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„Ich brauchte lange, um ich selbst zu sein“

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Von: Dagmar Leischow

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„Tatsächlich schlüpfte ich lange g imago images
„Tatsächlich schlüpfte ich lange gern in diese Rolle, die Serge für mich erschaffen hatte.“ Jane Birkin 2021 in Cannes. imago images © Imago

Die Sängerin und Schauspielerin Jane Birkin über frühe Erfolge als Serge Gainsburgs Püppchen, ihre späte Emanzipation im Film – und warum sie dem Älterwerden nicht nur Gutes abgewinnt.

Jane Birkin hat sich in einem alteingesessenen Hotel an Hamburgs Binnenalster eingemietet. In einer Suite sitzt sie an einem langen Tisch. Die gebürtige Engländerin, die seit Ende der Sechzigerjahre in Frankreich lebt, trägt einen dunklen Blazer, sie ist kaum geschminkt, ihr Haar fällt sanft gewellt über ihre Schultern. Obwohl die 76-Jährige etwas erschöpft wirkt – es ist nicht ihr erstes Interview an diesem Tag –, erzählt sie ungemein lebendig.

Madame Birkin, wie geht es Ihnen vor einem Konzert?

Ich bin immer ein bisschen nervös und habe Angst, dass ich meine Stimme verlieren könnte. Auf der anderen Seite weiß ich um die Qualität meiner Musik – seien es die Lieder meines letzten Albums „Oh! Pardons tu dormais ...“ oder die älteren Songs. Wenn ich mit Stücken wie „Cigarettes“ oder „Ghosts“ an die Verstorbenen erinnere, fühlt sich vielleicht jemand im Publikum nicht mehr so allein. Auch „Pourquoi“ bewegt die Zuschauer:innen.

Ein Lied, in dem Sie fragen, warum es eigentlich immer zu spät ist, „Ich liebe Dich“ zu sagen ...

Diesen Titel habe ich für meine Tochter Charlotte Gainsbourg geschrieben, nachdem sie bei einem Wasserski-Unfall eine Gehirnblutung erlitten hatte. Inzwischen weiß ich: Man sollte ein Liebesbekenntnis nicht unnötig hinauszögern. Zum Glück hat die jüngere Generation das längst erkannt. Junge Menschen sagen ständig: „Ich liebe dich.“ Sie gehen liebevoll miteinander um und verschicken in ihren Textnachrichten Herzen. So zeigen sie ihre Zuneigung ganz offen, ohne Zeit zu verlieren.

Hätten Sie mehr Menschen Ihre Liebe eingestehen sollen?

Ich bin sehr englisch. Sprich: Ich habe Angst, meine Gefühle zu offensichtlich zur Schau zu stellen. Die Worte „Ich liebe dich“ sind für mich irgendwie mit Scham behaftet. Das liegt gewiss an meiner Erziehung. In England wurde mir als Kind gepredigt, dass man sich in der Öffentlichkeit weder küsst noch Händchen hält. Wenn jemand gegen diese Regel verstoßen hat, war ich schockiert. Im Grunde genommen war ich aber nur eifersüchtig. Denn eigentlich ist es ja etwas Schönes, sich zu seiner Liebe zu bekennen. Ich bereue es, dass ich meiner Mutter und meinem Vater nie gesagt habe, wie sehr ich sie liebe. Doch ich denke, sie haben meine Zuneigung trotzdem gespürt.

Wollen Sie nun bei Ihren Enkelkindern einiges besser machen?

Als Großmutter habe ich gute Erfahrungen gesammelt. Mein ältester Enkel ist 35 und eher wie ein Sohn für mich. Seitdem seine Mutter Kate Barry gestorben ist, kümmere ich mich intensiv um ihn. Er begleitet mich häufig. Manchmal kommen auch meine jüngeren Enkelkinder zu meinen Konzerten. Sie gehen allerdings noch zur Schule und können nicht einfach dem Unterricht fernbleiben. Meine Tochter Lou Doillon hat jetzt ein wenige Monate altes Baby – ich möchte auf keinen Fall versäumen, wie es aufwächst. Bloß bin ich eine Großmutter, die viel unterwegs ist. Das ist für meine Kinder und Enkelkinder nicht immer leicht...

