Heiraten wie in Hollywood

In Japan ist das Christentum eine Randerscheinung. Hochzeiten finden jedoch meist in der Kirche statt – oder einem Gebäude, das so aussieht. FR-Autor Felix Lill über Traditionen in einer Gesellschaft, in der Religion eher Folklore ist.
Riko Yamasaki träumt davon, eines Tages den Segen eines Pastors zu erhalten. Wenn sie erst den richtigen Mann gefunden habe, wolle sie christlich heiraten. Zumindest so, wie sie es für christlich hält. Sie hat eine genaue Vorstellung, wie das aussehen soll und muss lachen, wenn sie es sich ausmalt: „Eine fröhliche, großzügige Festlichkeit habe ich vor Augen. Ich will ganz viele Freunde einladen. Und es soll viel glänzen und glitzern! So eine Hochzeitsfeier will ich für mich!“
Nicht nur für Riko Yamasaki gehört eine romantische Hochzeit in eine Kirche. Die junge Japanerin, die derzeit noch Single ist, hat vor zwei Jahren die Feier ihrer Schwester organisiert. „Hier in dieser Kirche war das!“ Die Frau im dunkelblauen Hosenanzug breitet ihre Arme aus, als wäre sie hier zuhause. Ihren Traum von einer bilderbuchartigen Hochzeit hat Riko Yamasaki zum Beruf gemacht, sie ist Hochzeitsplanerin beim Unternehmen Escrit in Tokio. Für Feiern wie die ihrer Schwester besitzt Yamasakis Arbeitgeber mehrere Kirchen. Oder besser gesagt: Gebäude, die wie Kirchen aussehen.
Am Kopfende des Kirchenschiffs prangt ein großes Kruzifix, in der Mitte sind Holzbänke. Aber auch wenn dieser Bau den Namen Minami Aoyama Santa Chiara Kyoukai trägt – Santa Chiara-Kirche von Süd-Aoyama – um eine Kirche handelt es sich nicht. Errichtet wurde das Gebäude 2010 im Shoppingviertel Aoyama im Zentrum von Tokio. Und auch dieses Bauwerk ist eher dem Konsum gewidmet – einen Gottesdienst hat es hier noch nie gegeben, denn es ist ein „kekkonshikijo“ – eine „Hochzeitsfeierräumlichkeit.“
Diese Pseudokirche ist eines von vielen bemerkenswerten Beispielen für das Verhältnis der japanischen Gesellschaft zur Religion. In Umfragen geben zwar rund 70 Prozent der Menschen an, sich der polytheistischen Urreligion Shinto zugehörig zu führen. Ungefähr ebenso viele folgen den Ritualen des Buddhismus. Hyperreligiös ist das Land aber nicht. Die große Mehrheit in Japan sieht die Sache mit dem Glauben pragmatisch.
Bei den landesweit allgegenwärtigen Schreinen des Shinto wirft man Münzen und richtet Wünsche an die Götter. Bei buddhistischen Tempeln kauft man sich kleine Zettel, die einem vermeintlich die Zukunft vorhersagen. Fragt man aber Menschen in Japan, ob sie daran wirklich glauben, ist die Antwort meist Achselzucken. Es sei eher Tradition, und es schade ja nicht. „Ich glaube ja nicht an Gott wie die Christen“, heißt es dann oft. Aber man konsumiert das Christentum gern.
