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Die heilige Geldmaschine

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Von: Sebastian Borger

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Ein seltener Anblick: Stonehenge, menschenleer.
Ein seltener Anblick: Stonehenge, menschenleer. © imago

Zur Sommersonnenwende am 21. Juni versammeln sich Tausende in Stonehenge zu kultischen Ritualen. Die übrige Zeit des Jahres streiten die Briten über hohe Eintrittspreise.

Die Museumsbehörde English Heritage rät Besuchern des Steinkreises ganz sachlich    zu festem Schuhwerk, einem kleinen Regenschirm (große sind verboten) sowie warmer Kleidung. Schließlich werden die Nächte auf der Hochebene der südenglischen Grafschaft Wiltshire auch im Juni gelegentlich empfindlich kalt. Regenjacken in Signalfarben sind allerdings unerwünscht, denn sie „könnten die Rettungskräfte verwirren“. Auch Hunde, Glasflaschen und große Rucksäcke sind verboten. Dafür gibt es die ganze Nacht über warmes Essen sowie Tee und Kaffee.

Es ist also alles bereit für die Sommersonnenwende am berühmten Steinmonument von Stonehenge, das die Unesco zum Weltkulturerbe zählt. Wie in den vergangenen Jahren dürften sich auch diesmal wieder Tausende von Esoterikern und Druiden versammeln. Dafür gibt es zwei Gründe, einen profanen und einen spirituellen: Mit der Wintersonnenwende gehört dieser Donnerstag zu den einzigen beiden Tagen im Jahr, an denen Stein-Begeisterte keinen Eintritt bezahlen müssen. Und zum einzigen Mal im Jahr erreicht die Sonne die Mitte des Steinkreises. Wenn sie denn zur avisierten Zeit von 4.52 Uhr überhaupt scheint, die Vorhersage ist diesbezüglich etwas vage.

Was Stonehenge betrifft, befinden sich die Wetterfrösche damit in guter Gesellschaft. Schöne Ideen, wenig Klarheit – so lassen sich die wissenschaftlichen Darstellungen all jener zusammenfassen, die im Lauf der vergangenen Jahrhunderte die Funktion der mysteriösen, tonnenschweren Blausteine aus den walisischen Preseli-Bergen im 200 Kilometer entfernten Pembrokeshire zu ergründen versuchten.

Stonehenge sei eine Heil- und Pflegeanstalt für leidende Urmenschen gewesen, glauben die einen, während die anderen eher theologischen Theorien anhängen. Handelte es sich um ein urzeitliches Observatorium? Oder war der vielleicht berühmteste prähistorische Steinzirkel am Ende doch eine Grabstätte für die Schönen und Reichen der Jungsteinzeit? Rätsel über Rätsel. 4500 bis 5000 Jahre alt sind die Felsbrocken, viel präziser geht es nicht. Das ist ja dank modernster wissenschaftlicher Methoden immerhin schon ziemlich genau. Aber es bleibt nun einmal dabei: Wer sich mit Stonehenge beschäftigt, bewegt sich rasch im Ungefähren und Mystischen.

In der Zeitrechnung von Archäologen und Steinkreis-Enthusiasten sind ein paar Jahrzehnte also eine lächerlich geringe Zeitspanne. So lange wird nun schon darüber diskutiert, wie das Weltkulturerbe am besten für die Nachwelt erhalten werden kann. Ein wichtiges Problem stellt dabei die vielbefahrene Landstraße A303 dar, die eine aus London führende Autobahn mit einer anderen im Südwesten der Insel verbindet. Tag und Nacht donnert der Schwerverkehr am Steinkreis vorbei, Denkmalschützern ist das seit Langem ein Dorn im Auge.

Nun hat Highways England, die zuständige Behörde, einen ambitionierten Plan vorgelegt: Ein knapp drei Kilometer langer, vierspuriger Tunnel, Teil eines 1,8 Milliarden Euro teuren Faceliftings für die A303, soll ab 2026 den Verkehr vom Nationalheiligtum wegführen. Diese Planung sei „erheblich mängelbehaftet“, der Tunnel zu kurz, finden hingegen die Gutachter des britischen Unesco-Komitees, befürchten negative Auswirkungen der Bauarbeiten auf andere Ausgrabungsstätten rund um Stonehenge.

