Das Rätsel um Malaysia-Airlines-Flug „MH370“

Seit neun Jahren gilt das Flugzeug der Malaysia-Airlines mit 239 Menschen an Bord als verschollen. Weiterhin ist unklar, was mit MH370 passiert ist – und wo.
Kuala Lumpur – Neun Jahre nach dem Verschwinden von Flug MH370 lässt sich nur eines sicher sagen: das Flugzeug ist abgestürzt, mehrere Stunden nach dem Start in Kuala Lumpur. Ebenfalls unumstritten ist, dass die Frage, wie und warum die Maschine verschwinden konnte, zu den größten Rätseln der modernen Luftfahrtgeschichte gehört.
MH370: Als das Flugzeug verschwand
Fest steht, die Boeing 777-200 mit 227 Fluggästen und zwölf Crew-Mitgliedern hebt am 8. März 2014 um 0:42 Uhr in Kuala Lumpur ab. 20 Minuten später erreicht das Flugzeug seine Reiseflughöhe, weitere 20 Minuten darauf erfolgt der letzte Funkspruch – bis dahin alles ganz normal. Sekunden später wird unter anderem der Transponder abgeschaltet, MH370 verschwindet vom Radar. Mit mehreren Kursänderungen fliegt das Flugzeug über Malaysia und nördlich von Indonesien gen Westen, bevor es wohl noch stundenlang in (vermutlich) südlicher Richtung über den Indischen Ozean fliegt, wie teils noch erfasste Radar- und Satellitendaten später interpretiert werden. Die meisten Fachleute vermuten eine Absturzstelle weit westlich von Australien.
In den Minuten, in denen das Flugzeug verschwand, wechselte es vom Luftraum Malaysias in den Vietnams. Es dauerte offenbar ungewöhnlich lange, bis das Verschwinden bemerkt und Alarm ausgelöst wurde, unter anderem weil die Fluglotsen nachlässig handelten, wie dem Abschlussbericht eines internationalen Expertenteams („Malaysian ICAO Annex 13 Safety Investigation Team“) zu entnehmen ist.
Unauffälliger Bericht zu MH370: Gab es eine Manipulation der Systeme?
Betrachtet man jenen Abschlussbericht von 2018 genauer, fällt vor allem eins auf: das darin überhaupt nichts Auffälliges steht. Das Hauptproblem der Fachleute bei der Untersuchung des Unglücks bestand zwangsläufig darin, dass sie kein Flugzeug hatten, das sie untersuchen konnten. So kann bis heute eine Fehlfunktion des Flugzeugs nicht ausgeschlossen werden. Wahrscheinlich sei aber, heißt es in dem Bericht, dass der Verlust der Kommunikation zustande kam, weil „die Systeme manuell ausgeschaltet oder deren Stromversorgung unterbrochen wurde“ – also eine Manipulation der Systeme. Ferner gehe aus den Daten hervor, dass das Flugzeug sieben Stunden in der Luft war.
Der Bericht nahm somit naheliegenderweise das Bordpersonal und die Fluggäste in den Blick. Ergebnis: Keine ernstzunehmenden Auffälligkeiten. Von Dutzenden später an Afrikas Küsten angespülten Trümmerteilen wurden drei sicher MH370 zugeordnet, sieben stammen „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ von dem Flugzeug, weitere 20 seien „wichtig“ für die Untersuchung. Die Teile deuten darauf hin, dass die Boeing auseinandergebrochen sei.
Der Bericht schließt mit Bemerkungen, dass das Verschwinden von MH370 und die Suche nach dem Flugzeug „beispiellos“ in der Geschichte der Luftfahrt seien. Es müssten Verbesserungen vorgenommen werden, um sicherzustellen, dass solche Ereignisse künftig schnell identifiziert werden und dass es Mechanismen gibt, „um ein Flugzeug zu verfolgen, das aus irgendeinem Grund nicht seinem eingereichten Flugplan folgt.“ Der Standort von Verkehrsflugzeugen müsse immer bekannt sein, alles andere sei inakzeptabel.
Lücken der MH370-Überwachung: „Da geht es um Geheimhaltung“
Doch wie kann es überhaupt so weit kommen, dass ein Flugzeug seine Route verlässt und von einer Sekunde auf die andere verschwindet? Grundsätzlich wird der Weg eines Flugzeugs von drei Systemen erfasst – vom Boden aus, vom Flugzeug selbst und aus dem All. Vom Boden via Radar – Primärradar genannt. „Da wird etwas rausgeschickt und das wird vom Flugzeug reflektiert und das ist physikalisch messbar“, erklärt Robert Ertler, Leiter externe Kommunikation und Presse bei der Deutschen Flugsicherung (DFS), auf Anfrage. Um ein Signal zu liefern braucht ein Objekt etwa vier Quadratmeter Fläche.
Damit werde der Luftraum in Deutschland bis etwa elf Kilometer Höhe lückenlos überwacht. Was das Radar nicht messen kann, ist die Flughöhe – hier kommt das sogenannte Sekundärradar ins Spiel, der Transponder des Flugzeugs. „Da senden wir eine Anfrage und es kommt eine Antwort vom Flugzeug“, sagt Ertler. Die Daten umfassen unter anderem Flughöhe und Geschwindigkeit. „Dann gibt es noch die Möglichkeit, über Satelliten die Position zu bestimmen“, sofern man genügend davon zur Verfügung hat.
Nun wurde bei MH370 der Transponder im Flugzeug deaktiviert. Das geht vom Cockpit aus. „Militärflugzeuge machen sowas zum Beispiel“, erklärt Ertler. „Da geht es um Geheimhaltung.“ Bei MH370 ist das schwer zu erklären: „Eine Passagiermaschine wird das im Regelfall niemals aktiv ausschalten.“ Die Radarüberwachung hat über dem Indischen Ozean zwangsläufig Lücken – ebenso die Satellitenüberwachung. Somit konnten alle drei Systeme keine Daten liefern.
