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Mallorca: Die Insel stemmt sich gegen ihr Ballermann-Image

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Von: Nicole Schmidt

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Traditionelle Fincas bieten den etwas anderen Mallorca-Flair. Einen, den sich die Insel dringend erhalten möchte.
Traditionelle Fincas bieten den etwas anderen Mallorca-Flair. Einen, den sich die Insel dringend erhalten möchte. © Nicole Schmidt

Die linke Regierung und lokale Initiativen wollen die Natur schützen und ihre Heimat bewahren.

Ginge es nach Toni Riera, würde er die ganze, sechs Kilometer lange Promenade an der Playa de Palma abreißen und stattdessen neue Dünen wachsen lassen. Der schlanke Mann im blauen Designer-Anzug ist keineswegs radikaler Umweltschützer, sondern Wirtschaftswissenschaftler an der Universität in Palma und Leiter der Forschungsstiftung Impulsa. Eine Plattform, die Strategien zur Wettbewerbsfähigkeit der Balearen entwickelt. Er steht in einem Pinien-Hain ein paar Schritte entfernt von seinem Büro im Parc Bit, einem modernen Bürokomplex für IT- und Technologie Firmen. „Ich liebe dieses Wäldchen. Hier kann ich in Ruhe nachdenken.“ Zum Beispiel über die Zukunft Mallorcas. Kann das klappen? Ein massentouristisches Ziel, das überall propagiert, weltweites Modell für Nachhaltigkeit zu werden?

Das Problem sei nicht der Tourismus, sondern wie er produziert wird. Und so, wie er jetzt ist, klappe es natürlich nicht. Rieras Vision ist ein regeneratives Tourismusmodell. „Nachhaltigkeit halte ich für ein leeres Label.“ Eine Transformation hin zur Kreislaufwirtschaft. Dafür müsse Mallorca – das gelte auch für die Balearen – ganz mit dem alten Erfolgskonzept brechen und andere Werte in den Vordergrund stellen. Alle beteiligen. Umdenken, und nicht nur an den eigenen Vorteil denken, an einem Strang ziehen. Ein Netzwerk mit ganzheitlichem Ansatz und neuen Ideen erarbeiten: Bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung. Den Umweltaspekt wirklich schätzen, mangelnde Ressourcen berücksichtigen, entsprechend Gewohnheiten ändern. Verpackungen vermeiden. Mehr heimische Produkte zum Konsumieren anbauen. Aus zerschlissenen Hotel-Handtüchern Neues herstellen. Den Tourismus steuern durch Digitalisierung. Und eben Regeneration. Schließlich habe die Insel keine solche schönen Dünen mehr wie etwa Sylt. „Und was nicht mehr ist, kann man auch nicht erhalten oder schützen.“ Auch landwirtschaftliche Flächen müssten wieder mit der Küste verbunden werden, damit das Wasser abfließen kann.

Mallorca: Kann die Insel auf nachhaltigen, regenerativen Tourismus umstellen?

„Gute Ansätze in diese Richtung gibt es schon. Ich vertraue darauf, dass es weiter geht, wenn dieses Konzept einmal in den Köpfen verankert ist. Ich weiß, es ist eine Herausforderung und nicht ohne Risiko. Aber wir haben keine Wahl. Sonst würde der Tourismus verschwinden. Undenkbar für Mallorca. Die Frage ist nur, ob die Geschwindigkeit reicht.“

Solar-Enthusiast Joan Monjo.
Solar-Enthusiast Joan Monjo. © Nicole Schmidt

Ein besseres Mallorca, das wünschen sich alle, egal wen wir bei unserer Rundfahrt auch fragen, beflügelt durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Sie stürzte die Balearen in eine tiefe Krise, aus der sie unbedingt wieder raus müssen, um mit dem Tourismus weiter zu verdienen. Denn Mallorca hat sich zu 80 Prozent von ihm abhängig gemacht. Auch die linke Landesregierung. Mit vielen neuen Plänen, Projekten und Geld, zum Großteil aus EU-Fonds, will sie Mallorca umbauen, hat auch schon einige Ideen von Toni Riera aufgenommen: umweltverträglicher, sozialer, nachhaltiger.

