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Stammbaumrecherche bei der Stuttgarter Polizei? - „Völkisches und rassistisches Denken“

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Von: Katja Thorwarth

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Polizisten bei einer Personenkontrolle auf dem Schlossplatz in Stuttgart.
Polizisten stehen bei einer Personenkontrolle auf dem Schlossplatz. Nach den vor kurzem stattgefundenen Krawallen in Stuttgart kontrolliert die Polizei verstärkt Bereiche in der Innenstadt. © Christoph Schmidt / dpa / picture alliance

Nach der Krawallnacht in Stuttgart setzt die Polizei Stammbaumforschung bei den Ermittlungen ein. Politiker Luigi Pantisano (Bündnis Stuttgart Ökologisch Sozial) kritisiert die Behörde im Interview scharf.

Herr Pantisano, Sie sind Mitglied des Stuttgarter Gemeinderates. Der Stuttgarter Polizeipräsident Frank Lutz hat die Stammbaumrecherche für Tatverdächtige der Krawallnacht in einem Bericht im Gemeinderat öffentlich gemacht. Wie war ihre Reaktion, als Sie davon erfahren haben?

Auch noch Tage danach bin ich entsetzt über die Ausführungen von Polizeipräsident Lutz. Ich bin aber auch froh darüber, dass nun bundesweit über diese unfassbare Stammbaumrecherche öffentlich diskutiert wird. Es ist für mich persönlich eine bittere Erkenntnis, dass meine deutsche Staatsangehörigkeit wohl weniger wert ist, da meiner Eltern als Arbeitsmigrant*innen in den 60er Jahren nach Deutschland gekommen sind. 

Die Polizei bestreitet, dass der Begriff „Stammbaum“ gefallen ist...

Die Diskussion dreht sich nicht um den Begriff „Stammbaum“. Die bundesweite Empörung gibt es, weil die Polizei selbst angibt, dass die Nationalität der Eltern von Tätern abgefragt werden soll, selbst wenn sie die Deutsche Staatsbürgerschaft haben und keine Migrationsgeschichte erkennbar ist. Präsident Lutz sprach sogar davon, dass man auf dem Video kaum jemanden „schwäbisch“ reden hört. Was anderes ist diese Praxis als eine Stammbaumforschung?

Wie ordnen Sie dieses Vorgehen ein? 

Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass nach den Diskussionen über Rassismus in der Polizei in den letzten Wochen ernsthaft ein solches Vorgehen in Betracht gezogen würde. Damit liefert die Polizei nun selbst den Beweis dafür, dass sie ein strukturelles Problem mit Rassismus hat. Bedenkenswert ist auch, dass sie das scheinbar auch jetzt nicht einmal erkennen. 

Das Vorgehen der Polizei wird dahingehend gerechtfertigt, dass die sogenannte Migrationsgeschichte wichtig sei, um die Milieus der Tatverdächtigen einzuordnen. Sehen auch Sie hier eine Kausalität?

Die Migrationsgeschichte oder das Milieu der Täter*innen hat überhaupt keine Relevanz für die Ermittlungen. Die Polizei betreibt keine soziologische Studie, in der diese Frage eine Relevanz haben könnte. Relevant ist diese Frage vor allem für rechtsradikale Parteien wie die AfD und Milieus der Neuen Rechten und mittlerweile leider auch für die CDU in Stuttgart, die in einem Antrag eine solche Stammbaumrecherche indirekt fordert. Damit beerdigt die CDU das liberale Erbe vom ehemaligen Stuttgarter OB Manfred Rommel.

Wird mit der Stammbaumrecherche das Deutschsein klassifiziert? Fast so, als gäbe es Deutsche 1. und 2. Klasse...

Nach deutschem Recht gibt es nur eine Staatsbürgerschaft. Deutscher ist, wer die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Diese Stammbaumrecherche offenbart viel mehr ein völkisches und rassistisches Denken in einer der wichtigsten staatlichen Behörden in unserem Land, die eigentlich alle Bürger*innen gleich behandeln sollte. Von einer solchen Recherche ist es nicht mehr weit zu einem gesonderten Abzeichen im Personalausweis. Das entsetzt mich, und ehrlich gesagt macht es mir Angst.

Luigi Pantisano vom Bündnis Stuttgart Ökologisch Sozial
Luigi Pantisano, Stadtrat im Stuttgarter Gemeinderat für das Bündnis Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS). Mitglied im Organisationsteam der Internationalen Wochen gegen Rassismus in Stuttgart. © Fionn Grosse

Es ist nicht das erste Mal, dass der Stuttgarter Polizei Rassismus vorgeworfen wird. Erinnert sei auch an das Audio eines Polizisten, das öffentlich wurde. Sind die Vorwürfe gerechtfertigt?

Die vielen Demos von Black Lives Matter* der letzten Wochen in Stuttgart haben viele Erfahrungen von Rassismus mit der Stuttgarter Polizei zutage gefördert. Ich habe selbst persönliche Erfahrungen mit Racial Profiling mit der Stuttgarter Polizei. Im Zuge der Krawalle in der Innenstadt haben viele junge Menschen berichtet, dass sie an manchen Tagen mehrmals kontrolliert werden, nur weil sie Schwarz oder PoC sind. Nach dem Bericht von Polizeipräsident Lutz wundert mich das nicht mehr.

Wie kommt das bei Ihnen, der sie selbst eine Migrationsgeschichte haben, an?

Es bestätigt leider meine schlimmsten Befürchtungen. Dennoch müssen wir auch in diesem Fall unterscheiden zwischen dem strukturellen Rassismus in staatlichen Behörden und einzelnen Polizist*innen. Sehr viele Polizist*innen machen eine gute Arbeit. Aber wir müssen endlich offen über die Probleme bei der Polizei reden und auch Reformen auf den Weg bringen.

Woran denken Sie dabei?

Das neue Berliner Antidiskriminierungsgesetz ist ein erster richtiger Schritt. Auch die Polizei ist dort nun in der Pflicht, Rassismusvorwürfen gegen den eigenen Beamten konkret nachzugehen. Es ist aber auch nötig zu untersuchen, inwieweit Racial Profiling in den Polizeibehörden betrieben wird. Innenminister Seehofer sollte einer solchen Untersuchung nicht mehr im Weg stehen. Zudem muss in Hessen nach Morddrohungen gegen Politiker*innen und Anwält*innen untersucht werden, ob in der Polizei ein rechtsterroristisches Netzwerk NSU 2.0 existiert. (Interview: Katja Thorwarth) *fr.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks.

Gastkommentar: Inneminister Seehofer erteilt Absage an Racial-Profiling-Studie und verschließt die Augen.

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