Mauritius: Auf Trab für die Vanille

Ob Arbeit oder Freizeit - im Leben von Ragna Kirchner und Elmar Frank dreht sich alles um die Gewürzschote. Rebecca Wolfer hat die Forschungsfarm des Paares auf Mauritius besucht.
Ragna Kirchner zieht das Insektenschutznetz zur Seite und öffnet so den Eingang zu einem futuristisch anmutenden Gewächshaus, in dem sich viele grüne Pflanzen nach oben ranken. „Hier drin wachsen die Vanillepflanzen sehr schnell“ sagt sie. Das Gebäude ist eine Kuppel, die sie und ihr Mann Elmar Frank aus Stahlrohren und Plastikplanen selbst gebaut haben. „Gewächshäuser in dieser Form gab es auf Mauritius bisher noch nicht“, erklärt er. Die Bauweise ist sehr stabil, lässt Luft im Inneren zirkulieren und ermöglicht Temperaturen von 28 bis 32 Grad Celsius – optimale Bedingungen, die die Vanillepflanze zum Wachsen braucht.
Der Bau der sogenannten geodätischen Kuppeln war der Beginn der Ragelma-Vanillefarm im Jahr 2018. Sie befindet sich in dem kleinen Ort The Mount im Norden von Mauritius. Auf dem großen Gelände stehen neben vier Gewächshauskuppeln und einem Schattengewächshaus auch das Wohnhaus sowie eine Halle, in der das Ehepaar zusammen mit zwei Angestellten arbeitet.
Die Vanille ist nicht die einzige Pflanze, die die beiden auf der Farm in Bio-Landwirtschaft anbauen: Neben Kakao- und Kaffeebäumen wachsen unter anderem auch Weihnachtssterne sowie ein Zimtbaum auf der Wiese.
Auf der Suche nach dem idealen Ort flogen sie mehrmals auf die Südseeinsel Tonga und nach La Réunion
Bevor sie nach Mauritius ausgewandert ist, arbeitete Kirchner als Anästhesistin in Berlin. „Ich wusste aber schon immer, dass ich mit 50 Jahren etwas komplett anderes machen will“, erzählt die heute 56-Jährige. Sie konnte sich nicht vorstellen, dauerhaft im fensterlosen OP-Saal zu arbeiten – was sie stattdessen machen wollte, war ihr aber auch nicht wirklich klar.
Schließlich traf sie auf Elmar Frank. Er war viele Jahre in der Entwicklungszusammenarbeit in verschiedenen afrikanischen Ländern tätig und arbeitete in Berlin als Generalsekretär der Deutschen Afrika Stiftung.
„Wir hatten beide die Idee, eine Vanille-Farm zu gründen – dort, wo es das Klima erlaubt und wo wir eine tolerante Gesellschaft finden“, erklären sie. Die beiden bereisten verschiedene Kontinente auf der Suche nach dem idealen Ort. Unter anderem flogen sie mehrmals auf die Südseeinsel Tonga und nach La Réunion, bis ihre Wahl letztendlich auf Mauritius fiel. Die Idee zum Anbau von Vanillepflanzen kam hingegen eher zufällig: „Eine Freundin bat uns, ihr von unserer Reise nach La Réunion Vanilleschoten mitzubringen“, erzählt Frank. Die beiden beschäftigten sich daraufhin intensiv mit der Pflanze und den Anbaumethoden.

