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Kau-Flaute

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Von: Martin Dahms

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In Corona-Zeiten ein seltener Anblick. Rolf Vennenbernd/dpa
In Corona-Zeiten ein seltener Anblick. Rolf Vennenbernd/dpa © Rolf Vennenbernd/dpa

Die Pandemie trifft die Kaugummi-Industrie hart, denn: Heimarbeit und Ausgangssperren haben den Bedarf an frischem Atem gesenkt

Kaugummi herstellen, so soll William Wrigley junior ums Jahr 1925 gesagt haben, „ist einfach. Knifflig ist es, ihn zu verkaufen.“ Das gilt knapp hundert Jahre später immer noch. Und in Coronazeiten ganz besonders. In der ganzen Welt ging der Kaugummiumsatz im vergangenen Jahr um 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück, berichtete kürzlich der Economist. In Spanien – wo der Kaugummi nach seinem uramerikanischen Vorbild „chicle“ heißt – brach der Konsum laut dem Marktforscher Nielsen um 26 Prozent ein, laut dem Süßwarenverband Produlce sogar um 45 Prozent. Die Kaugummiblase ist geplatzt. Vorerst.

Wer kein Kaugummi kaut, hält Kaugummikauen für ungefähr so nützlich wie Rauchen (wobei manche das Eine tun, um das Andere zu lassen). Gerade weil es als eher unfein gilt, hatte das demonstrative Kauen früher was Rebellisches an sich. Noch früher hing ihm ein Hauch von Freiheit an, weil es die US-Soldaten waren, die den Europäern was vorkauten. Aber warum soll man sich heute noch einen Kaugummi in den Mund stecken?

Aus Langeweile und für den frischen Atem. 75 Prozent der Kaugummis würden „auf der Straße“ konsumiert, sagt Dirk Van De Put, der Chef von Mondelez, einem der großen Kaugummihersteller. Will heißen: unterwegs von einem Ort zum anderen, im Auto oder in der U-Bahn. Man langweilt sich und holt ein Kaugummi aus der Tasche. Oder man denkt an die Menschen, denen man nach der Ankunft begegnen wird, und möchte ihnen mit frischem Atem begegnen. Dafür ist der Kaugummi gut. Kaugummis gelten immer noch als Süßigkeiten, sind aber in Europa meistens zuckerfrei, in Spanien zu 95 Prozent, und machen so die Zähne nicht kaputt. Sie sind nahezu nützlich.

Als 2020 das Coronavirus über die Welt kam, ging erstmal kaum noch jemand „auf die Straße“. In Spanien galt sieben Wochen eine strenge Ausgangssperre. Heimarbeit und Videokonferenzen ersetzten das Büro. Keine U-Bahn-, keine Autofahrten. Und wenn, dann mit Maske, was den Weg des Kaugummis von der Hand in den Mund erschwert. Der Konsum ging zurück, in Spanien gewaltig, weil hier auch die Coronabeschränkungen gewaltig waren.

Nach anderthalb Jahren Pandemie ist die Pandemie noch nicht vorbei, aber immerhin sind dreiviertel der Spanier:innen geimpft. Womit die Angst vor dem Virus nachlässt. Auch die Politik macht nur noch wenige Sicherheitsvorschriften. Die Menschen kehren zurück auf die Straße, wo sie sowieso besonders gerne sind. Und sie greifen zum Kaugummi. „Es gibt diese soziale Komponente des Chicle-Konsums, die mit der Pandemie verloren gegangen ist“, sagt Rubén Moreno, der Präsident von Produlce. „Und die kommt jetzt wieder.“

Jetzt wissen wir’s: In Wirklichkeit ist der Kaugummikonsum ein Glücksindikator.

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