„Ich liebe es, Grenzen zu überschreiten“

Die Komikerin und Schauspielerin Martina Hill über ihre Freude am politisch Unkorrekten, moderne Neandertaler – und warum sie leere Häuser magisch anziehen
Über Martina Hills Privatleben ist nicht viel bekannt. Es heißt, sie ernährt sich vegetarisch und … tja, das war es auch schon. Dafür gibt es in ihren Comedy-Formaten kein Klischee, mit dem die 48-Jährige nicht schon gespielt hat. Und mit den Figuren, die Martina Hill parodiert hat oder immer noch spielt, ließe sich ein freakig-illustres Fußballmatch organisieren. Neben ihrer neuen Show „Hillarious“, die kommende Woche startet, ist sie derzeit auch in der Beziehungskomödie „Caveman“ im Kino zu sehen.
Frau Hill, es gibt Männer, die berufen sich gerne darauf, dass sie so sind wie sie sind, weil sie vom „Caveman“, vom Höhlenmenschen, abstammen. Und dass sie eben Jäger und Beschützer sind, die zuweilen archaische Urtriebe ausleben müssen. Ist da was dran? Oder sind das blöde Ausreden, um seine Socken nicht auf rechts drehen zu müssen vor dem Waschen?
In meinen Augen ist da sicher ein Funken Wahrheit dran. Ein Stück weit sind wir in unseren Instinkten schon noch aus einer anderen Zeit gesteuert. Das erklärt für mich allerdings nicht, warum er es einfach nicht hinbekommt, seine Socken vor dem Waschen wieder auf rechts zu ziehen. Es ist halt generell schwierig, wenn man sich darauf berufen muss und mit der Ausrede kommt: „Schatz, ich bin halt so! Dafür kann ich nichts, das sind meine Neandertaler-Gene!“
Was macht für Sie einen modernen Mann im Jahr 2023 aus?
Dass er sich nicht über seine Männlichkeit, sondern über seine Menschlichkeit definiert. Einem modernen Mann ist es egal, wie sein Geschlecht definiert ist. Der findet auch so zu sich selbst und seiner inneren Stärke. Wenn er dann auch noch ausgeglichen, sozial und emphatisch ist, kann kaum noch etwas schiefgehen.
Wo liegen die größten Missverständnis-Potenziale in Sachen Kommunikation?
Meist im Kleinen, im ganz alltäglichen Wahnsinn. Da finden sich so viele schöne Möglichkeiten, Lappalien, die zum Ausufern prädestiniert sind. Es ist letzten Endes das berühmte Loriot-Frühstücksei, das hat immer noch viel Potenzial: „Berta, das Ei ist hart. Wie lange hat das Ei denn gekocht? Zu viele Eier sind gar nicht gesund!“
Ihre Sketche waren in der Vergangenheit auch gerne mal derb-anarchisch. Wie stehen Sie heute zur „political uncorrectness“?
Grundsätzlich liebe ich es nach wie vor, Grenzen zu überschreiten und zu überraschen. In meinen Sketchen überspitze ich weiterhin den Alltag und greife oft zu pädagogisch durchaus unkonventionellen Mitteln, die in der Realität so natürlich gar nicht gehen. Aber auch meine neue Show „Hillarious“ ist ja Sketchcomedy und kein Erziehungsratgeber.
Nicht alle Menschen haben Sinn für Ironie ... Haben Sie keine Sorge, missverstanden zu werden?
zur person
Martina Hill , 48, stammt aus Berlin und ist seit 20 Jahren als Comedienne und Schauspielerin auf vielen Kanälen in vielen Formaten präsent. Ihre neue Comedy-Show „Hillarious“ startet am 9. Februar auf Amazon Prime, seit voriger Woche läuft ihr aktueller Film „Caveman“ in den Kinos. FR
Ich glaube, dass in unserer heutigen Empörungskultur viele Dinge künstlich zu einem Skandal aufgeblasen werden. In meinen Augen geht es dabei oft in erster Linie um Aufmerksamkeit und nur sehr bedingt um die Sache selbst.
Von der Empörung würde ich gern auf die Trauer zu sprechen kommen. Wie schnell fließen bei Ihnen die Tränen?
Es gibt bei mir solche und solche Tage. Aber für mich sind Gefühle dafür da, um gefühlt zu werden. Manchmal kann mich ein Geruch oder ein Musikstück, das mich an etwas aus der Vergangenheit erinnert, komplett aus der Bahn werfen. Und das gar nicht mal, weil es mit einer negativen Erinnerung verknüpft ist, sondern einfach nur deshalb, weil es in der Vergangenheit liegt.
Demnach haben Sie ein Faible für Melancholie?
Oh ja, ab und zu liebe ich diese ganz besonderen, melancholischen Momente, in denen ich in meiner eigenen Vergangenheit krame. Ich liebe auch Flohmärkte, Museen oder leer stehende Häuser. Die ziehen mich magisch an. Herrlich! Aber irgendwie auch ein bisschen gruselig …
Sie sind kein Gruselfan?
Nein! Es gibt kaum etwas, was ich mehr hasse! Ich bin furchtbar schreckhaft. Bei mir kann man nicht einfach um die Ecke kommen – dann gehe ich sofort an die Decke. Meine Eltern wurden deshalb schon von mir als Kind instruiert, bitte zu schnipsen oder sich laut anzumelden, wenn sie einfach so in die Küche kamen oder in mein Kinderzimmer.
Fanden Ihre Eltern das lustig?
Mein Vater hat immer gesagt: „Wer soll denn hier sonst um die Ecke kommen, ich wohne doch auch hier!“ Aber angeschrien oder mit Gegenständen beworfen werden wollte auch keiner. Also wurde geschnipst und dabei gerufen: „Martina! Ich komme jetzt um die Ecke!“ Das ist bis heute so – ohne Witz. Da hab ich definitiv ein Ding weg!
Interview: Alexander Nebe