Doch trotz der sorgfältigen Recherche war vor allem der Beginn ihrer Zeit auf der Insel herausfordernd. Die beiden wussten zum Beispiel nicht genau, wo sie die Rohre für ihre Gewächshäuser am besten kaufen sollten. „Zum Glück hatten wir die Hilfe von Mauritierinnen und Mauritiern, die uns bei der Beschaffung unterstützt haben“, sagt der 64-jährige Frank.
Was ihnen auch nicht bewusst war: Ihr gemietetes Grundstück steht auf einem Überschwemmungsgebiet. „Im Dezember 2018 kam so viel Regen, dass uns das Wasser bis zur Hüfte stand“, sagt Kirchner. Dank einer gegossenen Wasserschutzmauer und Betonsockeln unter den geodätischen Kuppeln machen Unwetter dieser Art den Pflanzen nun nichts mehr aus.
Bisher haben die beiden eine hohe fünfstellige Summe in ihre Farm investiert. „Deshalb versuchen wir auch, noch etwas sparsamer zu leben, als wir es in Deutschland schon taten“, sagt Elmar Frank. Ihr Lebensstandard sei ähnlich wie der ihrer Nachbarn – nicht arm, aber auch nicht sehr reich.
Ôrchidee mit Geschmack
Die Vanille gilt als Königin der Gewürze. Sie wird aus den fermentierten Kapselfrüchten – den Schoten – von Vanillepflanzen gewonnen, die zu den Orchideen gehören.
Die wichtigste Art , um Vanilleschoten zu erzeugen, ist die Gewürzvanille (Vanilla planifolia). Ursprünglich kommt sie aus Mittelamerika, wird aber inzwischen vor allem auf Inseln im Indischen Ozean angebaut, allen voran Madagaskar und La Réunion.
Nach etwa neun Monaten sind die Schoten reif. Anschließend beginnt ein mindestens sechs Monate langer Prozess, in dem sie ihr Aroma entwickeln. Die Stangen werden der Länge nach aufgeschnitten und die Samen sowie daran haftendes Öl (Vanillemark) herausgekratzt, um Speisen zu aromatisieren. sha
Um Geld zu sparen, erledigen sie viele Aufgaben auf der Farm selbst, etwa den Kuppelbau, das Einpflanzen oder die Ernte. Außerdem recherchieren sie regelmäßig, ob neue Studienergebnisse zum Vanilleanbau veröffentlicht wurden. „Dadurch haben wir eigentlich keine Freizeit“, sagt Ragna Kirchner lachend. „Wenn wir aber doch einmal Zeit finden, fahren wir gerne an den Strand. Ich liebe es, zu schwimmen, und Mauritius ist ein toller Ort dafür.“
Aktuell haben die beiden eine zehnjährige Aufenthaltserlaubnis im Bereich Forschung und Entwicklung („Innovator Occupation Permit“), die nach Ablauf verlängert werden kann. Dadurch profitieren sie wie alle Einwohner:innen von Mauritius von einer kostenlosen Krankenversicherung. Auch die Rentenversicherung konnten beide problemlos regeln: Die Beträge werden ihnen nach Mauritius überwiesen, sobald sie das Rentenalter erreichen. „Ich hoffe aber, dass ich auch darüber hinaus noch ein paar Jahre forschen und auf der Farm arbeiten kann“, sagt Frank.

Ihre Forschung fokussiert sich vor allem auf nachhaltigen und effizienten Vanilleanbau. Wenn die grünen Schoten nach etwa neun Monaten reif sind, verfärben sie sich unten gelblich und werden einzeln mit der Hand geerntet. Anschließend beginnt ein mindestens sechs Monate langer Prozess, in dem sie ihr Aroma entwickeln.
In dem kleinen Raum voller Regale, auf denen die Schoten zunächst für rund drei Wochen lagern, hängen blau leuchtende Lichterketten. „Durch das Licht wird das Wachstum von Schimmelpilzen verhindert“, erklärt Frank. Außerdem nutzen die beiden einen Thermostat und eine Heizung mit Zweirohrsystem. Durch die gleich langen Vor- und Rücklaufleitungen erwärmen sich alle Heizkörper gleichmäßig und es herrschen in jeder Ecke Temperaturen von 36 bis 38 Grad.
Das begehrte Gewürz erfordert viel Geduld: Im Anschluss lagern die Vanilleschoten nochmal etwa drei Monate in einem anderen gut durchlüfteten Raum. Regelmäßig wird jede einzelne Schote untersucht und bei Schimmelspuren aussortiert, alle anderen werden der Länge nach gebündelt und zur weiteren Aroma-Entwicklung drei bis vier Monate in Kisten gelagert.

Rund 200 Kilogramm getrocknete Vanille konnten Ragna Kirchner und Elmar Frank im vergangenen Jahr erzeugen. Einige Schoten verkaufen die beiden auch schon, etwa an Lebensmittel- und Gewürzhändler in Kanada, Frankreich und Deutschland. Bei Führungen, die sie auf Nachfrage anbieten, können Reisende Vanille kaufen.
Ihr Ziel ist es aber, Kurse anzubieten, um Landwirte auf Mauritius im Bio-Vanilleanbau zu schulen. „Mit manchen tauschen wir uns schon aus“, sagt Elmar Frank. „Erst letztens zeigte uns jemand mit Freudentränen in den Augen seine aromareichen Schoten. Sie waren viel besser als im Vorjahr gelungen, nachdem er unseren Ratschlägen gefolgt war, zum Beispiel zur richtigen Temperatur und Dauer der Lagerung.“
Die Pflanze ist vielseitig einsetzbar: Für den Kaffee, den Ragna Kirchner einschenkt, goss sie neben den gemahlenen Kaffeebohnen aus dem eigenen Garten auch Teile der Vanilleschote auf. „Wir nutzen Vanille überall, zum Beispiel in herzhaften Soßen oder natürlich im Dessert. Besonders gut schmeckt mir das ausgekratzte Vanillemark aber gemischt mit Ketchup auf Butterbrot“, sagt sie lachend. „Die Möglichkeiten sind grenzenlos.“