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, Ihrer Familie zuliebe in den Ruhestand zu gehen?

Nein. Meine Auftritte sind ja gar nicht das Problem. Ich muss lediglich darauf achten, dass mein Terminkalender darüber hinaus nicht zu voll ist.

Zur Person

Jane Birkin, 76, wurde in London geboren und lebt seit Ende der 60er Jahre in Frankreich. Zunächst arbeitete sie als Schauspielerin, bevor sie in den 70er Jahren vor allem als Sängerin mit ihrem Partner Serge Gainsbourg erfolgreich war. Über die Filme ihres dritten Mannes, Regisseur Jacques Doillon, gelang es ihr, sich von ihrem Lolita-Image zu lösen und als Charakterdarstellerin zu etablieren. Ihre Töchter Charlotte Gainsbourg (51) und Lou Doillon (40) sind ebenfalls international erfolgreiche Künstlerinnen. boh

Verdanken Sie diese Erkenntnis dem Älterwerden?

Offen gestanden bringt das Älterwerden überhaupt keine Vorteile mit sich. Ich wache morgens auf und mein gesamter Körper tut mir meistens weh. Oft wünsche ich mir, ich könnte ohne Schmerzen aufstehen. Ach, ich sollte aufhören, mich zu beklagen! Nichts ist schlimmer als Menschen, die dauernd jammern. Ich habe mich eine Zeit lang um einen Mann gekümmert, der nach einem Unfall im Rollstuhl saß. Er erklärte mir: „Wer ein Handicap hat, tut gut daran, dennoch fröhlich zu sein. Einen schlecht gelaunten Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung mag nämlich niemand besuchen.“ Das gilt genauso für ältere Menschen. Wenn man immer nur unzufrieden ist, wirkt das wenig anziehend.

Als junge Frau haben Sie alle Blicke auf sich gezogen. Sie sagten später: „Serge Gainsbourg war das Genie, ich sah einfach gut aus.“

Ich war hübsch und hatte Witz. Die Fernsehsender sahen in mir vor allem diese wunderschöne Puppe, die die Songs sang, die Serge Gainsbourg für sie geschrieben hatte. Es dauerte Jahre, bis ich mich von diesem Image befreit hatte. Mit fast 40 ließ ich mir die Haare abschneiden, ich verzichtete auf Make-up und gab mein erstes Konzert im Bataclan. Parallel dazu drehte Jacques Doillon mit mir den Film „Kleines Luder“. Er wollte mich rau und ungeschminkt vor der Kamera haben. Auch für ihn wollte ich perfekt sein. Ich brauchte wirklich lange, um mich von den Erwartungen anderer zu lösen und ganz ich selbst zu sein.

Zuvor gaben Sie sich zuweilen recht freizügig. War das eine Herausforderung für Sie?

Nein. Ich hatte wirklich Spaß daran, Nacktfotos zu machen oder mit Serge „Je t’aime ... moi non plus“ aufzunehmen. Tatsächlich schlüpfte ich ziemlich lange gern in diese Rolle, die Serge für mich erschaffen hatte: Ich verkörperte sein Ideal eines hübschen Mädchens. Später empfand ich es jedoch als Geschenk, Filme mit Agnès Varda, Jacques Doillon oder Jacques Rivettes machen zu dürfen. Die Zusammenarbeit mit ihnen erlaubte es mir, mich zu verändern und eine völlig andere künstlerische Seite auszuleben.

In Frankreich gelang Ihnen der berufliche Durchbruch, Sie leben seit Ende der Sechzigerjahre dort. Fühlen Sie sich eher französisch als englisch?

In Frankreich fühle ich mich englisch, in England französisch. Es gefällt mir, nirgends so richtig dazuzugehören. Ich bin gern eine Fremde.

Und würden Sie sagen, Sie sind eine Feministin?

Ich weiß nicht genau, was dieser Terminus bedeutet. Sollten Frauen das Gleiche wie Männer verdienen? Natürlich! Trete ich für die Rechte der Frauen ein? Ja! Ich bin immer für Frauen aufgestanden, die Probleme haben. Es ist mir wichtig, mich mit ihnen zu solidarisieren.

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