Nur noch 20 Minuten bis zum Glück

Weil die Christmette immer der Anfang von etwas Zauberhaftem war: Letzte Folge unserer FR-Adventsgeschichten.
Wenn die Langeweile einen übermannte, war es fast geschafft. Den ganzen Vormittag hatten wir schon gedrängelt: Wann gehen wir in die Kirche? Wann fängt die Kirche an? Früher als letztes Jahr!? Warum dauerte das alles immer so lange!? Mittagessen – wer hat an so einem Tag Hunger!? Spazieren gehen – muss das sein?! Und diese endlosen Märchenfilme: „Wir warten aufs Christkind“. Die andern vielleicht. Ich nicht. Ich wollte in die Kirche – zur Christmette.
Endlich war es dunkel. Die Glocken begannen zu läuten. Wir saßen schon eine halbe Stunde vorher drin. Papa musste ja immer den Pfarrer sehen. Im Zwielicht spielte jemand diese lahme Musik von Bach, Telemann oder wie die alle hießen. Das stand auf den Faltblättern, die auf den Bänken lagen und das Liedgut für später enthielten.
Ich fing an, die Kerzen auf dem Weihnachtsbaum zu zählen. Wie riesig der war! Ich stellte mir vor, wie ich Ast für Ast in den Himmel hinaufkletterte, um nachzusehen, ob das Christkind schon mit den Geschenken losgefahren war. Hoffentlich hatte es die Carrera-Bahn nicht vergessen! Bald gab es keine Sitzplätze mehr, die Leute mussten stehen. Mama roch so gut nach Parfüm. Ich hatte wieder diese kratzige Hose anziehen müssen. Bitte, bitte, liebes Christkind, denk an die Steilkurve!
weihnachtsrituale
Wir alle haben bestimmte Geschichten, Filme oder auch Rituale, die zu Weihnachten gehören – und ohne die unsere Adventszeit nur halb so festlich wäre. Mit dem heutigen Text endet unser diesjähriger FR-Adventskalender. Wir möchten uns an dieser Stelle bei Ihnen, den Leserinnen und Lesern, bedanken für die liebevollen und rührenden Zusendungen, die uns mal wieder gezeigt haben: Es sind die persönlichen Geschichten, die Freude machen und zu Herzen gehen. Und zwar nicht nur denen, die sie lesen, sondern auch jenen, die sie geschrieben haben. Frohe Weihnachten! FR
Plötzlich sprangen die Neon-Röhren an. Es wurde hell. Die Orgel brauste auf. Da zogen sie ein in diesen komischen Gewändern: vorne die Messdiener, dahinter der Pfarrer – ernst, gebeugt, die Hände gefaltet. Jetzt konnte ich auch sehen, wie voll die Kirche war: So viele Leute! Alle trugen ihre guten Sachen. Ob ihre Hosen auch so kratzten? Was hatten sie sich gewünscht?
Obwohl ich sie schon ein paar Mal gehört hatte, gefiel mir in der Christmette die Weihnachtsgeschichte immer am besten. Einfach, weil sie eine Geschichte war, keine Fürbitte, kein Gebet, keine dieser dahingeleierten Formeln. Sie beschäftigte die Fantasie: Warum ließ Augustus das Volk zählen? Roch der Weihrauch der heiligen drei Könige noch besser als Mamas Parfüm? Hat das Kind in der Krippe so gefroren wie wir jetzt in der ungeheizten Kirche?
Danke, Jesus, wegen dir gibt es Weihnachten, und ich bekomme eine Carrera-Bahn! Danke, dass du das kratzige Stroh für mich ertragen hast! Doch dann kam die Predigt. Manchmal dauerte sie 20 Minuten. Angeblich sollte diese Geschichte von Jesu Geburt mit uns zu tun haben. Ich hielt das für abwegig. Bethlehem war weit weg, die Geschichte lange her. Im Stall von meinem Onkel standen die Kühe angekettet. Die Schweine quiekten fürchterlich. Es stank.
Was der Pfarrer predigte, klang irgendwie falsch. Was er in die Geschichte hindeutete, passte nicht. Die Geschichte stimmte auch ohne ihn. Sie sagte: Alles verdanken die Menschen Jesus. Er ist für die Menschen geboren. Er hilft allen. Dass so jemand geboren wurde, ist ein Wunder. Und deshalb beschenken wir uns: um uns darüber zu freuen. An Weihnachten gibt es nichts Böses, nur Gutes. An Heiligabend steht die Zeit still: Alles ist Glück.
Die Predigt war das Gegenteil: ein Martyrium der Langeweile. Halt aus, dachte ich, wenn die Predigt fertig ist, ist es fast geschafft! Dann dauert es noch 20 Minuten. Dann gehen wir heim, und ein Wunder geschieht. Das Glöckchen wird bimmeln, ich werde auspacken, wovon ich lange geträumt habe. Das ist der schönste Augenblick, den ich mir vorstellen kann! Nur noch 20 Minuten bis zum Glück. Dachte ich.