Krebs: Die Zukunft der Früherkennung

Um Tumore rechtzeitig zu entdecken, gibt es für die verschiedenen Krebsarten spezielle Untersuchungen. Auch in Deutschland besteht Handlungsbedarf, denn nicht alle Verfahren sind auf der Höhe der Zeit.
Heidelberg - Dass Krebs eine weitaus heterogenere Erkrankung ist als früher angenommen, gehört zu den großen Erkenntnissen der medizinischen Forschung der letzten Jahrzehnte. Längst spiegelt sich dieses Wissen in immer stärker personalisierten Therapien. Und so wie ein Tumor von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist, so wenig einheitlich ist auch das Risiko, an Krebs zu erkranken. Viele äußere Faktoren, die das Risiko erhöhen, kennt man bereits, einige davon schon lange, wie an erster Stelle das Rauchen. Aber auch die Gene spielen eine wichtige Rolle und grundsätzlich steigt mit zunehmendem Alter die Gefahr, dass entartete Zellen vom Körper nicht vernichtet werden, bevor ein Tumor entsteht.
Die Früherkennung trägt diesem unterschiedlich großen Risiko bisher indes nur teilweise Rechnung, vor allem in Form von Altersgrenzen, ab denen die Kasse Untersuchungen bezahlt oder man zum Screening eingeladen wird. Für etliche Krebsarten allerdings, darunter auch besonders gefährliche, gibt es gar keine systematische Früherkennung, bei anderen wird über die Sinnhaftigkeit der gängigen Praxis diskutiert. Hier ist gerade einiges im Umbruch, der Trend geht weg von „populationsbasierten Ansätzen“ hin zu einer an das persönliche Risiko angepassten Früherkennung, wie Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender und Wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg sagt.
Weltkrebstag: Zu viel Früherkennung kann Schaden anrichten
Denn das „One fits all“-Prinzip passt bei der Früherkennung ebenso wenig wie bei der Therapie und kann sogar Schaden anrichten: durch Belastungen wie Strahlen oder Gewebeentnahmen, durch einen nie ganz zu vermeidenden Anteil falsch positiver Befunde, die weitere Untersuchungen und psychischen Stress auslösen, oder durch das Auffinden von Krebsherden, die zu Lebzeiten keine Problemen gemacht hätten, nun aber Therapien nach sich ziehen. Das alles gilt es abzuwägen.
Zu den Krebsarten, für die es in Deutschland noch kein Screening gibt (aber bald geben soll), gehört Lungenkrebs – obwohl er weltweit die meisten krebsbedingten Todesfälle verursacht. Die hohe Mortalität hat auch damit zu tun, dass Tumore in der Lunge lange Zeit keine oder nur unspezifische Beschwerden machen und meist bereits fortgeschritten sind, wenn sie entdeckt werden. Die Schlussfolgerung liegt deshalb nahe, dass sich viele vorzeitige Tode vermeiden ließen, ginge man frühzeitig auf die Suche nach Herden. Doch ganz so einfach ist es nicht. Als Methode der Wahl gilt eine Mehrschicht-Computer-Tomographie (CT) mit niedriger Strahlendosis und ohne Einsatz von Kontrastmittel.
Jährliches Lungenkrebs-Screening kann Sterblichkeit für Risikogruppen um 20 Prozent senken
Mehrere Studien haben ergeben, dass sich mit einem jährlichen CT-Screening von Risikogruppen die Sterblichkeit um etwa 20 Prozent senken lässt, sagt Rudolf Kaaks, Leiter der Abteilung Epidemiologie von Krebserkrankungen am DKFZ. Risikogruppen sind Raucher:innen, sie machen 80 Prozent aller Lungenkrebsfälle aus. Allerdings ist ein regelmäßiges CT mit einer gewissen Strahlenbelastung verbunden und auch das Risiko von falsch positiven Befunden und Überdiagnostik sei ein „nicht unerhebliches Problem“, sagt Kaaks: dann etwa, wenn man kleine Knötchen findet, die bei vielen Menschen vorkommen, ohne dass es sich um Krebs handelt – oder aber tatsächliche Herde sieht, die zu Lebzeiten nicht symptomatisch geworden wären. Im „Einzelfall“ lasse sich das bisweilen „extrem schwer erkennen“, erklärt Stefan Delorme, stellvertretender Leiter der Abteilung Radiologie am DKFZ.