Anfang des Jahres wurde die erste grüne Wasserstofffabrik in einem ehemaligen Zementwerk in Lloseta eröffnet, erneuerbare Energien und nachhaltige Mobilität sollen gefördert, Kanalisation und Kläranlagen erneuert werden. Auch auf der Liste: besserer Schutz des Meeres, innovative Ökowirtschaft, weniger Abhängigkeit vom Tourismus, mehr Qualität im touristischen Angebot, städtische Regeneration. Und ein neues Tourismusgesetz, das nach Zugeständnissen an die Branche final derzeit im Parlament debattiert wird.

Aber klar ist: Nur noch drei Kreuzfahrtschiffe täglich dürfen gleichzeitig im Hafen von Palma festmachen. Bis 2026 wird es keine neuen Gästebetten auf den Balearen geben, und die allermeisten vorhandenen werden gegen höhenverstellbare ausgetauscht, die den Rücken der Hotelangestellten schonen, Ein- und Zwei-Sterne-Häuser sowie Herbergen, die dauerhaft schließen, können Investoren in Wohngebäude umwandeln, wobei die Hälfte sozialer Wohnraum werden muss, Hotels dürfen ausbauen, wenn sie gleichzeitig ihre Bettenzahl reduzieren und müssen in den nächsten fünf Jahren Pläne in Richtung Kreislaufwirtschaft entwickeln, um den Wasser- und Energieverbrauch sowie die Müllmenge zu reduzieren. Von der Reduzierung der Gästezahl ist in dem Gesetz allerdings nicht die Rede.

Chef der e-Mallorca-Week: Joan Gibert
Gründer der e-Mallorca-Week: Joan Gibert © Nicole Schmidt

„Wenigstens sorgt die Regierung für einen Mindeststandard. Aber das reicht nicht. Sie muss dringend endlich regulieren, dass die Touristen verteilt übers ganze Jahr kommen. Und auf keinen Fall mehr. Wir sind eine andere Generation. Es geht uns nicht nur ums Geld verdienen, wir lieben unsere Erde und unsere Wurzeln, deshalb wollen wir eine bessere Zukunft für Mallorca“, sagt Joan Gibert. Der Kommunikationsmanager ist zu Besuch auf einer Bootsmesse, wo er noch ein paar Aussteller der eMallorca-Experience-Week besuchen will, die er ins Leben gerufen hat. Eine ganze Woche, bis zum 5. Juni, die Inca Projekte zu grüner Energie, Elektromobilität und Umweltschutz von privater Seite aus vorstellt und den Einwohnerinnen und Einwohnern nahebringen will - zum großen Finale auch mit einer E-Auto-Rally.

Mit dem E-Auto über die Insel: Mallorca will Mietwagen auf E-Mobilität umstellen

„Sie müssen mehr sensibilisiert werden. Mallorca ist in dieser Hinsicht weniger bewusst als Deutschland. Wir haben ja noch nicht einmal ein Pfandflaschensystem“, sagt Gibert, während er an all den hochglänzenden, PS-strotzenden Booten und Yachten vorbeischlendert. Davon hält Gilbert gar nichts, genauso wenig wie Bootsbauer Marc Balaguer, der auch auf der Veranstaltung dabei ist. „Die sind eigentlich alle überflüssig. Es macht keinen Sinn, immer höher, schneller, weiter und Tausende von Euro Benzin rauszupusten für ein, zwei Personen“. Aber wenn schon solche Wasserspielzeuge, dann sollten sie wenigstens elektrisch betrieben sein. So wie seine kleinen, leisen, in traditionellem Stil von Hand auf der Insel gebauten Boote aus Holz und recycelbaren Naturfasern, die Reisende mieten können. Oder die elektrisch betriebenen Blue Way-Wasser-Roller am Stand nebenan, mit denen man ganz gemächlich durchs Meer cruist.

