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Hungern für den Heiland

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Von: Johannes Dieterich

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Zwei Geistliche der Kaya-Giriama warten darauf, abgeholt zu werden, um die Massengräber im Wald bei Shakahola zu besichtigen.
Zwei Geistliche der Kaya-Giriama warten darauf, abgeholt zu werden, um die Massengräber im Wald bei Shakahola zu besichtigen. Y. CHIBA/AFP © Y. CHIBA/AFP

In Kenia verspricht ein selbsternannter Prophet all jenen einen Platz im Himmel, die konsequent fasten. In den Siedlungen der Gemeinschaft findet die Polizei täglich weitere Massengräber.

Sie nennt sich „Good News International Church“ – doch die Nachrichten, für die die kenianische Kirche derzeit sorgt, sind alles andere als gut. Auf Geheiß ihres Gründers haben sich in jüngster Zeit vermutlich weit über 100 Schäfchen zu Tode gehungert, darunter zahlreiche Kinder. Auf diese Weise würden sie „Jesus treffen“, hatte ihnen Paul Mackenzie Nthenge versprochen. In einem Waldstück nahe des Küstenstädtchens Malindi machte die Polizei bereits 89 meist in flachen Massengräbern bestattete Leichen aus. Weil in dem Städtchen mehr als 200 Menschen als vermisst gelten, wird die Zahl der Opfer vermutlich noch weiter steigen.

Seit mehreren Tagen durchkämmen in weiße Schutzanzüge gekleidete Kriminalbeamtinnen und -beamte den Shakahola-Wald nahe dem Touristenstädtchen Malindi. Auf dem gut 300 Hektar großen Gelände unterhielten die Kirchenmitglieder drei kleine Siedlungen namens Nazareth, Bethlehem und Judäa. Die Hütten sind inzwischen verlassen, dafür sind in den Boden gesteckte Holzkreuze zu sehen. Jedes kennzeichnet ein Grab, in denen bis zu sechs Leichen bestattet wurden. Aus einem der Gräber bargen die Ermittler:innen die Überreste einer fünfköpfigen Familie, der beiden Eltern und dreier Kinder. Bis Dienstagmorgen wurden 14 Massengräber identifiziert, dabei haben die Polizeikräfte kaum die Hälfte des Shakahola-Waldes durchkämmt. Malindis Leichenschauhaus ist schon jetzt völlig überfüllt.

Außer auf Leichen stieß die Polizei auch auf mehr als zwei Dutzend noch lebender aber ausgemergelter Sektenmitglieder: Sie hätten sich selbst nach ihrer „Befreiung“ noch geweigert, Nahrung zu sich zu nehmen, hieß es. Stattdessen hätten sie die Rettungskräfte als Ungläubige beschimpft. Im Krankenhaus sind inzwischen vier der 29 Überlebenden gestorben. Berichten kooperationswilliger Mitglieder der Sekte zufolge kündigte Nthenge die unmittelbar bevorstehende Wiederkehr Christi an: Wer sich durch striktes Fasten darauf vorbereite, dem sei ein Platz im Himmel sicher.

Der Polizei war der zum Propheten mutierte Taxifahrer nicht unbekannt. Erstmals wurde der „Evangelist“ vor sechs Jahren unter dem Vorwurf der Radikalisierung verhaftet, nachdem er die Bevölkerung dazu aufgerufen hatte, ihre Kinder aus der Schule zu nehmen. Bibel und Bildung seien nicht zu vereinbaren, so Nthenge. Im vergangenen Monat wurde er erneut verhaftet – im Zusammenhang mit dem Tod zweier Kinder. Der Kirchengründer kam nach Zahlung einer Kaution wieder frei. Das Verfahren ist noch anhängig.

Dem „Massaker im Shakahola Wald“, wie die kenianische Presse die Tragödie nennt, war die lokale Menschenrechtsgruppe „Haki Africa“ nach einem anonymen Hinweis auf die Spur gekommen. Deren Geschäftsführer Hussein Khalif forderte die Polizei jetzt auf, mehr Personal in den Wald zu senden: „Jeder Tag, der vergeht, könnte weitere Opfer kosten.“ Die vergangenen vier Tage seien die schlimmsten seines Lebens gewesen, so Khalif: „Nichts bereitet dich auf den Anblick eines Massengrabs mit Kindern vor.“

Der Skandal sorgt inzwischen auch in Regierungskreisen für Aufregung. Es sei „erstaunlich“, wie ein Verbrechen derartigen Ausmaßes so langte unbemerkt bleiben konnte, sagte der Sprecher des kenianischen Oberhauses, Amason King. Staatspräsident William Ruto verglich das Massaker mit einem „Terroranschlag“ und kündigte ein scharfes Vorgehen gegen „nicht akzeptable religiöse Bewegungen an“. Ruto ist der erste evangelikale Christ im kenianischen Präsidentenamt: Im Wahlkampf machte er aus seinem Glauben kein Geheimnis und betete wiederholt in der Öffentlichkeit. Religionssoziolog:innen zufolge ist Kenia – wie die meisten afrikanischen Staaten – ein zutiefst religiöses und zu 85 Prozent christliches Land, in dem vor allem in schwierigen Zeit wie gegenwärtig Propheten und neue Kirchen wie Pilze aus dem Boden schießen.

Mackenzie Nthenge hat sich übrigens der Polizei gestellt. Seit seiner Verhaftung am Wochenende soll er keine Nahrung mehr zu sich genommen haben.

Insgesamt 29 Überlebende wurden in der Siedlung im Wald gefunden, vier von ihnen sollen in der Zwischenzeit gestorben sein.
Insgesamt 29 Überlebende wurden in der Siedlung im Wald gefunden, vier von ihnen sollen in der Zwischenzeit gestorben sein. Y. CHIBA/AFP © Y. CHIBA/AFP

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