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"Es war die Hölle"

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Roger Daltrey, Szene aus dem Dokumentarfilm "Woodstock - Three Days Of Love And Music"
Roger Daltrey, Szene aus dem Dokumentarfilm "Woodstock - Three Days Of Love And Music" © Verleih

Zwei Interviews - zwei gegensätzliche Meinungen: Gitarrist Pete Townshend und Sänger Roger Daltrey von "The Who" erzählen Martin Scholz von ihren ganz persönlichen Erinnerungen an Woodstock.

Der Gitarrist

Mr. Townshend, Sie waren einer der großen Stars von Woodstock und haben nie aufgehört, über das Festival zu lästern. Was genau hat Sie gestört?

Ich habe jede Minute von Woodstock gehasst, die ganze heuchlerische Veranstaltung. Ich mag ohnehin keine Mega-Musik-Events mehr. Warum sollten wir uns zu Hunderttausenden im Schlamm wälzen, außer, um uns darauf vorzubereiten, dass so etwas ein Dauerzustand sein könnte, wenn es mit der Überbevölkerung so weitergeht.

Warum haben Sie dann überhaupt mitgemacht?

Ich habe mich breitschlagen lassen. The Who hatten damals gerade eine sehr lange Tournee hinter sich, alle waren ausgelaugt. Ich wollte eigentlich nur zurück zu meiner Frau Karen, die gerade unser Baby, meine Tochter Emma, bekommen hatte. Dann haben mich die Woodstockorganisatoren stundenlang in einem New Yorker Hotelzimmer bequatscht und nicht eher rausgelassen, bis ich schließlich zusagte. Sie ließen meine Frau, unser Baby und mich im Hubschrauber auf das Festivalgelände einfliegen. Da standen wir dann mit unserem kleinen Baby im Korb - mitten in der Hölle.

Ist das jetzt nicht ein bisschen übertrieben?

Nein. Wir waren von absolutem Chaos umgeben. Alles schien auseinanderzufallen. Überall um uns herum nur Verrückte. Richie Havens war auf einem nicht endenden Trip - er schüttelte mir abwesend die Hand und wollte sie gar nicht mehr loslassen. Sly and the Family Stone fuhren wie die Mafia vor. In einer Limousine kam die Band, eine andere war bis unter das Dach vollgestopft mit Kokain, in riesigen Säcken. Und überall standen dumme amerikanische Kids herum und strahlten: "Davon haben wir die ganze Zeit geträumt. Peace and Love Man." Fuck them!

Das regt Sie noch immer ganz schön auf.

Ich habe mir nur die ganze Zeit um meine Frau und mein Baby Sorgen gemacht. Ich war in ständiger Alarmbereitschaft. Am Ende wollte ich das Ganze einfach nur noch durchziehen und dann wieder abhauen.

Dann mussten Sie sich auf der Bühne mit Abbie Hoffman, dem Kriegsgegner und Gründer der Jugendpartei der Yippies, herumschlagen. Der wollte mitten in Ihrem Set eine Rede halten - Sie haben das Ganze auf einer CD-Box dokumentiert.

Er war einfach so ans Mikro gegangen, als ich gerade "Acid Queen" singen wollte. Und dann hielt er eine Rede: "Das ist alles Scheiße hier. Ihr sitzt hier, redet von Love und Peace und zieht euch die Drogen rein, während John Sinclair wegen eines lausigen Joints im Gefängnis sitzt."

Der dichtende Aktivist und Mitbegründer der White Panther-Partei, der wegen zwei Joints zu einer zehn jährigen Haftstrafe verurteilt worden war...

Ja. Hoffman wollte die Zuschauer aufrütteln: "Wir müssen protestieren und kämpfen", sagte er.

Damit war er ja gar nicht so weit von Ihrer Haltung zu dem ganzen Spektakel entfernt, oder?

Nein, er hatte absolut Recht. Die Leute beim Woodstock-Festival waren ein Haufen Heuchler, Typen, die meinten, eine kosmische Revolution ausrufen zu können, nur weil sie ein großes Feld eingenommen hatten, dabei ein paar Zäune niedergerissen hatten, schlechtes Acid nahmen und dann versuchten wieder abzuhauen - ohne Geld für die Bands zu zahlen. Ich war an dem Tag sehr gereizt und als Hoffman da plötzlich vor meinem Mikro stand, hab ich ihn einfach nur angeschnauzt, dass er sich schleunigst verpissen sollte. Das war keine Glanzleistung von mir. Er saß dann die ganze Zeit beleidigt am Bühnenrand. Erst später habe ich mitbekommen, dass diese öffentliche Demütigung seiner politischen Glaubwürdigkeit sehr geschadet hat.

Sie hätten sich ja entschuldigen können.

Hab’ ich auch, gleich nachdem ich meinen Song beendet hatte. Als dann später noch ein Kameramann ständig um mich herumschwirrte, brannte mir die Sicherung durch - ich habe ihn in den Graben vor der Bühne gekickt.