Mit dem E-Roller ganz gemächlich übers Wasser.
Mit dem E-Roller ganz gemächlich übers Wasser. © Nicole Schmidt

Auch übers Land geht die Fahrt inzwischen elektrisch: mit einem Leih-E-Auto. Das ist am Ende kaum teurer als ein Benziner. Und zum Herumfahren auf der von Nord- nach Süd 80 Kilometer langen und von Ost nach West 100 Kilometer breiten Insel ideal. Auch da wollte die Balearen-Regierung ganz vorne dabei sein, subventioniert private E-Autos hoch und wollte den Vermietern die Auflage machen, bis 2030 schrittweise keine Benziner mehr anzuschaffen, hat dann aber zurückgerudert, um fünf Jahre verlängert und die Quoten verringert. Die Vermieter halten sich auch noch schwer zurück. Auf der Plattform billiger-mietwagen.de gibt es etwa für Juni von 1414 Benziner-Angeboten ab 446 Euro die Woche nur 107 E-Autos ab 537 Euro.

Naturschutz und lokale Produkte statt Bettenburgen und Ballermann: Tourismuswandel auf Mallorca

Um das Gefährt unterwegs mit Saft zu versorgen, sind inselweit Ladestationen mit Hilfe einer App zu finden, insgesamt 485 gibt es laut Statistik derzeit auf Mallorca, aber es sollen schnell mehr werden. Während der Wagen in Ruhe auflädt, geht es an den kilometerlangen Naturstrand Es Trenc. Türkisblaues Wasser, feinster weißer Sand. Aber bergeweise müffelndes Seegras liegt herum. Eine Touristin mault bei dem Anblick angewidert. Bei ihrem letzten Mallorca-Urlaub sei diese bräunlich-unschöne Masse noch entfernt worden. „Dafür haben sie so gut wie alle Strandkioske abgeräumt.“ Ein Spaziergänger mit Hund klärt sie in Englisch auf. Über die Posidonia, das Neptungras, im Wasser ein wichtiger Filter. Und die ans Land angespülten abgestorbenen Reste seien wichtig, damit Strand und Dünen nicht irgendwann verschwinden. Da nickt sie. Umdenken – das muss auch in den Köpfen von Besucherinnen und Besuchern stattfinden.

Weiter geht die Fahrt durch kleine Sträßchen im Landesinneren. Vorbei an alten Dörfern, die vor sich hindösen, Bruchsteingehöften umgeben von weitem Land, wo sich Schweine suhlen, Zitronen- und Mandelbäume wachsen, Mohn und Margeriten leuchten. Der Ort Valldemossa, zumindest von außen äußerst malerisch in die Tramuntana-Berge geschmiegt. Von Massentourismus keine Spur.

Souvenirläden reihen sich aneinander: Die meisten Produkte kommen nicht von der Insel.
Souvenirläden reihen sich aneinander: Die meisten Produkte kommen nicht von der Insel. © Nicole Schmidt

Doch an der Nordostküste an der Alcúdia-Bucht angekommen, ändert sich das Bild. Schöne Strände zwar, aber dahinter reiht sich Bettenburg an Bettenburg, Lidl, Aldi, Souvenirläden, dicht befahrene Straßen. Aber selbst hier bemühen sich manche Anbieter um einen Wandel. Erica Garcia ist Nachhaltigkeitsmanagerin der Garden-Hotel Kette. „Reduzieren, wiederverwerten, recyclen, reparieren, das ist unser Prinzip. Und wir wollen Modell sein für alle Hotels“, gelobt sie. Nach eigenen Angaben verwendet die Kette kein Plastik mehr, Shampoo und Seife nur in großen Spendern, reguliert den Wasserstrom, kompostiert Küchenabfälle und bringt es zu Bauernhöfen, kauft Lammzüchtern ihr Bio- Fleisch ab, um ihr Geschäft zu beleben, tischt am Buffet eine Bio-Ecke auf. Auch die Köche des Restaurants mögen die Heransgehensweise: Ihre Zutaten kommen frisch vom Feld auf den Teller.

„Wir wollen nicht nur, wir müssen nachhaltig werden. Es bleibt uns nichts anderes übrig“, sagt Joan Monjo, zu diesem Zeitpunkt noch Bürgermeister vom ruhigen Örtchen Santa Margalida und dem trubeligen Can Picafort. Dort sitzt der Vertreter der konservativen Partei Partido Popular in seiner Mittagspause auf einer Bank vor der Polizeistation auf dem Gabriel-Roca Platz und zeigt Richtung Meer. „Wir haben hier eine neue Meeres-Promenade mit Skulpturen und Bänken, die Hälfte der Beleuchtung ist auf LED umgestellt, die Einkaufsstraße ist Fußgängerzone geworden. Und bei uns wird bald mehr Energie durch Sonne gewonnen als in allen anderen Inseldörfern“.