Zudem sind nicht alle Lungentumore gleich gut aufzuspüren: Entdeckt werden bei dieser Untersuchung nur Tumore an der Peripherie, insbesondere Adenokarzinome, die bei Frauen häufiger auftreten, weshalb sie stärker als Männer von einem Screening profitieren. Kleinzellige und Plattenepithelzell-Karzinome hingegen fallen oft durch das Raster.
Fachleute plädieren für mehr Früherkennung bei Lungenkrebs
Trotz dieser Einschränkungen wird ein Früherkennungsprogramm für Lungenkrebs von vielen Fachleuten als sinnvoll angesehen – unklar ist allerdings noch, für wen genau. „Welche Kriterien die besten sind, wird derzeit extrem diskutiert“, sagt Kaaks. In den USA entschloss man sich 2021, die Untersuchung von 50 Jahren aufwärts zu empfehlen (bis 80 Jahre) und als weiteres Kriterium, dass jemand 20 Jahre lang mindestens eine Packung Zigaretten täglich geraucht und sich das Rauchen vor nicht länger als 15 Jahren abgewöhnt hat, so das denn überhaupt passiert ist.
Krebs in Zahlen
Weltweit erkranken jedes Jahr 19,3 Millionen Menschen neu an Krebs. Fachleute schätzen, dass die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen bis 2040 auf 30 Millionen steigen wird.
In Deutschland leben mehr als vier Millionen mit einer Krebserkrankung oder haben sie überstanden. Jährlich erhalten hier 500 000 Menschen die Diagnose Krebs. 65 Prozent davon leben nach fünf Jahren noch, was aber nicht bedeutet, dass sie auch geheilt sind.
Im internationalen Vergleich steht Deutschland mit diesem Wert gut da, sagt Michael Baumann vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg. Er betont aber auch, dass diese Zahlen „nicht ausreichend seien“.
Bei Männern verursacht Lungenkrebs in Deutschland mit 24,4 Prozent die häufigsten Krebstodesfälle, gefolgt von Prostatakrebs mit 11,3 Prozent und Darmkrebs mit 11,2 Prozent.
Bei Frauen verursachen bösartige Tumore der Brust in Deutschland mit 17,4 Prozent die häufigsten Krebstodesfälle, gefolgt von Lungenkrebs mit 15,3 Prozent und Darmkrebs mit 11,7 Prozent. pam
Der „Europe’s Beating Cancer Plan“ hingegen rät dazu, in der EU ein Screening für Menschen zwischen 50 und 75 einzuführen, die 30 Jahre lang mindestens eine Packung pro Tag konsumiert haben und immer noch rauchen oder sich das vor nicht länger als 15 Jahren abgewöhnt haben.
Falsche Untersuchungen zur Früherkennung von Prostatakrebs
Nach Lungenkrebs fordert das Prostatakarzinom die zweitmeisten Krebstoten unter den Männern. Hier könnte es bei der Früherkennung in Zukunft zu grundlegenden Änderungen kommen. Die 1971 als Früherkennung eingeführte Tastuntersuchung hält Peter Albers, Direktor der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Düsseldorf und Leiter der Abteilung Personalisierte Früherkennung des Prostatakarzinoms am DKFZ, für „unsinnig“, sie sei „obsolet“: „Das ist eine Erkenntnis, die man der Politik beibringen muss“. Deutschland befinde sich in dieser Beziehung „nach wie vor im Schlaf“. Was aber ist die Alternative?
Studien belegen, dass die Sterblichkeit durch ein PSA-Screening gesenkt werde, sagt Albers. PSA steht für Prostataspezifisches Antigen und ist ein Wert, der im Blut erhoben wird. Allerdings verursacht er nicht selten falschen Alarm – eine Gratwanderung. Die Lösung sieht Albers in einem „smarten“ Screening, wie es inseiner bis 2035 laufenden „Probase“-Studie mit mehr als 46 000 Männern getestet wird. Es sieht vor, im Alter von 45 bis 50 Jahren einen Basis-PSA-Wert zu erheben. Grundlage dafür ist die Annahme, dass der Wert zu diesem Zeitpunkt eine hohe Vorhersagekraft hat, ob ein Mann später Prostatakrebs entwickelt. Bei einem niedrigen Wert (1,5) sollte der nächste Test nach fünf Jahren und bei einem Wert bis 2,99 nach zwei Jahren erfolgen. Höhere Werte ab 3 sollten mit einem weiteren Bluttest und einem MRT plus Prostatabiopsie abgeklärt werden.
