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Krokodile in Gambia: Ein Streichelzoo mit Beißerchen

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Von: Andreas Sieler

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Trocken und rau wie Baumrinde – so fühlt sich die gepanzerte Haut der Reptilien an.
Trocken und rau wie Baumrinde – so fühlt sich die gepanzerte Haut der Reptilien an. © Eric Vazzoler

Die Krokodile in Kachikally werden schon immer von Menschen verehrt. Sie lassen sich sogar streicheln. Meistens zumindest. 

Gambia - Vor etwa 500 Jahren soll es sich zugetragen haben, dass einem Mann in Kachikally eine Art guter Geist in Frauengestalt erschienen war. Sie führte den Mann zur Quelle eines Tümpels, wo sie ihn kurzerhand zu deren Hüter ernannt haben soll. Demnach sollte er unter anderem eine Gabe dorthin bringen und die Quelle unter Schutz stellen – und diese würde fortan den Menschen mit Heilkräften dienen. Als die Söhne des Hüters zwei Krokodile gefangen hatten, wurden diese zur besagten Gabe erklärt, der Geist war offenbar einverstanden, und Kranke wie Pilger freuten sich sodann über die heilenden Kräfte des Wassers. Die Krokodile werden seit jener Zeit ebenso verehrt wie der Tümpel selbst, das Areal gehört den Nachfahren des Mannes, der einst der Legende nach zur Quelle geführt worden war.

Die Legende von Kachikally klingt zunächst sehr weit hergeholt. Heute ist der Ort eine Touristenattraktion im kleinen westafrikanischen Gambia. Denn an dem mehr oder weniger heiligen Gewässer am Stadtrand von Bacau kann der Mensch nicht nur den dort lebenden Krokodilen halbwegs gefahrlos deutlich näherkommen als sonstwo. Die wenigen aktuellen Reiseführer und Blogs zur Region bewerben den Ort vor allem damit, dass man die süßen Tierchen sogar streicheln kann. Wie kann das sein?

Vor Ort ist es zunächst eine positive Überraschung, dass sich die kommerzielle Vermarktung Kachikallys doch sehr in Grenzen hält, lediglich zwei kleine Buden vor dem Eingang preisen allerlei Nippes an. In einem kleinen Museum direkt dahinter erfahren die Gäste zunächst etwas über die Traditionen und Bräuche regionaler Ethnien und die politische Geschichte Gambias. Hinter dem Museum erstreckt sich ein Waldpfad unter Palmen und uralten, riesigen Bäumen hindurch, bis der Weg abrupt an jenem besagten Tümpel endet.

Krokodiltümpel in Gambia: Touristenattraktion als Schutzraum für bedrohte Tiere

Und da sind sie auch schon: Ein halbes Dutzend Krokodile lässt sich auf und neben dem Weg die Sonne auf die Flanke scheinen, fast könnte man sie für Attrappen halten. Dahinter erstreckt sich das heilige Becken mit etwa 20 Meter Durchmesser, zahlreiche weitere Krokodile tummeln sich dort in dem moosgrünen Wasser. Rund zehn Fremdenführer sitzen daneben auf steinernen Bänken und warten auf Reisende, um diesen das Areal zu zeigen, geduldig Fragen zu beantworten und sich ein Trinkgeld dazuzuverdienen. Ab und zu kommt eine Familie oder kleine Gruppe vorbei, vor der Pandemie war mehr los, klagen sie. Einer der Guides ist Ibrahima Barju. „Nenn mich Ibi.“

Ibi ist 32 Jahre alt und arbeitet hier seit 14 Jahren. Seine Haare sind sehr kurz, er trägt ein blau-schwarzes Shirt mit Ethnomuster, Jogginghose, Socken in Adiletten. Er spricht Englisch mit einem hier üblichen Akzent. Dass die gepanzerten Tiere handzahm sind, weil sie an einem heiligen Ort leben und verehrt werden, wie teils geschrieben wird, ist nicht ganz richtig, sagt er. Auch erklärt Ibi, dass man sich nicht allen Tieren nähern könne. Die Weibchen verteidigen ihre Jungtiere, da es vorkommen kann, dass die männlichen Tiere die männlichen Nachkommen attackieren. „Daher beschützen die Muttertiere ihre Kleinen und sind in dieser Zeit sehr aggressiv.“ Auch auf Menschen seien sie dann nicht gut zu sprechen. So auch jetzt. Er zeigt auf eine Gruppe von fünf Krokodilen. „Das da mit den schwarzen Flecken ist ein Weibchen, die ist gerade nicht so freundlich, die anderen hier sind okay.“

Nach europäischen Sicherheitsstandards wäre so etwas wohl unmöglich. Immerhin: Nah an die Krokodile ran dürfen Gäste nur in Begleitung eines der Guides. Nicht alle trauen sich, aber ja, die Tiere scheint es nicht zu stören, wenn man sie berührt. Ihre Haut fühlt sich unter menschlichen Fingern an wie trockene, raue Baumrinde.

