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Ohne Füße mit dem Rad durchs ganze Land

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Von: Thomas Stillbauer

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„Die Deutschlanddurchquerung“ ist Maximilian Schwarzhubers neuestes Projekt.
„Die Deutschlanddurchquerung“ ist Maximilian Schwarzhubers neuestes Projekt. © Maximilian Schwarzhuber

Maximilian Schwarzhuber wurden vor fünf Jahren beide Unterschenkel amputiert. Danach startete er eine einzigartige Karriere als Sportler und Motivationstrainer. Jetzt will er in 48 Stunden eine beachtliche Strecke schaffen.

Gut fünf Jahre ist der Moment inzwischen her, über den Maximilian Schwarzhuber heute sagt: „Ich wusste, jetzt kann ich Gas geben.“ Es war der Moment, als er im Krankenhaus aufwachte, 14. Februar 2017, und zwei Füße weniger hatte. Seither ist der 29-Jährige zum Sport-Ass geworden. Und das zeigt er der Welt auch.

Am 6. Mai um 12 Uhr wird der Schwarzhuber Maxi aus Wolnzach im bayerischen Landkreis Pfaffenhofen/Ilm sich aufs Fahrrad setzen. „Die Deutschlanddurchquerung“ heißt das Projekt. Von Flensburg nach Oberstdorf führt ihn dann die Route. Er will sich ein wenig beeilen. Für die gesamte Strecke hat er 48 Stunden veranschlagt. Dass das ein wenig, sagen wir mal: ungewöhnlich klingt, ist ihm durchaus bewusst. „Der Kerl ohne Füße plant wieder eine gigantische Challenge“, sagt er.

Das ganze Leben eine Herausforderung

Im Prinzip ist sein ganzes Leben bisher eine gigantische Challenge, eine riesige Herausforderung. Als Zweijähriger wacht er nach dem Mittagsschlaf auf und spürt seine Beine nicht mehr. Das bleibt auch so. Eine mysteriöse Erkrankung hat ihn befallen, womöglich das Guillain-Barré-Syndrom, eine akute Nervenentzündung. Genau wird es nie herauszufinden sein. Anfangs sieht es so aus, als wolle sich das Leiden auf seinen ganzen Körper ausbreiten. Doch Ärztinnen und Ärzte schaffen es, dass „nur“ die Unterschenkel betroffen bleiben.

Für einen Jungen, für einen Heranwachsenden ist es eine Qual. Maxi Schwarzhuber versucht, so normal wie möglich zu leben, doch er bekommt die größten Probleme, weil er nicht merkt, wenn er sich stößt, weil er nicht merkt, wenn er in einen Nagel tritt – er spürt es nicht einmal, wenn er einen hohen Berg hinabläuft und sich dabei beide Sprunggelenke ruiniert.

„Um die Füß‘ ist es nicht schad“

Als es unerträglich wird, als ihm die Ärzte im Krankenhaus sagen: Fast hätten wir ihre Beine amputieren müssen – da stellt er erstaunt fest: „Das hätte mir gar nichts ausgemacht.“ Es folgt eine Zeit, in der der junge Bayer immer sicherer in seiner Entscheidung wird, die quälende Belastung unterhalb seiner Knie loszuwerden. Viele Gespräche braucht er dafür, mit amputierten Sportlern etwa, und mit der Familie vor allem, die fest zu ihm hält. Dann die Oma, die mit Blick auf seine geschundenen Füße sagt: „Weißt, um die ist es nicht mehr schad.“

136 Tage nachdem ihm beide Unterschenkel amputiert wurden, macht Maximilian Schwarzhuber beim Wohltätigkeitsrennen „Lauf10!“ in seiner Heimatgemeinde mit. Er schafft die zehn Kilometer – mit zwei Prothesen unter den Knien.

