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„Ich saß im falschen Film“

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Thomas Gottschalk 1981 auf einer Gartenparty im Garten von unserem Autor Rainer Holbe in Luxemburg.
Thomas Gottschalk 1981 auf einer Gartenparty im Garten von unserem Autor Rainer Holbe in Luxemburg. © Rainer Holbe

In seiner Autobiografie „Herbstblond“ schwelgt Thomas Gottschalk in Kindheitserinnerungen und erzählt von dem Moment, in dem der TV-Titan sich plötzlich nutzlos fühlte.

Von Rainer Holbe

Wir sitzen im Berliner Restaurant „Borchardt“ und reden über alte Zeiten, über unseren gemeinsamen Freund Frank Elstner, der ihn einst vom Bayerischen Rundfunk abgeworben hat um ihm bei Radio Luxemburg die „Hitparade“ anzudienen. Doch so richtig heiter wird es an diesem Abend nicht. Thomas Gottschalk hat gerade die letzte Folge seiner ARD-Vorabendshow „Gottschalk“ moderiert, ein Format, das er selbst kreierte und mit dem er gnadenlos gescheitert ist. Eine neue Erfahrung für den erfolgsgewöhnten Show-Titanen. Gottschalk im Quotenloch erlebt die geballte Häme des Boulevards. „Als Retter wurde er empfangen, wie ein begossener Pudel schleicht er sich jetzt davon“, schreibt „Bild“. Im „Wort zum Sonntag“ erbarmt sich die Pfarrerin: „Was für eine Niederlage für den Meister seines Fachs!“ Ihr Trost: „Niederlagen hinterlassen eben Spuren. Aber am Ende kommt es aufs Weitergehen an.“

Tatsache scheint, dass ein großer Name allein kein Garant für den TV-Erfolg ist. Da muss vieles stimmen: Sendezeit, Themenauswahl, eine engagierte Redaktion, beeindruckende Gäste. Gottschalk und sein Team starben „von der Häme der Medien begleitet, innerhalb eines Jahres den Quotentod.“ So jedenfalls beschreibt er das Desaster in seiner Autobiografie „Herbstblond“. „Trotzdem habe ich in diesem Scheitern Erfahrungen gemacht, die ich nicht missen möchte“, notiert er weiter. „Als die Sendung bereits vom Hauch des Todes umweht wurde, machten sich einige Studiogäste, die bereits zugesagt hatten, schnell wieder aus dem Staub um nicht selbst infiziert zu werden.“

An diesem Abend in Berlin – Ehefrau Thea sitzt mit am Tisch – taucht zum ersten Mal die Idee von der Autobiografie auf, die jetzt geschrieben werden könnte. Gottschalk zögert, fühlt sich sichtlich unwohl im Angesicht eines Projektes, das zur Lebensbeichte ausarten könnte. Dass dieses Buch jetzt doch vorliegt, mag seinem 65. Geburtstag geschuldet sein, einem Jubiläum jener Art, das von den Medien ohnehin gerne aufgegriffen wird: „Gottschalk im Rentenalter!“ Auf 367 Seiten blättert er in „Herbstblond“ frohgemut und selbstironisch sein Leben auf, von der Kindheit in Kulmbach bis zu dem Tag, an dem er eigentlich in Rente gehen sollte. Gottschalk rechnet mit niemandem ab, noch nicht einmal mit Dieter Bohlen, dem er nach dem Untergang von „Gottschalk“ mit der „immer strahlenden Michelle Hunziker“ als Juror im „Supertalent“ an die Seite gestellt wurde. „Den kannte ich schon seit Jahren und fand ihn nie so schlimm, wie andere ihn machten“, erinnert sich Gottschalk. Doch dann muss er erkennen: „Mit starrem Blick auf die eigene Person unterwirft Bohlen alles dem Ziel, selbst gut auszusehen.“ Und: „Ich saß erkennbar im falschen Film.“ Dies erkannte auch die „Frankfurter Rundschau“: „Wie festgetackert sitzt er hinterm Pult und muss ein paar durchschnittlichen Hundetricks ein Lob abgewinnen.“

Thomas Gottschalk musste erkennen, dass sich „die berufliche Idylle, in der ich meine Erfolge feiern durfte“ erledigt hatte. Und „dass die Ära des Fernsehens, in der ich ganz vorne mitspielen durfte, vorbei ist.“ Als wachsamer Zeitgenosse konstatiert er, dass auch Helden eines Tages auf der Ofenbank sitzen müssen, wenn sie sich vorher nicht anderweitig vom Hof gemacht haben: „In meinen Augen wurde der TV-Titan nicht gestürzt, sondern er wird ganz einfach nicht mehr gebraucht.“