Krokodile in Gambia: Nur die Muttertiere reagieren aggressiv auf Menschenbesuch

Die in Kachikally lebenden Tiere sind Westafrikanische Krokodile (Crocodylus suchus), sie können um die 100 Jahre alt werden. Lange galten sie als Unterart des Nilkrokodils, nach Erkenntnissen genetischer Untersuchungen sind sie seit 2011 als eigenständige Art anerkannt. „Wenn sie viel Platz haben in der Wildnis, werden sie deutlich größer. Der Pool hier ist klein, die größten, die hier leben, sind drei Meter lang.“

Ein paar Meter entfernt steht eine kleine Gruppe europäischer Reisender um eine Handvoll Krokodile herum und macht Fotos fürs Urlaubsalbum. Als sich urplötzlich eines der Tiere aus seiner Starre löst und gemächlich zwei Schritte nach vorne stapft, bringen sie blitzschnell ein paar Meter zwischen sich und das Reptil. Die Guides lachen. Das Tier wollte sich wohl nur nicht wundliegen.

Tourguide Ibrahima Barju weiß, welche Tiere gerade keinen Appetit auf Menschen haben.
Tourguide Ibrahima Barju weiß, welche Tiere gerade keinen Appetit auf Menschen haben. © Eric Vazzoler

Die vermeintliche Zutraulichkeit der Krokodile hat allerdings einen sehr banalen Hintergrund, erklärt Ibi: „In der Natur haben Krokodile immer Hunger. Und wenn sie hungrig sind, attackieren sie alles, was sie sehen. Doch die Tiere hier müssen nie jagen, wir füttern sie.“ 250 Kilo Fisch bekommen sie demnach jeden Abend kredenzt. Kein Hühnchen, kein Fleisch. „Wenn ich ihnen Fleisch füttere, essen sie vielleicht eines Tages mich.“ Sind die Tiere erst mal satt, verdauen sie. „Deswegen sind sie so faul. Wenn Besucher kommen, lassen sie sich anfassen und fotografieren, das ist kein Problem. Nur ihren Kopf sollte man nicht berühren, da reagieren sie empfindlich.“ Schließlich will man die reizenden Tierchen nicht reizen. Und nur eines der Streicheltiere trägt einen Namen, erklärt Ibi. „Charlie. Er ist der Freundlichste von allen.“ Im Moment hat sich der freundliche Charlie aber irgendwohin zurückgezogen.

Wenn hier jemand gebissen würde, hätten wir natürlich ein großes Problem.

Krokodilguide Ibrahima Barju

Dass dieselbe Familie seit 500 Jahren dieses Habitat besitzt, bestätigt Ibi; die Sache mit den Krokodilen, weiß er aber, lief ein bisschen anders: „Die Krokodile waren hier vor den Menschen. Als die Menschen vor mehr als 500 Jahren hierherkamen, haben sie das hier angelegt.“ In Gambia gibt es drei solche Krokodilpools. Doch Kachikally galt den Einheimischen schon immer als besonderer Ort. „Früher kamen Menschen hierher, wenn sie krank waren. Heute kommen sie für traditionelle Gebete. Insbesondere Frauen, die Kinder bekommen möchten, aber nicht können. Sie beten, und wir holen Wasser aus dem Pool für eine Dusche“, sagt Ibi. Es gehe um Tradition, erklärt er. „Es ist nichts Religiöses. Es geht darum, dass die Menschen daran glauben. Wenn du daran glaubst, funktioniert es, wenn nicht, dann nicht.“ Zumindest bei den Krokodilen scheint sich das Wasser recht vorteilhaft auf die Fortpflanzung auszuwirken. „Viele haben gerade Junge.“ Mehr als 100 Tiere leben in und um den Pool. Die genaue Zahl kennt niemand, da sich selbst die Guides nicht in die Nähe der Verstecke der Jungtiere wagen.

Frischer Fisch hält die Krokodile schön satt - und handzahm

Glaubt man Ibi, hat es trotz der ungewöhnlichen Nähe zwischen Mensch und Tier hier noch nie Zwischenfälle gegeben. „Wenn Gäste kommen, trennen wir die freundlichen von den aggressiven Tieren. Wenn hier jemand gebissen würde, hätten wir natürlich ein großes Problem.“ Noch erstaunlicher ist dies, da das Gelände nicht einmal vollständig umzäunt ist. Ab und zu spaziert ein Reptil in die umliegenden Felder oder die neben der Straße verlaufende Kanalisation von Bacau. Aber panisch wird deswegen niemand, denn: „Wenn sie Hunger haben, kommen sie zurück.“

Krokodile streicheln also: Manch einer mag den Besuch in Kachikally vielleicht, wie viele Touristenangebote in ärmeren Staaten, als etwas stumpfe Touri-Attraktion für wohlhabende Gäste westlicher Länder kritisieren. Oder gar als leichtsinnig und gefährlich. Allerdings: Vor nicht allzu langer Zeit waren in Gambia viele Tiere heimisch, die ihren Lebensraum dort inzwischen endgültig verloren haben. Elefanten, Giraffen, Löwen und viele mehr hat der Mensch verdrängt. Solange die Krokodile verehrt, gehegt und gepflegt werden, dürfte ihnen ein solches Schicksal erspart bleiben. (Andreas Sieler)

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