„Orgie der Frauenfeindlichkeit“: Die Pressestimmen zum Urteil im Prozess um Amber Heard und Johnny Depp
Das Urteil im Prozess zwischen Amber Heard und Johnny Depp ist gefallen: ein Überblick über die Pressestimmen.
Fairfax – Sechs Wochen lang dauerte der Prozess zwischen Johnny Depp und seiner Ex-Frau Amber Heard. Unmengen an schmutziger Wäsche wurde zwischen den beiden Prominenten in dieser Zeit gewaschen. Für die Öffentlichkeit schien das Ergebnis im Depp-Heard-Prozess derweil bereits festzustehen. Nun ist das Urteil gefallen:
Die Jury stellte sich größtenteils auf die Seite des „Fluch-der-Karibik“-Stars. Sie sprach Johnny Depp Schadenersatz in Höhe von zehn plus fünf Millionen Dollar zu, letztere Summe reduzierte die Richterin aufgrund entsprechender Regulierungen auf 350.000 Dollar. Heard sprach die Jury Schadensersatz in Höhe von zwei Millionen Dollar zu. Doch wie kam das Urteil in der Öffentlichkeit an? Die Pressestimmen zum Urteil.

Prozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard: Pressestimmen zum Urteil
- New York Times (USA): „Depp mag in diesem Fall der größere Gewinner sein, denn er erhielt 10,35 Millionen Dollar, während Heard nur 2 Millionen Dollar erhielt. Aber die Wahrheit ist, dass es hier keine wirklichen Gewinner gibt. Der Prozess brachte Depps Vergangenheit mit Drogenmissbrauch und Gewaltausbrüchen ans Licht. Seine laut vorgelesenen Textnachrichten über seine Ex-Frau waren so grob, dass sie hier nicht abgedruckt werden können. Heard gab zu, Depp geschlagen zu haben, was sie als Selbstverteidigung bezeichnete. Und sie war gezwungen, grafische Details von angeblichen körperlichen und sexuellen Übergriffen zu erzählen. Sie hat auch Morddrohungen erhalten. In der Zwischenzeit haben die Opfer häuslicher Gewalt diesen Fall mit Entsetzen verfolgt.“
- The Guardian (Großbritannien): „Der Prozess hat sich in eine öffentliche Orgie der Frauenfeindlichkeit verwandelt. Auch wenn sich der größte Teil des Hasses nominell gegen Heard richtet, wird man das Gefühl nicht los, dass er sich in Wirklichkeit gegen alle Frauen richtet – und insbesondere gegen diejenigen von uns, die auf dem Höhepunkt der #MeToo-Bewegung über geschlechtsspezifischen Missbrauch und sexuelle Gewalt gesprochen haben. Eine Frau wurde zum Symbol einer Bewegung gemacht, die viele mit Angst und Hass betrachten, und sie wird für diese Bewegung bestraft. Auf diese Weise befindet sich Heard immer noch in einer missbräuchlichen Beziehung. Aber jetzt ist es nicht nur mit Depp, sondern mit dem ganzen Land.“
- Neue Zürcher Zeitung (Schweiz): „Allerdings kann man sich fragen, warum man gleich von Misogynie und dem Ende von #MeToo sprechen muss, wenn ein Mann freigesprochen wird. Es kann bei der Bewegung ja nicht darum gehen, dass eine Frau immer recht und ein Mann immer unrecht hat, und nach wie vor herrscht die Unschuldsvermutung. Auch steht Heard ja nicht stellvertretend für alle Frauen und Depp nicht für alle Männer. [...] Im besten Fall führt der Prozess zu einer etwas differenzierten Betrachtungsweise, die nicht nur dem Geschlecht, sondern vor allem dem Individuum Rechnung trägt.“
- Die Zeit (Deutschland): „Viele Depp-Unterstützer begründen ihre Euphorie damit, dass es darum ginge, männlichen Missbrauchsopfern zu Sichtbarkeit zu verhelfen. Insofern sei der Fall nicht das Ende von #MeToo, wie es jetzt vielerorts heißt, sondern eine Ausweitung auf #MenToo. Wenn sich in Zukunft wirklich mehr männliche Missbrauchsopfer trauen sollten, über ihre Erfahrungen zu sprechen, dann wäre das in der Tat wenigstens eine gute Sache, die aus dieser shitshow hervorginge. Aber diese Position hat ein Problem: Im nun zurückliegenden Prozess wurde nicht verhandelt, ob Depp Gewalt erlebt hat, sondern ob Heard sie erlebt hat. Und die Art, wie mit ihr als mutmaßlichem Missbrauchsopfer umgegangen wurde, sendet eine andere Botschaft: Wenn du keine absolut stichhaltigen Beweise hast, dann lass es lieber, sonst droht eine Verurteilung wegen Verleumdung. Sonst kann es teuer werden.“
- Der Spiegel (Deutschland): „Sie glaubten also (weitgehend) dem Mann. Das ist das Fazit dieses US-Sensationsprozesses, bei dem es nicht nur darum ging, wer wen misshandelt und verleumdet hat. Sondern nicht zuletzt auch darum, ob die #MeToo-Bewegung, die 2017 mit den Vorwürfen gegen den später zu 23 Jahren Haft verurteilten Hollywoodproduzenten Harvey Weinstein weltweit explodiert war, heute so noch Bestand haben kann. [...] Am Ende lief es darauf hinaus, wer glaubwürdiger erschien. Sprich: Wer vor Gericht die beste Show abgab.“
Indes könnte das letzte Wort zwischen den Streitparteien noch nicht gesprochen sein. Eine Berufung in der Causa Heard-Depp gilt als wahrscheinlich. (slo)