Zu wenige Menschen in Deutschland gehen zur Darmkrebsvorsorge
Bei Darmkrebs gibt es in Deutschland bereits ein organisiertes Früherkennungsprogramm, bei dem man ab einem Alter von 50 eingeladen wird, entweder an einer Koloskopie (Darmspiegelung) teilzunehmen oder einen immunologischen Stuhltest zu machen, der verstecktes Blut nachweisen soll. Doch die Vorsorge-Koloskopie, die sicherste Methode, bei der bereits Krebsvorstufen gefunden und entfernt werden können, wird nur von 20 Prozent der Berechtigten wahrgenommen, sagt Michael Hoffmeister, Leiter der Abteilung Klinische Epidemiologie und Alternsforschung am DKFZ. Nachvollziehbar, denn viele Menschen scheuen das unangenehme Abführen und die invasive Untersuchung.
Allerdings ist auch die Teilnahme an den neueren immunologischen Stuhltests eher bescheiden – möglicherweise, weil das System zu „umständlich“ sei, wie Hoffmeister vermutet. In einer von der Deutschen Krebshilfe geförderten Studie wird deshalb gerade geprüft, ob ein digitales Screening per Smartphone auf mehr Akzeptanz stößt. Man müsste sich in diesem Fall eine App auf dem Handy einrichten, würde den Stuhltest zuhause machen, die Testkassette abfotografieren und könnte dann das Ergebnis ablesen. Dieser Test erwies sich in Untersuchungen bereits als ebenso zuverlässig wie ein Labortest. Michael Hoffmeister sieht allerdings ein anderes Problem: Zuhause muss man mit dem Ergebnis erst einmal alleine fertig werden. „Es fehlt die Kompetenz, das einzuordnen.“
Früherkennung per App: Smartphone soll Hautkrebs erkennen können
Ähnlich wie beim Darmkrebs lässt sich das Smartphone auch bei der Früherkennung von Hautkrebs nutzen – hier, indem man verdächtige Stellen abfotografiert und dann professionell abklären lässt. Am DKFZ wurde dafür unter der Federführung des Dermatologen Titus Brinker, Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe Digitale Marker für die Onkologie, die erste bundesweit verfügbare und jüngst von der Stiftung Warentest empfohlene Hautscreening-App mit Namen „AppDoc“ entwickelt. Brinker geht zudem davon aus, dass sich durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz bösartige Veränderungen der Haut in Zukunft noch früher, präziser und sicherer diagnostizieren lassen wird.
Was aber ist mit den Krebsarten, für die es noch gar keine Möglichkeiten zur Früherkennung gibt? Wäre ein Bluttest die unkomplizierteste Lösung des Problems für alle Tumore? Seit Jahren arbeiten Forschende daran, mittlerweile mit greifbarem Erfolg. So hat die US-Arzneimittelbehörde FDA den Bluttest der kalifornischen Firma Galleri als „bahnbrechendes Produkt“ eingestuft. Er soll 50 verschiedene Typen von Tumoren früh erkennen. Klingt vielversprechend.
Bluttests zur Krebsfrüherkennung mit Risiken
Doch die Leiterin des deutschen Krebsinformationsdienstes, Susanne Weg-Remers, sieht auch Risiken, vor allem bei einem „verfrühten Einsatz“ oder einer Direktvermarktung. Bluttests suchen nach Biomarkern, die Hinweise auf Krebs im Körper geben. Das können vereinzelte Zellen eines Tumors sein, Stoffwechselprodukte, die er ins Blut abgibt oder Erbgut bösartiger Zellen. Das Produkt von Galleri etwa weist zirkulierende Tumor-DNA nach, ebenso wie ein zweiter bereits entwickeltet Test, der „OverC Multi-Cancer Detection Blood Test“.
Allerdings, erklärt Susanne Weg-Remers, geben solche Tests nicht unbedingt Auskunft darüber, wo genau ein Tumor sitzt, dafür müsste man einen Menschen anschließend „durchscreenen“. Sie stellt die Frage: „Was ist, wenn dabei kein Krebs gefunden wird? Müssen diese Menschen dann durch die Welt laufen mit dem Gefühl, eine tickende Zeitbombe im Körper zu haben?“ Das weitere Vorgehen und die Versorgung von Menschen mit einem positiven Bluttest ohne nachfolgenden Krebsnachweis müssen geklärt werden, weitere Studien unter „Real World“-Bedingungen seien notwendig, sagt die Ärztin – die deshalb in Bluttests derzeit noch „keine Alternative zur gesetzlichen Krebsfrüherkennung“ sieht. (Pamela Dörhöfer)