Unschöner Müll oder wichtiger Wasserfilter? Umdenken ist auch bei Reisenden gefragt.
Unschöner Müll oder wichtiger Wasserfilter? Umdenken ist auch bei Reisenden gefragt. © Nicole Schmidt

Gewonnen wird die Energie in gewaltig großen Solaranlagen. Dazwischen tummeln sich Schafe, die das Gras und somit den Schatten niedrig halten. Im Hintergrund flirrt ein herrschaftlicher Landsitz in der Sonne, sieht man die Berge, drumherum wilde Olivenbäume. Es könnte auch eine Kulisse für einen Science-Fiction-Film sein. „1500 Häuser kann nur diese eine Anlage versorgen“, sagt der studierte Ingenieur Monjo mit 41 Jahren Erfahrung in Sonnenenergie, wie er stolz erzählt. Elf Mal so viel werde es sein, wenn alle neun Solarparks auf dem Gemeindegebiet fertig sind. Drei sind derzeit noch im Bau, deutsche Investoren dabei, auch aus Brüssel fließt Geld. Einer der Parks – eine Premiere in Spanien – soll die Anwohnerschaft an der Finanzierung und später an den Gewinnen beteiligen. 500 Euro ist der Mindesteinsatz. Die Nachfrage sei gut, sagt Monjo. Aber es müsste noch viel mehr solcher Anlagen geben.

Ganz verschwunden ist die Partymeile auf Mallorca noch nicht

Selbst an der Playa de Palma, der letzten Reisestation, hat sich schon einiges geändert. Private Unternehmen haben Hunderte Millionen Euro in die Aufwertung der Hotels und Restaurants gesteckt, die Regierung hat den öffentlichen Trinkgelagen den Kampf angesagt, Benimmregeln aufgestellt. Auch die Clubs und Wirtschaften machen mit, unterschrieben in seltener Einmütigkeit einen Verhaltenskodex. Alles nur Make-up, würde Toni Riera sagen.

Es ist Freitag, früher Abend auf der Partymeile hinterm Ballermann zwischen Bierkönig und Oberbayern, wo um 23 Uhr Kultsänger Ole ohne Kohle „Du kannst mir die Nudel putzen“ anstimmen wird. Es riecht nach altem Frittierfett. „Snitzel 12,50 Euro.“ Aschenbecher in den Eingangsbereichen quellen über. Horden von jungen Männern, gerade dem Mallorca-Flieger entstiegen, sind unterwegs, in Schlabber-Shirts, kurzen Hosen, Adiletten und nach hinten gedrehten Käppis, kichernde Junggesellinnen vor der Hochzeit, Kegelclubs, ältere Ehepaare, ein Mann mit Gummipenis auf der Nase, Freundinnen im quietschbunten Einheitslook.

Immerhin: Von Exzessen mit Nackedeis und Trinkgelagen auf offener Straße, die noch vor wenigen Jahren für Negativschlagzeilen sorgten, kann an diesem lauen Maitag keine Rede sein. Und für viele der Schinken- und Bierstraßenfans steht fest: Der Ballermann ist nicht mehr das, was er mal war. „Eimersaufen ist verboten, an jeder Ecke Sicherheitskräfte, knallharte Zugangskontrollen, und man fliegt überall raus, wenn man sich nur kurz das T-Shirt hochzieht“, beklagt sich ein Herr mit Eselsmaske. Die meisten allerdings nehmen’s gelassener, wie die Mädelsclique aus Bamberg: „Alle sind locker und gut drauf hier, jede quatscht mit jedem, ein tolles Feeling“, sagen Steffi und Nina, wie die anderen ganz in schwarz. Sie finden es nicht mal traurig, dass es im nach zwei Jahren wiedereröffneten Megapark, in den 4000 Feiernde passen, morgens um 10 Uhr kein Freibier mehr gibt. „Wir fangen erst nachmittags an. Und kommen wieder, wie immer, dreimal im Jahr“. (Nicole Schmidt)

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