Neunundsechzig Seifenblasen

Die traurige Bilanz der Weltgesundheitstage. Die Kolumne „Dr. Hontschik“.
Vor ziemlich genau einer Woche, am 7. April 2022, fand der 69. Weltgesundheitstag statt. Das blieb weitgehend unbemerkt. Aber diesen besonderen Tag hat sich die Weltgesundheitsorganisation WHO im Jahr 1954 ausgedacht, um damit alljährlich an ihre Gründung im Jahr 1948 zu erinnern.
Die WHO gibt für diesen Tag jedes Jahr ein anderes globales Motto vor, das von den Mitgliedsnationen an die spezifische gesundheitspolitische Situation ihrer Länder adaptiert werden kann, in Deutschland zum Beispiel so: Im ersten Jahr, vor 68 Jahren, lautete das Motto „Die Krankenschwester, Wegbereiterin der Gesundheit“. Ein bisschen wehmütig wird man, wenn man das liest. Von der Krise des Pflegeberufes, von 60 000 gestrichenen Pflegestellen im Krankenhausbereich hat man noch nichts geahnt. Auch konnte damals noch niemand wissen, dass heute global agierende Großkonzerne, Fonds und Privatinvestoren etwa zwei Drittel des privaten Pflegebereichs in der Hand haben, dazu etwa 40 Prozent der Pflegeheime in unserem Land. Auch wäre ein Begriff wie Pflexit, der die massive Fluchtbewegung aus den Pflegeberufen beschreibt, sicher mit Kopfschütteln quittiert worden.
Einige Jahre später, im Jahr 1964 lautete das Motto „Unbesiegte Tuberkulose“. Fast sechzig Jahre ist das her, und doch könnte es auch in diesem Jahr wieder das aktuelle Motto gewesen sein. Ein Drittel der Weltbevölkerung ist mit dem Mycobacterium tuberculosis infiziert, was zum Glück nur bei einem Teil der Infizierten zu einem Ausbruch der Krankheit führt. Es erkranken jedes Jahr etwa 10 Millionen Menschen an Tuberkulose. Sie gehört mit 1,8 Millionen Todesfällen (2015) zu den zehn häufigsten Todesursachen weltweit. Extrem beunruhigend ist aber zurzeit eine dramatische Zunahme von Infektionen mit multiresistenten Tuberkuloseerregern, wodurch diese Krankheit zunehmend unbehandelbar wird.

1981 lautete das Motto „Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000“. Man war sehr optimistisch vor vierzig Jahren! Aber waren wir schon einmal weiter entfernt von einer „Gesundheit für alle“, für alle Erdenbürger? Die aktuelle Pandemiepolitik, zwanzig Jahre nach dem angesteuerten Jahr 2000, spricht dem Hohn. In armen Ländern haben bis jetzt 14 Prozent der Bevölkerung eine Impfdosis gegen Covid-19 erhalten. Die Zahl der Erstimpfungen ist dort niedriger als die Zahl der Booster-Impfungen in reichen Ländern. Obwohl man weiß, dass man diese Pandemie nicht national in den Griff bekommen kann, obwohl man weiß, dass in Ländern ohne Impfungen eine Mutante nach der anderen entstehen wird, obwohl man weiß, dass man damit Millionen weiterer Toten billigend in Kauf nimmt, werden die riesigen Profite der Pharmaindustrie weiter geschützt. Bei dieser Verweigerungshaltung hat sich Deutschland besonders hervorgetan. Eine – auch zeitlich befristete – Freigabe der Impf-Patente wird mit allen Mitteln verhindert, obwohl weit mehr als hundert Länder einen solchen Antrag an die Welthandelsorganisation WTO gestellt haben.
2018 lautete das Motto „Flächendeckende Gesundheitsversorgung“. Ein frommer Wunsch! Das Gegenteil ist der Fall. In immer mehr Landstrichen Deutschlands gibt es keine ärztliche Versorgung mehr. Ein Krankenhaus nach dem anderen wird geschlossen oder an Konzerne verkauft. Der Gesundheitsminister von Baden-Württemberg, Manfred Lucha (Grüne), erhielt vor wenigen Tagen den Schmähpreis „Goldene Abrißbirne“, da in keinem Bundesland 2021 mehr Krankenhäuser geschlossen worden waren, um stattdessen wenige Zentralkliniken aus dem Boden zu stampfen.
Dass im Jahr 2022 das Motto der WHO „Klima und Gesundheit“ lautete, sei abschließend nur kurz erwähnt. Die Klimakatastrophe ist völlig unter die Räder der Pandemie und des Krieges in der Ukraine gekommen. „Klima und Gesundheit“, das ist keine Sondersendung mehr wert. Was aber nichts daran ändert, dass es nach wie vor die größte Bedrohung der Menschheit ist, die es je gegeben hat.