Mysterium MH370: Wo könnte der Flieger sein?
Die Ereignisse um MH370 legen somit nahe, den Fehler nicht vordergründig in der Technik zu suchen, sondern beim Menschen. Auch in Fachkreisen geht die Interpretation der vorhandenen Daten teils weit auseinander – teilweise auch in Richtung von Verschwörungstheorien. Manche Fachleute bezweifeln sogar, dass das Flugzeug überhaupt nach Süden geflogen ist. Aufsehen erregte auch das Buch „Verschwunden“ der französischen Journalistin Florence de Changy, die einen völlig anderen Absturzort und ein Komplott vermutet.
Jahrelange Suchaktionen mehrerer Staaten sowie des US-Unternehmens „Ocean Infinity“ brachten keine Ergebnisse. Im vergangenen Jahr kündigte „Ocean Infinity“ an, die Suche wieder aufnehmen zu wollen.
Das Suchgebiet soll sich laut Medienberichten demnach dann auf einen Bereich im Indischen Ozean konzentrieren, den der Luftfahrtingenieur Richard Godfrey als wahrscheinliche Absturzstelle auserkoren hat. Godfrey schaffte es in den vergangenen Jahren mehrfach in die Schlagzeilen – der Pensionär hatte in seiner Freizeit eine Art Luftfahrt-Tracking-System entwickelt, das vereinfacht gesagt versucht, Flugzeuge zu orten, indem es in einer Datenbank gespeicherte sogenannte Whisper-Signale eines Amateurfunknetzes analysiert. Flugzeuge stören die Ausbreitung dieser Funkwellen.
Für einige Fachleute gelten Godfreys Erkenntnisse aus dem vergangenen Jahr als Hoffnungsschimmer, das Flugzeug zu finden, zumal er eine mögliche Absturzstelle auf einen sehr kleinen Bereich eingegrenzt hat. Wie Godfrey etwa in dem Podcast „Flugforensik – Was geschah mit MH370?“ (flugforensik.de) der Luftfahrtexperten Benjamin Denes und Andreas Spaeth erläuterte, glaubt er, mit seiner Methode die Route, die MH370 genommen hatte, entdeckt zu haben. Eine „interessante Beobachtung“ will er dabei auch gemacht haben: demnach flog die Maschine eine gut 20-minütige Warteschleife vor Sumatra, bevor sie nach Süden abdrehte. „Bisher hatten Analysten angenommen, MH370 flog geradeaus in südliche Richtung. Warum also eine Warteschleife fliegen? Man macht das zum Beispiel um Bodenkommunikation abzuwarten. Vielleicht gab es eine Verhandlung mit der Regierung Malaysias. Man macht das, wenn einen ein anderes Flugzeug verfolgt oder wenn man Zeit gewinnen möchte, den nächsten Schritt zu überlegen“, so Godfrey. „Aber wenn man ein Flugzeug verschwinden lässt, wird man keine Zeit und keinen Sprit in eine Warteschleife verschwenden“, erklärte Godfrey in dem Podcast.

Neun Jahre nach Verschwinden der MH370: Aus dem Unglück lernen
Als gängigste Theorie zur Ursache des Verschwindens von MH370 gilt auch unter Fachleuten ein Selbstmord des Piloten. Oft wird als Indiz dafür angeführt, dass dieser zuvor auf seinem heimischen Flugsimulator einen Kurs geübt habe, der ähnlich dem mutmaßlich letzten Kurs von MH370 sein soll. Darüber berichtete das „New York Magazine“ schon vor Jahren anhand vertraulicher FBI-Dokumente. Doch, wie Berichten zufolge weitere Ermittlungen und auch der Abschlussbericht nahelegen, gibt es im privatem Umfeld des Piloten keine Indizien oder Motive für einen Selbstmord. Und warum sollte er diesen sieben Stunden in die Länge ziehen, anstatt das Flugzeug unmittelbar zum Absturz zu bringen? Und sollten Godfreys Erkenntnisse stimmen, ergibt auch die geflogene Schleife vor Sumatra bei einem geplanten Suizid kaum Sinn. So ist auch diese Theorie mit vielen Fragezeichen zu versehen. Wie alle anderen auch.
Doch kann sich das „Verschwinden“ eines Flugzeug wie im Fall von MH370 wiederholen? Richard Godfrey erläuterte vor gut einem Jahr im Interview der „Neuen Züricher Zeitung“, die Weltluftfahrtorganisation ICAO habe verfügt, „dass alle Flugzeuge mit einem ständigen Tracking-System ausgestattet sein müssen, das unabhängig von allen anderen Systemen an Bord funktioniert.“ Bis alle Flugzeuge damit ausgestattet sind, werde es aber noch dauern.
Die ICAO strebt seit dem MH370-Unglück eine bessere Positionsbestimmung von Flugzeugen durch minütliche Ortungssignale an. Einige Airlines setzen laut Berichten auch auf das Streamen von Blackbox-Daten. Man versucht offensichtlich aus dem Unglück zu lernen. Auch die Satellitennavigation sei seither „besser und intensiver geworden“, sagt Robert Ertler. Dass ein Flugzeug in Deutschland verschwindet, schließt er aus. Über großen Ozeanen, wo Radar und Sekundärradar an ihre Grenzen kommen, nicht gänzlich: „Wenn die Konstellation der Satelliten nicht so ist, dass man die Position einwandfrei bestimmen kann, dann könnte so etwas wieder passieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir so etwas nochmal erleben, würde ich aber als vernachlässigbar bezeichnen.“