Wir haben´s begriffen: Während der Rest der Welt Woodstock seit Jahren als Keimzelle der Festivalkultur feiert, fanden Sie es einfach entsetzlich.

Mit Love and Peace hatte all das jedenfalls gar nichts zu tun. Davon mal abgesehen hatten The Who mit Flower Power eh nie etwas am Hut.

In Ihrem Hörspiel "Psychoderelict" lassen Sie den Protagonisten, den alternden Rockstar Ray High, die große Frage stellen: "What happened to the dream to all that lovely hippie shit."

Ja, aber das sagt Ray High, er ist ein verdammter Idiot, ein alter Rockstar, der seinen Idealen nachtrauert. Es stimmt zwar, dass ich in dieser Figur viel aus meinem Leben verarbeitet habe - aber ich bin nicht Ray High. Nur haben das all die Journalisten mal wieder nicht verstanden. The Who haben nie den Hippieträumen nachgehangen.

Der Sänger

Mr. Daltrey, Woodstock wird in immer wiederkehrenden Erinnerungszyklen als Mutter aller Festivals beschworen. Welche Bedeutung hat das Open-Air-Happening für Sie?

Die Bedeutung von Woodstock ist heute sehr nebulös. In all den Rückschauen werden oft die außergewöhnlichen Auftritte der Musiker an diesen drei Tagen hervorgehoben. Woodstock war mehr als nur ein Pop-Festival. Diese Zuschauermassen hätten den Ruhm mehr als wir Musiker verdient gehabt. Viele von ihnen waren verunsichert, weil sie damit rechnen mussten, demnächst in einer Uniform nach Vietnam geschickt zu werden. Woodstock gab ihnen plötzlich ein gewaltiges Forum, brachte sie zusammen. Der Rest der Welt konnte sehen - da kam eine halbe Million Menschen auf einem Acker zusammen, von denen viele ein Ziel hatten: "Love, Peace and fuck the Vietnam war."

War Woodstock wirklich so politisch?

Für mich war es ein politisches Happening. Die Politiker haben diesen Protest damals sehr wohl registriert. Das wird heute oft vergessen. Nach Woodstock fingen die Politiker an, die Jugendbewegung ernst zu nehmen. Wir Musiker waren nur das Sahnehäubchen auf dem Kuchen. Sicher, wir waren der Magnet, der all diese Leute anzog, und zwar so viele von ihnen, dass es zu einem weltweiten Ereignis wurde. Aber im Kern ging es um etwas anderes. Und diese politisch aufgeladene Atmosphäre war damals überall in Amerika zu spüren.

Weil sich in den Protest gegen diesen Krieg eben auch die konkrete Angst mischte, selbst daran teilnehmen zu müssen?

Ja. Das Festival fand in einer Zeit der Mobilmachung statt. Unter den Zuschauern waren viele 17- und 18-Jährige, die später tatsächlich nach Vietnam geschickt wurden. Das war mehr als ein Hippie-Picknick und Spaß-Gesellschaft.

Ihr Kollege Pete Townshend sieht das ganz anders als Sie: Er spricht von einer heuchlerischen Veranstaltung.

Ich weiß. Pete hat aus seiner Abneigung zu Woodstock nie einen Hehl gemacht. Er hat sogar im Booklet einer Who-CD-Box darüber geschrieben, wie er sich über den Polit-Aktivisten Abbie Hoffman aufgeregt hatte, als er während unseres Konzertes auf die Bühne stürmte, um eine Rede zu halten. Diese nachträgliche Lästerei hätte Pete sich schenken können. Es war sehr einfach für einen überbezahlten Pop-Star aus der britischen Mittelklasse, sich abfällig über amerikanische Aktivisten zu äußern. Wenn Pete damals ein gewöhnlicher US-amerikanischer Staatsbürger gewesen wäre, hätte er gute Aussichten gehabt, nicht nur mit seiner Gitarre durch die Luft zu fliegen, sondern in einem Flugzeug nach Vietnam.

Sie hätten Hoffman also Redefreiheit gewährt und ihn nicht von der Bühne gejagt?

Doch. Ich hätte ihn auch weggejagt. Denn niemand rennt verdammt noch mal einfach so auf die Bühne, wenn The Who dort gerade spielen. Wo kommen wir denn da hin? Das hat mich ebenso wie Pete erzürnt, aber nicht das, was Hoffman zu sagen hatte. Er hätte ja warten können, bis wir fertig waren.

Gibt es für Sie einen Woodstock-Moment, der alle anderen Erinnerungen überstrahlt? Für Townshend war es ja wohl die reine Hölle.

Aber mit einem tollen Sonnenuntergang. Ich sehe das noch genau vor mir: Kaum hatte ich die Worte "See me, feel me" gesungen, da breitete sich diese riesige, gewaltige August-Sonne am Horizont aus, ergoss sich quasi über die Menschenmenge. Eine solche Light-Show ist durch nichts zu übertreffen.

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