„Herbstblond“ folgt der Biografie seines Lebens, vom Kind schlesischer Flüchtlinge in der fränkischen Provinz bis zum Gast im „Weißen Haus“ und einem Abendessen mit dem Präsidenten, zu dem ihn die Kanzlerin mitgenommen hat. Gottschalk skizziert klug und amüsant die Zeitläufte, und man glaubt es ihm, dass er dafür keinen Ghostwriter bemüht hat. Besonders geglückt scheint mir die Beschreibung seiner ersten Jahre in Kulmbach: „Meine Kindheit war friedlich. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass meine Eltern sich jemals gestritten hätten.“

Er wuchs „in einer behüteten Sorglosigkeit auf“, bis er „mit zwölf Jahren hilfloser Zeuge eines zweijährigen Martyriums“ wurde. Der Vater litt an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Und als er im Sarg aus dem Haus getragen wurde, war Gottschalks heitere Kindheit auf brutale Weise zu Ende gegangen: „Meine Mutter hielt nicht mehr mich an der Hand, sondern ich hielt die Hand meiner Mutter.“

Die Szene gehört zu den wenigen im Buch, in dem Gottschalk einen Blick in sein Seelenleben gestattet. Nur bisweilen tauchen im ersten Teil Ehefrau Thea, der Bruder, die Schwester, die Söhne auf. Den fünf Jahre alten Enkel Jamie gibt es obendrein. Dafür erzählt Gottschalk ungeniert von seinen Scharmützeln mit den Häuptlingen öffentlicher und privater Sender. Und von Gunter Sachs und Udo Reiter, guten Freunden, die sich beide das Leben genommen haben.

Gottschalk ist ein dankbarer Mensch. Sein Domizil in Malibu, die Wohnungen am Prenzlauer Berg und in New York, die eigene Suite im „Bayerischen Hof“, noch heute streift dort auch der kleine Junge aus Kulmbach durch die Räume.

Ein Glückskind? „Das Glück, alt werden zu können, ohne etwas aufgeben zu müssen, gilt auch für viele andere meiner Generation. Und dass wir – glaube ich – die beste Zeit hatten, die es überhaupt für eine Generation in Deutschland je gegeben hat“, sagt er in dem Interview, das ich für mein Buch „Als die Mainzelmännchen laufen lernten“ mit ihm gemacht habe. „Ich habe alles durchgemacht. Und immer zu den besten Zeiten.“

Im Buch, aber auch im persönlichen Gespräch, ist das älter werden ein wiederkehrendes Thema. „Ich bin von meinem Gefühlsleben her etwa vierzig“, kokettiert Gottschalk. „Aber ich weigere mich, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich ein gereifter Mann bin. Bis ich in den Spiegel schaue oder einen Blick in den Kalender werfe.“

Im zweiten Teil wird die Biografie zu einer Liebeserklärung an Thea: „Das ‚Geheimnis unser Beziehung‘ sollte uns verschiedentlich entlockt werden, aber selbst wenn wir entgegenkommender gewesen wären: Wir kennen es selber nicht.“ Er sei ein Familienmensch, der versuche, seine Schäfchen nicht aus den Augen zu verlieren. Und er beruft sich dabei auf die letzten Worte seines sterbenden Vaters: „Haltet alle fest zusammen.“

Thomas und der liebe Gott. „Er ist mir immer nahe gewesen, und es gibt für mich keinerlei Grund daran zu zweifeln, dass es ihn gibt“, bekennt er im Gespräch. „In Ermangelung anderer sinnvoller Maßstäbe halte ich die christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe aus dem katholischen Katechismus durchaus als Maßstab für eine Gewissenserforschung geeignet.“ Über seine Wahlheimat Kalifornien schreibt er: „Die amerikanischen Politiker haben zwar die Glücksfindung ihrer Bürger in die Verfassung aufgenommen, aber sie sind bei der Suche danach wenig hilfreich.“

Für die Autobiografie gibt es eine Vermarktungsstrategie, zu der ein Vorabdruck in der Boulevardzeitung ebenso gehören wie das Bühnenprogramm „Ein Abend mit Thomas Gottschalk – Live und ungeschminkt“. Ein RTL-Kamerateam besucht ihn in seinem kalifornischen Domizil. Ungewöhnlich, heißt es doch im Buch: „Privates Glück schließt für mich Öffentlichkeit aus. Deshalb habe ich immer abgewinkt, wenn man mich aufgefordert hat, die Tür zu meinem Haus zu öffnen, um den Rest der Welt an diesem Glück teilhaben zu lassen.“

Doch ein Buch – so die simple Erkenntnis – muss auch verkauft werden. Immerhin hat ihm der Schriftsteller Botho Strauß ein Zitat für den Klappentext gewidmet: „Er – Gottschalk – wird zum stoff- und nuancenreichen Erzähler seines nicht ganz gewöhnlichen Lebens.“ Na denn, Thomas, Gratulation zu einem großen Wurf.

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