Krebs und Herzinfarkt bald heilbar? Gentherapie könnte möglicherweise bald den Durchbruch bringen
Die Crispr-Technik könnte bald den Durchbruch in der Krebstherapie und bei Herzinfarkten bringen. Auch Volksleiden sollen heilbar werden. Das Problem sehen Experten in der Finanzierung.
London – Gentherapie mit der Crispr-Technik ermöglicht eine „Editierung“ des Erbguts im Innern menschlicher Zellen. Die Methode stellt ein enormes Potenzial bei der Behandlung von Krebs und Erbkrankheiten. Anfänglich standen Blutkrankheiten im Fokus. Nun soll die Verwendung weiter ausgebaut werden. Seit der Veröffentlichung in 2012 sind deutliche Fortschritte zu beobachten, berichtet der Spiegel.
Gentherapie: Editieren des Erbguts kann Gendefekte reparieren
Für die Entwicklung der Genschere Crispr/Cas9 haben Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier im Jahr 2020 den Nobelpreis erhalten. Seitdem wurde daran fleißig weitergearbeitet. Das Operationsbesteck der Genchirurgen hatte zwar schon eine Sonde zur Ansteuerung bestimmter Orte im Erbgut. Nun ist es mit einem Präzisionswerkzeug ausgestattet – so lassen sich genetische Eingriffe gezielt vornehmen.
Die Gentherapie basiert auf zwei Arten der Erbgut-Editierung. Mit dem „base editing“ lassen sich einzelne Buchstaben genetischen Textes austauschen. Das war zuerst die bahnbrechende Entwicklung der Nobelpreisträgerinnen. Das „prime editing“ ermöglicht das Einfügen oder Löschen kurzer Gentextpassagen. Laut Spiegel lassen sich so knapp 90 der bekannten 75.000 Gendefekte reparieren – das zunächst noch theoretisch. Forschende machen sich nun an die praktische Umsetzung der Methode. Inzwischen sind rund 120 Geneditierungsstudien angemeldet.
Entwicklung: Erste Schritte der Forschung zur Heilung von Blutkrankheiten
Zu Beginn der Forschung standen Blutkrankheiten im Fokus. Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie zählen als schwere Krankheit. Die Dringlichkeit der Therapie ist hoch, da besonders in Afrika und im Mittelmeerraum Millionen Menschen betroffen sind. Crispr-Entwicklung konnte an der Stelle gut ansetzen, da sich Blutstammzellen aus dem Knochenmark verhältnismäßig leicht gewinnen und manipulieren lassen.
Da hört die Forschung aber nicht auf. Genchirurgen haben weitere Studien ins Leben gerufen, so der Spiegel. Unteranderem: erbliche Blindheit, unterschiedliche Stoffwechselstörungen, Leber-, Immun- und Herzerkrankungen oder vorzeitige Alterung namens Progerie.
Crispr-Methode: Mögliche Vorbeugung von Herzinfarkten durch Gentherapie
Auch Volkskrankheiten könnten so behandelt und gar vorgebeugt werden. Den ersten Versuch machte das Biotech-Start-up Verve in Neuseeland. Im vergangenen Jahr verabreichten sie einem Patienten eine Gentherapie – eine Vorbeugung gegen Herzinfarkt. Grund war eine erbliche Hypercholesterinämie, der Pegel des schlechten LDL-Cholesterins in seinem Blut ist drastisch erhöht. Das soll die Gentherapie ausgleichen.
Die Forschenden von Verve sehen in der Crispr-Methode auch das Potenzial das Herzinfarktrisiko flächendeckend zu beheben. Ein Gen namens PCSK9 ist im Erbgut aller Menschen. Bei Sequenzstudien wurde sichtbar, dass Menschen mit dysfunktionalem PCSK9-Gen einen ungewöhnlich niedrigen Cholesterinspiegel im Blut haben. Soweit bekannt sind sie kerngesund und haben zusätzlich ein geringes Herzinfarktrisiko. Verve-Gründer Kiran Musunuru sehe neue Therapieansätze in Crispr-Eingriffen zur Ausschaltung des Gens bei Risikopatienten, so Spiegel.
Editierung: Veränderung des Erbguts kann Krebs und möglicherweise Muskeldystrophie heilen
Auch in der Krebstherapie wurden erste Versuche der Crispr-Therapie gestartet. Mithilfe des Base-editing-Verfahrens haben Genchirurgen Grand Ormond Street Hospital in London einem leukämiekranken Mädchen geholfen. Sie änderten die genetischen Instruktionen im Erbgut von T-Zellen – diese zerstörten dann die Krebszellen. Die 14-jährige Alyssa aus dem britischen Leicester war die erste Patientin, der Crispr-manipulierte Zellen infundiert wurden. Die Leukämie verschwand. Ob das dauerhaft der Fall ist, kann noch nicht gesagt werden.

Eine Studie der Humboldt-Universität um Max Delbrück in Berlin beschäftigt sich mit einer Gentherapie bei Muskeldystrophie – dem fortschreitenden Verfall der Muskulatur. Die Schwierigkeit hierbei ist, dass das Krankheitsbild sehr unterschiedlich ist. 50 verschiedene Gene können von den hundert diversen Defekten betroffen sein. Die Forschung will nun eine Lösung finden. Das Team um Simone Spuler startet mit vier Gendefekten, die sich gut mit der Crispr-Methode reparieren lassen. Dazu will sie eine Sammelstudie starten. Das Problem: die Finanzierung. Nur fünf Patienten kann sie mit dem bisher erworbenen Geld behandeln, denn die Sondenmoleküle sind teuer: 10 Milligramm kosten 400.000 Euro, erzählt Spuler dem Spiegel.
Internationaler Gipfel: Dilemma um Gerechtigkeit, Zugang zu Behandlungen und Finanzierung
Auf dem „internationalen Gipfel“ stand ebendieses Problem im Mittelpunkt. Noch ist keine Lösung in Sicht, wie das Dilemma um Gerechtigkeit und Zugang zu Behandlungen gelöst werden soll. Vertreter aus Südafrika, Indien und Tansania machten deutlich, dass es in ihren Ländern bereits bei der Versorgung von Präparaten zur Vorbeugung der Schmerzkrisen Sichelkranker scheitere. Diese zählen in Europa und Nordamerika seit Jahrzehnten zum Standard. Wenn so etwas 40 Jahre dauere, wie lange werden sie dann auf Gend-Editierung warten, fragte Gautam Dongre, Vertreter der Nationalen Allianz der Sichelzell-Organisationen Indiens.
Problem sei nicht nur die Profitgier der Pharmakonzerne, so der Spiegel. Die Möglichen Gewinne sind zwar sehr hoch, die Risiken jedoch auch. Das liegt daran, dass die Therapien Spezialanfertigungen für kleine Gruppen an Betroffenen sind. Das rentiert sich oft nicht.
Ein Lösungsansatz nach Fyodor Urnov aus Berkeley ist eine Entwicklung einer Plattform zur Behandlung der rund 500 bekannten Immunkrankheiten. Für einen geringeren Preis soll die jeweils richtige Genversion ins Erbgut von Blutstammzellen eingebaut werden. Den Kranken können diese dann infundiert werden – als erschwingliche Therapie. Bis eine endgültige Lösung des Finanzierungs- und Gerechtigkeitsdilemmas vorliegt, kann es noch lange dauern. (hk)