Seither reihen sich viele weitere Herausforderungen aneinander. Triathlon in Ingolstadt. Marathon in München. Und eine Karriere als Motivationsredner. Die ist zuletzt ein wenig ins Straucheln geraten, Corona war schuld. „Totales Chaos“, sagt er, „ich musste gleich 20 oder 25 Vorträge absagen.“ Aber aufgeben kam nicht infrage. „Es lohnt sich nicht, in die Opferrolle zu rutschen“, ist so ein typisches Schwarzhuber-Credo: „Wenn man anderen die Schuld gibt, dann gibt man ihnen auch die Macht.“ Inzwischen läuft es wieder mit den Präsenz-Vorträgen. Besser so. „Online vor Leuten zu reden ist kein Vergleich“, sagt er. „Das ist wie ein Marathon auf dem Laufband.“

Am Vortag hat er 68 Kilometer draußen auf dem Rennrad abgespult, Grundlagenausdauer. „Oberschenkelmuskulatur, Nacken, Rücken, ich habe den neuen Aufleger am Lenker getestet, das lief sehr gut.“ Er arbeitet am Luftwiderstand. Das könnte entscheidend sein auf den 1001 Kilometern zwischen Flensburg und Oberstdorf, fast 6000 Höhenmeter, angestrebte Durchschnittsgeschwindigkeit: 20,85 Kilometer pro Stunde. Energieverbrauch: 26 000 Kalorien. Pausen gibt es auch. Zwölf Stück zu je 15 Minuten. „Bei 48 Stunden Belastung kommt der Schlafentzug dazu, sagt er. Anders als bei der Alpenüberquerung im vorigen Sommer. München-Venedig. Da sind sie nur 24 Stunden gefahren, der Maxi und sein Kumpel, der Extremsportler und vielfache Champion Achim Heukemes. Der hat zwei Beine.

„Ihr müsst mich rausprügeln, scheißegal“

Auf der Strecke wird Schwarzhuber immer wieder mal einen Powernap einlegen, einen kurzen Schlaf. „Mein Team weiß, dass es mich pushen muss“, sagt er. „Wenn ich dann nicht aufwachen will, das dürft ihr mir nicht durchgehen lassen!“, hat er den Helferinnen und Helfern eingebläut. „Ihr müsst mich wecken, rausprügeln, scheißegal.“

„Bei solchen Sachen passieren Momente, von denen zehrt man ein Leben lang“, sagt der Athlet. Gute und durchaus auch schwierige Momente meint er damit. „Die Herausforderung ist körperlich und mental. Das Ganze wird im Kopf entschieden.“ Und nicht nur in den Unterschenkeln, wie er seit fünf Jahren beweist.

Mit falschem Ehrgeiz, sagt Maxi Schwarzhuber, habe er sich schon viel kaputtgemacht. Unter anderem seine Füße. „Aber das hat letztlich zu der Amputation geführt – und dazu, dass es mir heute viel, viel besser geht als davor.“

Am 6. Mai gilt‘s: 1001 Kilometer

Wenn’s losgeht am 6. Mai, werden reichlich Trainingskilometer, aber auch genug Scherze gemacht worden sein. „Der Rentner und der Krüppel“ hätten sie sich genannt, sagt Schwarzhuber und lacht. Deutschlandtourpartner Heukemes ist 70 Jahre alt. Der Jüngere will die meiste Zeit vorne fahren und sich allenfalls bei extremem Gegenwind mit dem Freund abwechseln. Man muss das verstehen. Der Mann hinter ihm ist ja auch nur zehnmaliger Ironman, Ultramarathonläufer und Duathlon-Powerman, eine Kombination aus Laufen, Radfahren und noch einmal Laufen. „Es funktioniert am besten mit viel schwarzem Humor“, haben die beiden Sportler festgestellt. Und eins steht fest, sagt Schwarzhuber: „Ich will hinterher sagen können: Ich hab alles gegeben und bis aufs Letzte gekämpft.“ Wie hat er es mal in seinem Podcast „Beinfreiheit“ ausgedrückt: „Echte Männer haben keine kalten Füße.“

Von München nach Venedig ist er in 24 Stunden geradelt.
Von München nach Venedig ist er in 24 Stunden geradelt. © Maximilian Schwarzhuber

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