Einen ganz anderen Einwand erhebt Sir Simon Jenkins, 75, der als früherer Times-Chefredakteur sowie Vorsitzender des für Denkmalpflege und Naturschutz eintretenden National Trust selbst so etwas wie ein Nationalheiligtum darstellt. Normale Briten, so der umtriebige Journalist, könnten den Steinkreis am besten von dort aus genießen, wo sie sich ohnehin gern aufhielten, nämlich im eigenen Auto. „Die Steine sehen aus einiger Distanz großartig aus. Ein flüchtiger Blick reicht aus, nähere Inspektion ist gar nicht nötig“, lautet Jenkins‘ verblüffende Argumentation. Da die Verlegung der A303 in einen Tunnel Hunderttausenden von Autofahrern jährlich diesen erhebenden Augenblick verwehren würde, solle man das teure Projekt doch einfach begraben.

Unverkennbar befinden wir uns im Mutterland der Individualisten und Exzentriker, weshalb einiges darauf hindeutet, dass die Debatte um den A303-Tunnel noch ein paar Jahre andauern wird. Immerhin ein Vierteljahrhundert hat es gedauert, bis das faszinierende Monument frühgeschichtlicher Ingenieurskunst vor fünf Jahren einen angemessenen Rahmen erhielt. Seither werden die jährlich mehr als eine Million Besucher zu einem Besucherzentrum der Museumsbehörde English Heritage geschleust. Es enthält ein kleines, aber feines Museum zur Geschichte von Stonehenge und ein großzügiges Café, in dem sich sämtliche irdischen Bedürfnisse befriedigen lassen.

So weit, so gut. Allerdings reißen die Beschwerden von Besuchern aus aller Welt nicht ab: Vor allem die saftigen Eintrittspreise von umgerechnet rund 20 Euro für Erwachsene und knapp zwölf Euro für Kinder stoßen auf Unverständnis. Behinderte beklagen, sie dürften nicht wie Studenten und Pensionisten den ermäßigten Preis von immerhin noch 18 Euro in Anspruch nehmen. Die Verbindung mit einem kleinen Zug zwischen Besucherzentrum und dem immerhin 2,5 Kilometer entfernten Steinkreis klappt eher schlecht als recht, lange Schlangen sind die Folge.

Viel grundsätzlichere Einwände gegen die Metamorphose der geliebten Steine erhebt ein womöglich noch originellerer Denker als Sir Simon Jenkins. „Das war hier ein astronomischer Kalender und ein Heiligtum, und jetzt ist es eine Geldmaschine“, sagt Arthur Uther Pendragon, die selbsternannte Wiedergeburt des legendären König Artus. Der „Wächter dieses Heiligtums“ kämpft für den freien Zugang zu Stonehenge – genau das, was die stetig wachsenden Besucherzahlen unmöglich gemacht haben.

Unklar bleibt allerdings, was der als John Rothwell geborene König eigentlich mit Stonehenge zu tun hat. Sollte es den legendären König Arthur, wie Artus in Großbritannien genannt wird, denn gegeben haben, so ist er übereinstimmender wissenschaftlicher Erkenntnis nach im fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung anzusiedeln. Hingegen wurde Stonehenge schon von etwa 1600 vor Christus an nicht mehr genutzt, wozu auch immer. 

Solche naseweisen Einwände wischt König Artus souverän beiseite. Was kümmert ihn schließlich die Wissenschaft? Tatsächlich wurden die wenigen, zu Artus überlieferten Schriftquellen mit klingenden Namen wie Gododdin oder Preiddeu Annwfn (Die Beute Annwfns) mindestens 300 Jahre nach der mutmaßlichen Lebensspanne des edlen Ritters angelegt. Leicht könnte es sich beim mittelalterlichen Mysterium um die Neu-Interpretation einer viel älteren, stets nur mündlich weitergereichten Erzählung von einer gottgleichen Märchenfigur handeln. Und was sind vor Gott und Arthur Pendragon ein paar Jahrhunderte?

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