein Vereinsspieler. Manche Eröffnung wusste ich, vergaß sie aber auch wieder. Ich spiele unorthodox. Das stürzt manchmal bessere Spieler in Verlegenheit, weil sie dahinter bei mir eine ganz hinterfotzige Absicht vermuten. Das ist dann eine Chance für mich.

Wie oft spielen Sie heute?

Sehr unregelmäßig, manchmal zwei- bis dreimal in der Woche, dann auch wochenlang wieder nicht. Ich spiele lieber gegen bessere Gegner - und gegen Menschen macht es mir mehr Spaß als gegen Computer. Ich habe mir 1989 ein Mephisto-Gerät geleistet ...

... das Gerät, das damals als besonders fortschrittlich galt und durch Leuchtdioden die Figurenzüge des Elektronenhirns anzeigte, heute aber nicht mehr auf dem neuesten Stand ist ...

... ich mag es antiquiert, mir ist es angenehmer, ein Stück Holz in der Hand zu haben als nur Figuren auf dem Bildschirm zu sehen. Mit dem Mephisto spiele ich regelmäßig. Eines Nachts, ich spiele sehr viel nachts, gelang mir der Durchbruch auf der schwierigsten Stufe. Ich besiegte das Gerät. Danach wähnte ich mich in einer neuen Dimension. "Jetzt hast du es endlich geschafft und bist auf Bezirksmeister-Niveau", dachte ich. Von wegen. Es war wohl reiner Zufall gewesen. Ich habe seitdem nie wieder ein Spiel auf der schwierigsten Stufe gewonnen.

Von Ihrer aktuellen Recherche werden Sie jetzt sicherlich nichts verraten - aber steht der nichts ahnende Gegner kurz vor dem Matt?

In der laufenden Rolle, die Mitte 2009 auch in einem Kinofilm dokumentiert wird, wurde ich wieder einmal erkannt und bekam einen Riesenschreck. Stünde es einmal in der Bild-Zeitung, wäre die Rolle am Ende gewesen. Zum Glück hatte der Mann meine Bücher gelesen und versprach mir Verschwiegenheit. Um es im Schach-Jargon zu sagen: Ich hatte Glück in der Stellung.

Interview: Hartmut Metz

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