Kirchenartig aufgemachte Eventhallen wie die „Minami Aoyama Santa Chiara Kyoukai“ sind seit Jahrzehnten die Cashcows im Hochzeitsgeschäft. „In Japan machen heute noch rund 15 Prozent der Paare die traditionelle Shinto-Hochzeit im Kimono“, erklärt Ryuichi Tsubakimoto, ein smarter Typ im schwarzen Anzug. Der Manager bei Escrit kennt die Daten genau: „Die Hälfte aller Feiern findet in so einem Kirchengebäude statt. Das ist heute der Standard.“
Persönlich haben auch Riko Yamasaki und Ryuichi Tsubakimoto nichts mit dem Christentum zu tun. Insgesamt rund drei Prozent der Bevölkerung in Japan sind Christinnen und Christen. „Viele Menschen wollen eine Hochzeitsfeier wie im Hollywoodfilmen“, erklärt Yamasaki. „Die Bilder sind so romantisch. Man bewundert einfach die Schönheit.“
Der Rituale anderer Religionen bedient man sich in Japan immer wieder wie aus einem Baukastensystem. „Für die meisten Leute, ungefähr 70 Prozent der Bevölkerung, ergibt sich im Alltagsleben eine Art Arbeitsteilung der Religionen“, sagt Hans Martin Krämer. Der Japanologie-Professor und Religionsexperte der Universität Heidelberg beobachtet dies vor allem bei wichtigen Übergangsriten im Leben.
Beerdigungen werden etwa meist nach buddhistischen Ritualen organisiert. Und nach der Geburt bringt man Kinder zu einem Schrein des Shinto. Während Buddhismus und Shinto aber kulturell wesentlich tiefer verankert sind, hat das Christentum erst im vergangenen Jahrhundert an Einfluss gewonnen – und zwar eher popkulturell. Neben christlichen Hochzeiten feiern viele Menschen in Japan ein christliches Weihnachtsfest, wenn auch eher mit dem Partner oder der Partnerin als mit der Familie.
„Der Anteil von Hollywoodkitsch ist kaum zu gering zu veranschlagen, gerade was diesen Weihnachtskitsch angeht“, sagt Krämer und muss lachen. „Aber das Wissen über das Christentum ist in Japan doch recht ausgeprägt. Die Bibel wird nicht vor allem als Glaubensdokument gelesen, sondern als Kulturerzeugnis.“ Als gebildeter Mensch in Japan wisse man in etwa, was in der Bibel steht.
Und so wirkt es weltgewandt und gebildet, in einer Pseudokirche zu heiraten. Das betont auch der Manager Ryuichi Tsubakimoto. Er geht zum Altar und blättert in einem aufgeschlagenen Buch, in dem einige Bibelverse in mehreren Sprachen geschrieben stehen. „Der Pastor, den wir für die Hochzeitsfeiern arrangieren, kommt von einer Kirche im Tokioter Stadtteil Ikebukuro. Der ist recht bekannt.“ Offenbar als Qualitätsausweis fügt Tsubakimoto flüsternd hinzu: „Er ist Italiener.“
Daraufhin betont Riko Yamasaki, dass der Pastor zwar auf Japanisch spreche, aber immer wieder auch einige englische Begriffe verwende. Die meisten Kundinnen und Kunden wünschten das so. „Gerade weil der Pastor Italiener ist, wäre es doch schade, das auszublenden.“ Der Pastor spreche ein etwas gebrochenes Japanisch. „Die Hochzeitspaare bewundern diesen Mix. Und sie freuen sich jedes Mal, wenn ihnen auf Englisch dann „Congratulations“ gesagt wird.“
Wobei die christlichen Hochzeiten womöglich ihren Zenit erreicht haben. Satoko Fujita, die bei Escrit für PR-Angelegenheiten verantwortlich ist, sitzt auf einer der Holzbänke in der Kirche und blickt zum Kruzifix. „In den vergangenen Jahren haben die Hochzeitsfeiern insgesamt abgenommen, weil mehr Menschen Single bleiben.“ Zudem wird es beliebter, individuell zu feiern. Im Trend sind etwa Hochzeitsgesellschaften in den Bergen, oder im Baseballstadion.
Allerdings wird sich mit Hochzeiten im pseudo-christlichen Stil wohl noch einige Jahre gutes Geld verdienen lassen – nach wie vor ist es die mit Abstand beliebteste Art zu heiraten. Für die nahe Zukunft überlegt man bei Esprit, seine Dienste auch in anderen asiatischen Ländern anzubieten. Man wolle es besonders in Ländern versuchen, wo man das Christentum vor allem durch Hollywood kennt.