„Ohne Jonathan würde ich heute nicht hier sein“

Mit seiner Stammzellenspende rettet ein junger Deutscher aus Bad Hersfeld einem kanadischen Minister das Leben.
Für Dominic LeBlanc, Minister im Kabinett des kanadischen Regierungschefs Justin Trudeau, ist es „eine wundervolle Geschichte über Freundschaft, Zusammenarbeit und Menschlichkeit“. Vor drei Jahren musste der heute 54-Jährige sein Regierungsamt vorübergehend ruhen lassen. Blutkrebs bedrohte sein Leben. Dass er heute das Leben genießen kann, hat er einem jungen Deutschen zu verdanken. Dessen Stammzellspende ermöglichte ihm das Überleben.
„Es geht mir sehr gut. Das verdanke ich meinem deutschen Freund, meinem genetischen Zwilling“, sagt LeBlanc, als Minister unter anderem zuständig für zwischenstaatliche Angelegenheiten und Infrastruktur. Auf der Sommerparty im Garten der Residenz des Premierministers steht er zwischen Medienschaffenden und Kabinettskolleginnen und -kollegen mit einem Glas Wein in der Hand. „Ohne Jonathan würde ich heute nicht hier sein“, sagt er.
Die Geschichte von Jonathan Kehl, dem heute 22-Jährigen Lehramtsstudenten aus dem hessischen Bad Hersfeld, und Dominic LeBlanc, einem der engsten Freunde von Premierminister Justin Trudeau, bewegt viele Menschen in Kanada. Trudeau twitterte dieser Tage, LeBlanc sei ein „zweites Leben“ geschenkt worden, „dank der Großherzigkeit dieses jungen Mannes“. Er nutzte dies zu einem Appell an die Menschen in Kanada, sich in der dortigen Stammzellendatei zu registrieren.
Mit der Registrierung bei der Deutschen Knochenmarkspende-Datei (DKMS) hatte Jonathan Kehl 2018 den entscheidenden Schritt getan. Die DKMS war in seine Schule in Bad Hersfeld gekommen und hatte über ihre Arbeit, mit der das Leben von Menschen mit Blutkrebs gerettet werden kann, informiert. Fast alle Klassenkameradinnen und -kameraden waren bereit, sich zu registrieren, erzählt Jonathan Kehl der FR. „Es war wie heute beim Covid-Test, einfach ein ,swab‘, eine Speichelprobe.“
Ein Jahr lang hörte er nichts von der DKMS, bis er ein Schreiben erhielt, er sei in die nähere Auswahl für einen Patienten gekommen. Er wurde gebeten, sich zu einer Blutentnahme in eine Arztpraxis zu begeben. Was er nicht wusste: Dieser Patient ist ein bekannter Politiker aus Kanadas Hauptstadt Ottawa.
Dominic LeBlanc ist Kabinettsmitglied seit 2015. Im April 2019 wurde bei ihm das Non-Hodgkin-Lymphom diagnostiziert, eine aggressive Form des Blutkrebses. Es gab ein kleines Zeitfenster für Hilfe, dafür brauchte es einen geeigneten Stammzellspender.
„Die deutsche Datenbank und die Qualität der Daten ist weltweit eine der besten“, sagt LeBlanc der FR. Seine Klinik in Montreal nahm Kontakt mit Deutschland auf. „In Deutschland gibt es 26 dieser Datenbanken, in denen sich interessierte Menschen als potenzielle Stammzellspender und -spenderinnen registrieren können“, sagt eine Sprecherin der DKMS. In deutschen Datenbanken sind mehr als 9,7 Millionen Menschen als potenzielle Spender:innen registriert – davon sieben Millionen bei der DKMS. Sie stehen für die weltweite Suche nach Spender:innen zur Verfügung.
Die Suche der Kanadier war erfolgreich. „Sie fanden die perfekte genetische Übereinstimmung, zehn von zehn Kriterien stimmten überein“, sagt LeBlanc. Bald war klar, dass Jonathan Kehl Le-Blanc das Leben retten kann. Nach kurzer Überlegung entschied er, dass er helfen wolle. Er unterzog sich einer mehrtägigen Behandlung, bei der ihm eine Substanz injiziert wurde, die die Stammzellproduktion im Knochenmark anregte. Dann fuhr ihn sein Vater im September 2019 in eine Klinik nach Frankfurt. Fünf Stunden hing er an einer Maschine, die sein Blut filterte und Stammzellen extrahierte. „Zwischen einem halben und einem Liter Blut wurde mir entnommen, mit hoher Konzentration an Stammzellen.“ Es seien 500 Millionen Stammzellen gewesen, sagt LeBlanc. 370 Millionen waren mindestens notwendig. Am 18. September 2019 wurde in Montreal die Bluttransfusion vorgenommen.
Dafür musste LeBlanc sich in den Wochen zuvor einer starken Chemotherapie unterziehen. „Sie zerstörte mein Immunsystem völlig, aber sie war notwendig.“ Die Transfusion dauerte lediglich zwei Stunden, aber Le-Blanc war zwei Monate, teils in strenger Isolation, im Krankenhaus, mitten im Wahlkampf. Er wurde trotzdem wieder in seinem Wahlkreis in New Brunswick gewählt.
Stammzellspender und -empfängerinnen bleiben zwei Jahre anonym. „Ich wusste nur, dass es ein männlicher Kanadier ist“, sagt Jonathan, „eigentlich war das Kapitel für mich abgeschlossen.“ Dann kam im Herbst 2021 ein Schreiben aus Kanada, auf Deutsch: „Sie haben mir das Leben gerettet und ich werde ihnen für ihre Großzügigkeit auf ewig dankbar sein“, schrieb Le-Blanc. „Ich wusste ja nicht, ob Jonathan Englisch spricht, also ließ ich meinen Dank ins Deutsche übersetzen.“ Das Krankenhaus hatte ihm den Namen mitgeteilt. „Ich war verblüfft, als ich sein Alter sah. Als er die Stammzellen spendete, war er gerade mal 20 Jahre alt.“
Im November 2021 lernten sich die beiden dann über Zoom kennen, und stehen seitdem in Kontakt. Rund ein Dutzend Mal haben sie seitdem gechattet und bezeichnen sich nun als „quasi genetische Zwillinge“. LeBlanc ist völlig geheilt. Der Krebs werde nicht unterdrückt, sondern sei durch die Transplantation völlig verschwunden, sagt er.
„Ich werde immer eine ganz besondere Beziehung zu Deutschland haben“, erklärt LeBlanc. Im Herbst, so hoffen beide, werden sie sich in Deutschland oder Kanada treffen. Die Einladung an Jonathan, nach Kanada zu kommen, steht. Und sie hoffen, dass ihre Geschichte viele Menschen inspiriert, sich für eine Stammzellspende zur Verfügung zu stellen.
